Ausgewanderte Wörter

CC-Lizenz, Collage: GfdS

Besonders viel geredet wird über die Wörter, die aus fremden Sprachen ins Deutsche einwandern. Wer deshalb aber den Eindruck hat, wir würden Wörter nur importieren, der irrt. Deutschland ist nicht nur wirtschaftlich betrachtet ein Exportland, auch viele unserer Wörter haben den Weg in ferne Länder und Sprachen gefunden und bereichern dort den Wortschatz. Deutsche Wörter eignen sich vor allem deshalb so gut dafür, von fremden Sprachen aufgenommen zu werden, weil unsere Wortbildungsregeln es erlauben, so wundervolle zusammengesetzte Wörter wie Weltschmerz, Wanderlust oder Fingerspitzengefühl zu »basteln«, was in vielen anderen Sprachen der Welt nicht möglich ist.

Podcast-Folge »Ausgewanderte Wörter«

Zu diesem Thema haben wir in unserem Wortcast eine Podcast-Folge veröffentlicht, in der unser Kollege Dr. Lutz Kuntzsch über das Auswandern von Wörtern berichtet, über die Gründe dafür und über jene deutsche Wörter, die Eingang in andere Sprachen gefunden haben. Ob ins Russische, Englische oder ins Chinesische: Ein paar besonders schöne Beispiele stellt er hier vor.

Wie es auch Fremd- und Lehnwörter im Deutschen tun, füllen Germanismen in ihren »Adoptiv«-Sprachen oft Bezeichnungslücken. Der besservisseri bezeichnet auch im Finnischen einen wichtigtuerischen Menschen, der andere gerne verbessert, und im Englischen beschreibt kein Wort den Zeitgeist besser als eben zeitgeist. Hier hat sich sogar ein Adjektiv aus dem Nomen gebildet, zeitgeisty bedeutet ›dem Zeitgeist entsprechend‹. Oft weicht die Bedeutung, mit der ein ausgewandertes Wort in seiner neuen Sprachumgebung verknüpft ist, aber auch stark von seiner ursprünglichen Verwendung ab. So kann man beispielsweise auf einem russischen Büffet zwar ein butterbrod antreffen, wird darauf jedoch alles außer Butter finden, und mit Anzug ist im Bulgarischen keineswegs das schicke Kleidungsstück gemeint, mit dem wir das Wort hierzulande assoziieren, sondern ein gemütlicher Haus- oder Trainingsanzug. Teilweise hat sich die neue Bedeutung eines Germanismus sogar so weit von der ursprünglichen Bedeutung entfernt, dass es ohne Kenntnis der Entstehungsgeschichte beinahe unmöglich ist, von dem Wort auf die bezeichnete Sache zu kommen. Oder hätten Sie bei Suche an Hausbedienstete gedacht? Im chilenischen Spanisch bezeichnet das Wort Suche aber tatsächlich die Menschen, die einfache Arbeiten im Haushalt ausführen, wie Gärtner oder Laufboten. Zurück geht das Wort auf die Stellenausschreibungen reicher deutschsprachiger Einsiedler, die auf der Suche nach einheimischen Arbeitskräften waren und deren Anzeigen meist mit »Suche …« begannen, was schließlich zur Bezeichnung der gesuchten Personen selbst wurde.

Nicht immer sind Germanismen auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Manchmal wird die Schreibweise der Auswanderer nämlich stark verändert, teilweise werden Wörter aber auch genau so übernommen, wie wir sie im Deutschen kennen (abgesehen von Groß- und Kleinschreibung). Spanisch und Englisch kennen zum Beispiel gemuetlichkeit und fernweh, während das ungarische vigéc sich ziemlich stark vom ursprünglichen Wie geht’s? entfernt hat.

Teilweise sind es die Deutschen selbst und die ihnen zugeordneten »typisch deutschen« Eigenschaften, die der Grund dafür sind, Wörter aus dem deutschsprachigen Raum zu übernehmen. In Amerika und Frankreich werden wir schon mal Krauts genannt, weil wir angeblich so viel Sauerkraut essen, und Einwohner der französischen Schweiz nennen ihre Landesgenossen aus der Deutschschweiz auch les Neinsager, weil sie als so konservativ gelten – beides nicht gerade schmeichelhaft. Doch auch mit positiveren Themen prägen wir das Ausland. So wird die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Französischen und Arabischen tatsächlich la Mannschaft bzw. el mannschaft genannt, ein besonders begabtes junges Talent wird in Großbritannien ebenfalls als wunderkind gefeiert und eine Liebhabervilla findet man auch in dänischen Immobilienprospekten. Und wussten Sie, dass im australischen Englisch Blasmusik lautmalerisch oom pah pah music genannt wird?

Auch beim Thema Germanismen zeigt sich also, dass verschiedene Kulturen und Sprachen voneinander profitieren, wenn sie aufeinandertreffen, und nicht (wie oft befürchtet) in Konkurrenz stehen oder sich gar gegenseitig verdrängen. Auch das Deutsche selbst ist nicht nur eine Nehmersprache, die Wörter importiert, sondern gleichzeitig eine ziemlich großzügige Gebersprache. Dies zeigte sich auch bei einer Preisaufgabe der GfdS zu ausgewanderten deutschen Wörtern in anderen Sprachen aus dem Jahr 2004, zu der wir Wortbelege aus insgesamt 48 verschiedenen Ländern erhielten. Auch die meisten der oben genannten Beispiele stammen aus den uns zugesendeten Antworten.

Quelle

Jutta Limbach: Ausgewanderte Wörter, Ismaning 2007