Meldung vom 3. Dezember 2021

GfdS wählt »Wellenbrecher« zum Wort des Jahres 2021

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Die Wörter des Jahres 2021

  1. Wellenbrecher
  2. SolidAHRität
  3. Pflexit
  4. Impfpflicht
  5. Ampelparteien
  6. Lockdown-Kinder
  7. Booster
  8. freitesten
  9. Triell
  10. fünf nach zwölf

GfdS-Podcast zu den Wörtern des Jahres

Seit wann werden eigentlich die Wörter des Jahres gewählt? Wie genau werden sie gewählt? Und was ist eigentlich so bemerkenswert an den Jahreswörtern? In unserem Podcast Wortcast sprechen wir mit Jurymitglied Prof. Jochen A. Bär über die Wörter des Jahres und die Hintergründe dieser Aktion.

Zur Podcast-Folge

Das Wort des Jahres 2021 ist Wellenbrecher. Das Wort steht für alle Maßnahmen, die getroffen wurden und werden, um die 4. Corona-Welle zu brechen. Das aus Küstenschutz und Schiffbau bekannte Wort nahm durch das auch 2021 beherrschende Thema – die Corona-Pandemie – eine Reihe von neuen Bedeutungen an. Es stand unter anderem für ›Maßnahmen gegen Covid-19‹, für den ›Zeitraum, in dem solche Maßnahmen gelten sollen‹, und auch für eine ›Person, die sich nach ihnen richtet‹ (»Werden Sie zum Wellenbrecher!«). Übertragene Verwendungsweisen wie diese sind aus sprachwissenschaftlicher Sicht jahrestypisch: Ob diese langfristig in unserem Wortschatz bleiben werden, hängt wesentlich davon ab, ob es uns gelingt, die Pandemie nachhaltig einzudämmen.

© Robert Kneschke

Mit der besonderen Schreibweise SolidAHRität (Platz 2) wurde auf die Flutkatastrophe in West­deutschland, besonders im Ahrtal, Bezug genommen. Die Wortkreuzung aus Solidarität und dem Flussnamen Ahr war ursprünglich der Name einer Hilfsaktion für hochwassergeschädigte Winzer, wurde aber auch darüber hinaus kennzeichnend für die große Hilfsbereitschaft, die sich in Form von Spenden und tätiger Unterstützung weit über die betroffene Region hinaus zeigte.

© Art_Photo

Pflexit (Platz 3), nach dem Vorbild von Grexit, Brexit, Polexit usw. gebildet aus Pflege und Exit und somit gleichfalls eine Wortkreuzung, hat im sogenannten Pflege­notstand einen ernsten Hintergrund: Immer öfter verlassen Pflegekräfte, meist wegen harter Arbeitsbedingungen und/oder schlechter Bezahlung, ihren Beruf. Der Pflegeausstieg könnte zu einem ernsten gesellschaftlichen Problem werden.

Sprachraum: Corona

Die Corona-Pandemie hat uns auch sprachlich in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens beeinflusst. Wir haben die sprachlichen Entwicklungen im Zusammenhang mit Corona im Auge behalten und teilen in einer mehrteiligen Serie unsere Beobachtungen und Erkenntnisse aus verschiedenen Perspektiven.

Zum Sprachraum Corona
© Wolfilser

Hatte die Politik angesichts großer Widerstände in der Bevölkerung eine verpflichtende Impfung gegen SARS-CoV-2 auch stets ausgeschlossen, so änderte sich diese Haltung im Herbst 2021: Nun wurde die Impfpflicht (Platz 4), sei es für bestimmte Berufsgruppen oder auch allgemein, mehr und mehr als Möglichkeit angesehen – ein Zeichen dafür, dass die Stimmung im Land sich in der 4. Welle der Pandemie allmählich verändert.

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Die Bundestagswahl im September 2021 führte zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse: Erstmals nach 16 Jahren fanden sich CDU und CSU in der Opposition. Die SPD als Wahlsieger schmiedete mit der FDP und den Grünen eine Ampel-Koalition (benannt nach den Parteifarben Rot, Gelb und Grün). Das Wort Ampelparteien (Platz 5) ist zwar als solches nicht neu, zu einem Jahreswort wird es aber durch die 2021 sprunghaft angestiegene Häufigkeit seiner Verwendung. Und die Ampelkoalition besteht erstmals auf Bundesebene.

