Meldung vom 30. November 2020

GfdS wählt »Corona-Pandemie« zum Wort des Jahres 2020

GfdS-Podcast zu den Wörtern des Jahres

Gerade ist sie erschienen: In Folge 1 unseres brandneuen Podcast Raus mit der Sprache! sprechen wir mit Jurymitglied Prof. Jochen A. Bär über die Wörter des Jahres. Seit wann wird gewählt, was sind die Hintergründe der Aktion, wie werden die Wörter gewählt – und was ist eigentlich so bemerkenswert an den Jahreswörtern?

Die Wörter des Jahres 2020

  1. Corona-Pandemie
  2. Lockdown
  3. Verschwörungserzählung
  4. Black Lives Matter
  5. AHA
  6. systemrelevant
  7. Triage
  8. Geisterspiele
  9. Gendersternchen
  10. Bleiben Sie gesund!
© peterschreiber.media

Das Wort des Jahres 2020, wie vielfach erwartet, ist Corona-Pandemie. Diese Entscheidung traf eine Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden. Die Zusammensetzung be­nennt das beherrschende Thema nahezu des gesamten Jahres. Bereits Ende 2019 war in der chi­nesischen Stadt Wuhan das neuartige Virus SARS-CoV-2 entdeckt worden. Das Kurzwort bedeutet Severe Acute Respiratory Syndrome Corona-Virus 2, zu deutsch »Schweres akutes Atemnotsyn­drom«-Coronavirus 2 – ein Erreger, der die lebensgefährliche Atemwegserkrankung COVID-19 (Corona virus disease 2019 ›Coronavirus-Erkrankung 2019‹) verursachen kann. Rasch wurde aus der Epidemie eine Pandemie, die bis Ende November 2020 zu weltweit fast 1,5 Millionen Todesfällen führte. Wirtschaft und Kultur und auch das private Leben wurden und werden durch Corona tief­greifend beeinträchtigt. Als Wort des Jahres steht Corona-Pandemie nicht nur für die nach Ein­schätzung der Bundeskanzlerin ebenso wie vieler Fachleute schwerste Krise seit dem 2. Welt­krieg, sondern sprachlich auch für eine Vielzahl neuer Wortbil­dungen (Coronavirus, -krise, -zah­len, -jahr, Corona-Demo, -Hotspot, -Warn-App, coronabedingt, -geplagt).

Sprachraum: Corona

Die Corona-Pandemie hat uns auch sprachlich in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens beeinflusst. Wir haben die sprachlichen Entwicklungen im Zusammenhang mit Corona im Auge behalten und teilen in einer mehrteiligen Serie unsere Beobachtungen und Erkenntnisse aus verschiedenen Perspektiven.

© Corona Borealis, Bearbeitung: GfdS

Lockdown (Platz 2) oder auch Shutdown verweist auf die politisch beschlossenen Maßnahmen zur Beschränkung sozialer Kontakte, die im März und seit Ende Oktober weite Teile des öffentlichen Lebens lahmlegten. Gaststätten, Hotels, Geschäfte, öffentliche Einrichtungen mussten schließen, Kinder konnten nicht zur Schule, Existenzen waren bedroht, was durch ein großes staatliches Corona-Hilfspaket aufgefangen werden sollte. Die sozialen und nicht selten auch psychischen Folgen, die sich nicht finanziell beheben lassen, sind Ende 2020 noch nicht abzusehen.

© GieZetStudio

Mit der Zusammensetzung Verschwörungserzählung (Platz 3) reagierte die Jury nicht nur auf die Propaganda von Coronaleugnern, sondern auch auf Behauptungen wie die des scheidenden US-Präsidenten Trump, er sei Opfer eines großangelegten Wahlbetrugs geworden, auf Verschwö­rungsideologien wie QAnon oder auf rechtspopulistische Überfremdungsphantasien. Verschwö­rungs­erzählung findet sich neuerdings öfter anstelle des älteren und häufiger belegten Wortes Verschwö­rungstheorie. Es legt nahe, dass ein unbeweis­bares Kon­strukt nicht gut als Theorie – laut Wörterbuch ein ›System wissenschaftlich begründeter Aussagen‹ – zu bezeichnen ist.

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Black Lives Matter (Platz 4), kurz BLM, steht für eine internationale Bewegung, die schon 2013 in den USA ihren Anfang nahm und 2020 durch den Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einer Festnahme und die daran anschließenden ausgedehnten Proteste gegen rassistische Polizeige­walt neuen Auftrieb erhielt. Auch in Deutschland wurde das Problem eines syste­mischen Rassis­mus diskutiert. Umstritten war die sogenannte Rassismusstudie, die nach der Aufdeckung rechts­extremer Polizei-Chatgruppen in mehreren Bundesländern gefordert wurde.

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Das Akronym AHA (Platz 5), ein Buchstaben-Kurzwort aus dem Zusammenhang der Corona-Re­geln, bedeutet ›Abstand, Hygiene, Alltagsmaske‹. Durch das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von mindestens 1,5 Metern, regelmäßiges Händewaschen und das Tragen einer Mund-Nasen-Be­deckung – regional-umgangssprachlich u. a. auch Snutenpulli, Goschentuch, Schnüssjäckje, Bützje­kondom oder Maultäschle – soll die Ausbreitung des Coronavirus eingedämmt werden. In Innen­räumen wird die AHA-Formel zu AHAL (AHA + Lüften).

© Jan Engel

Als systemrelevant (Platz 6) werden Unternehmen bezeichnet, die ein Staat ohne schwerwiegen­de Beeinträchtigung der Infrastruktur nicht bankrott gehen lassen kann (so dass sie in Krisenzei­ten mit öffentlichen Mitteln gestützt werden) – und diejenigen Berufsgruppen, die auch im Lockdown nicht zuhause arbeiten können, weil ihre Tätigkeit für das Gemeinwesen unverzichtbar ist. Dazu gehören u. a. Polizei, Feuerwehr, der Gesundheits- und Pfle­gesektor, aber auch Reini­gungskräfte, der Lebensmittelhandel, Erntehilfen und viele andere.

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Die Triage (Platz 7), einer der ganz seltenen Fälle, in denen sich einmal ein französischstämmiger Ausdruck unter den Wörtern des Jahres findet, steht für eine der dunkelsten Seiten von Corona. Abgeleitet von französisch trier (›sortieren‹), bedeutet das medizinische Fachwort so viel wie ›Entscheidung, wer zuerst versorgt werden soll‹. Bei unerwartet hohen Fallzahlen, z. B. bei einer Katastrophe oder eben einer Pandemie, könnte es – so eine verbreitete Befürchtung – dazu kommen, dass die Behandlung von Menschen mit geringeren Heilungschancen unterbleibt.

© CC-Lizenz

Ebenfalls eine unmittelbare Folge der Pandemie waren die Geisterspiele (Platz 8). Sportveranstal­tungen, insbesondere Fußballspiele, mussten zur Vermeidung von Masseninfektionen vor fast oder ganz leeren Rängen stattfinden.

© CC-Lizenz

Das Gendersternchen (Platz 9), 2020 in den Duden aufgenommen, symbolisiert die zunehmende Diskussion um einen sogenannten geschlechterbewussten oder -sensitiven Sprachgebrauch. Mit Schreibungen wie Arbeiter*innen oder Lehrer*innen sollen nicht nur Männer und Frauen, son­dern die gesamte Genderdiversität repräsentiert werden. Die sprachliche Problematik zeigt sich aber schon bei Umlautformen wie Ärzt*in, bei denen die männliche Form abhandenkommt. Die Gesellschaft für deutsche Sprache rät von einer Verwendung des Gendersternchens und ver­gleichbarer Schreibungen ab (https://gfds.de/pressemitteilung-gendersternchen/).

© methaphum

Die Abschiedsgrußformel Bleiben Sie gesund! (Platz 10) hat in Zeiten von Corona einen besonde­ren Stellenwert und findet vielfach Verwendung. Als »Satz des Jahres« – und auch als Wunsch ge­meint – beschließt sie die sprachliche Auswahlliste.

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Die Wörter des Jahres werden 2020 zum 44. Mal in Folge bekannt gegeben. Die Aktion, die mitt­lerweile weltweit Nachahmung findet, ist die älteste ihrer Art. Traditionell suchen die Mitglieder des Hauptvorstandes und die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GfdS nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, sondern wählen solche, die das zu Ende gehende Jahr in besonderer Weise charakterisieren. Dass acht von zehn Wörtern der Liste einen direkten Corona-Bezug haben, rückt deutlicher als jede Einzelplatzierung in den Blick, wie stark 2020 von der Pandemie geprägt war.

Corona-Pandemie

Ende 2019 war im chinesischen Wuhan das Virus SARS-CoV-2 entdeckt worden. Das fachsprachliche Kurzwort bedeutet Severe Acute Respiratory Syndrome Corona-Virus 2, zu deutsch »Schweres akutes Atemnotsyndrom«-Coronavirus 2. Der Erreger kann die lebensgefährliche Atemwegserkrankung COVID-19 (Corona virus disease 2019 ›Coronavirus-Erkrankung 2019‹) verursachen. Rasch wurde aus der Epidemie eine Pandemie (zusammengesetzt aus griechisch pan ›all, ganz gesamt‹ und demos ›Volk‹), die bis Ende November 2020 zu weltweit fast 1,5 Millionen Todesfällen führte. Wirtschaft, Kultur und auch das private Leben wurden tiefgreifend beeinträchtigt. Als Wort des Jahres steht Corona-Pandemie jedoch nicht nur für die nach Einschätzung der Bundeskanzlerin ebenso wie vieler Fachleute schwerste Krise seit dem 2. Weltkrieg, sondern sprachlich auch für eine Vielzahl neuer Wortbildungen (Coronakrise, -zahlen, -verordnung, Corona-Hotspot, -Warn-App, coronabedingt, -geplagt, -negativ/-positiv …).

Häufig zu lesen und zu hören ist die einfache Form Corona: »Soundso hat sich auf Corona testen lassen«, »XY hat jetzt auch Corona«. Für die Wendung in Zeiten von Corona erbrachte eine Internetsuche Ende November 2020 über neun Millionen Belege. Eine neue Zeitrechnung entstand: vor bzw. nach Corona (im Englischen las man sogar B. C. ›Before Corona‹, was sonst die Abkürzung von Before Christ ›vor Christus‹ ist).

Corona ist in solchen Verwendungen nicht als neue Bedeutung des altbekannten Wortes zu interpretieren, das auch Korona geschrieben wird und so viel heißt wie ›Strahlenkranz der Sonne‹ (zu sehen bei einer totalen Sonnenfinsternis) oder auch ›Schar, Bande, Horde‹ (die ganze Korona), sondern als neues Kurzwort: als Rückkürzung aus Coronavirus, die dann ihrerseits eine Reihe von weiteren Bedeutungen annimmt: ›Erkrankung am Coronavirus‹, ›vom Coronavirus ausgelöste Pandemie‹ usw. Zugrunde liegt allerdings auch hier das lateinische Wort corona (›Kranz, Krone‹). Die Vertreter der seit den 1960er Jahren bekannten Coronaviren-Familie, von denen SARS-CoV-2 nur der bekannteste ist, erscheinen unter dem Elektronenmikroskop wie überall von Auswüchsen oder Fortsätzen umgebene Kugeln. Das Bild erinnert an die Sonnenkorona: daher der Name. Und so gab es gleich noch ein neues Wort für die vor allem in der Weihnachtszeit beliebte Duftorange (eine mit Gewürznelken rundherum gespickte Orange): Corange (SWR2, 14. 5. 2020). Auch sonst war die sprachliche Kreativität rege: Mehr oder weniger originelle Bildungen wie Corontäne (Nordbayerischer Kurier, 2. 4. 2020) und Wortspiele wie langvirig (Postillon, 25. 4. 2020) machten die Runde. Mit der Zusammenziehung Covidioten wurden erst Personen bezeichnet, die sich wegen Covid Sorgen machten und schon vor der Einführung von Coronabestimmungen freiwillig auf Kontakte und Reisen verzichteten, später dann zunehmend die hartnäckigen Coronaleugner, die sich zu Coronademonstrationen oder -partys zusammenfanden, um absichtlich gegen Coronaregeln wie Sicherheitsabstand und Maskenpflicht zu verstoßen.

Der im März und ab Ende Oktober geltende Lockdown (Platz 2 der Jahreswörterliste 2020) oder Shutdown legte das öffentliche Leben teilweise lahm. Das Bruttoinlandsprodukt brach 2020 um über 5 %, der Flugverkehr um fast 40 % ein. Ob Hotels mit dem Namen Corona besondere Umsatzeinbußen zu verzeichnen hatten, ist nicht bekannt. Hingegen stellte die mexikanische Brauerei Grupo Modelo die Produktion ihrer seit 1925 existierenden Marke Corona Extra vollständig ein. »Falscher Name zur falschen Zeit«, ätzte die Frankfurter Rundschau (7. 4. 2020).

Jochen A. Bär