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Auf die Probleme von Kindern und Jugendlichen, die durch die Corona-Pandemie seit annähernd zwei Jahren großen Belastungen ausgesetzt sind (Online-Unterricht, Beschränkung sozialer Kon­takte, Zunahme häuslicher Gewalt, psychische Erkrankungen …), macht das Wort Lockdown-Kinder (Platz 6) aufmerksam.

© janvier

Der Booster (Platz 7), zu Deutsch die Auffrischungsimpfung, ist ein weiteres Pandemiewort des Jahres 2021. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass zwei Impfungen gegen Covid-19 noch keinen zufriedenstellenden Schutz bieten, wurde zunächst bestimmten Personengruppen, später dann allen über 18 eine dritte Impfung empfohlen.

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Mit freitesten (Platz 8) wurde der deutschen Sprache ein neues Verb beschert. Inhaltlich geht es darum, dass Personen, die weder geimpft noch genesen (2G) sind, bestimmten pandemiespezifi­schen Beschränkungen dadurch entgehen können, dass sie sich einem Corona-Test unterziehen. Grammatisch handelt es sich zum einen um ein transitives Verb (es erfordert ein Akkusativobjekt, oft das Reflexivpronomen sich), zum anderen um ein sogenanntes trennbares Verb (ich teste mich frei, nicht ich freiteste mich).

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Triell (Platz 9) steht für ein ›Duell zu dritt‹. Das Wort gibt es zwar schon seit Längerem, es wurde aber im Bundestagswahlkampf 2021 durch die von drei Personen – einer Spitzenkandidatin und zwei Spitzenkandidaten – ausgetragenen Fernsehdebatten populär. Altlateinisch duellum ist eine frühe Form von bellum (›Krieg‹); es wurde später volksetymologisch mit duo (lateinisch ›zwei‹) in Verbindung gebracht und nahm daher die Bedeutung ›Zweikampf‹ an. Bei der Weiterbildung mit dem Präfix tri- (›drei, dreifach‹) zu Triell handelt es sich wie bei SolidAHRität und Pflexit um eine Wortkreuzung (auch bekannt als Kontamination, Wortverschränkung, Kofferwort oder Porte­manteau).

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Die Wortgruppe fünf nach zwölf (Platz 10), häufig mit der Betonung auf nach, ist ein beliebt ge­wordener Ausdruck für besonders starken Aktionsbedarf – in der Klimapolitik, bei der Pande­miebekämpfung oder auch in beliebigen anderen Zusammenhängen. Es handelt sich um eine Weiterführung der Formulierung fünf vor zwölf. Wer mitteilt, dass es bezüglich eines bestimmten Problems fünf nach zwölf (alternativ auch sogar schon zehn nach zwölf, viertel vor eins o. Ä.) sei, sagt damit genau genommen, es sei eigentlich schon zu spät zum Handeln … und umso dringender müsse daher gehandelt werden.

***

Die Wörter des Jahres der Gesellschaft für deutsche Sprache werden 2021 zum 45. Mal in Folge bekannt gegeben. Die Aktion, die mittlerweile weltweit Nachahmung findet, ist die älteste ihrer Art. Traditionell suchen die Mitglieder des Hauptvorstandes und die wissenschaftlichen Mitarbei­terinnen und Mitarbeiter der GfdS nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, son­dern wählen solche, die das zu Ende gehende Jahr in besonderer Weise charakterisieren. Dass fünf von zehn Wörtern der Liste einen direkten Corona-Bezug haben, rückt deutlicher als jede Einzelplatzierung in den Blick, wie stark auch das Jahr 2021 von der Pandemie geprägt war.

Wellenbrecher

Nach 2020 stand auch das Jahr 2021 durchgängig im Zeichen der weltweiten Corona-Pandemie. Die Krankheit verlief in mehreren Wellen: Ließen die Infektionszahlen und Sterbefälle zeitweise erkennbar nach, so stiegen sie, sobald die Schutzmaßnahmen gelockert wurden, immer wieder an. Auf eine erste Welle im Frühjahr 2020 folgte die zweite im Herbst und Winter und die dritte im Frühjahr 2021. Doch während im Sommer 2021 die Politik teilweise bereits das Ende der Pandemie ausrief, warnte die Wissenschaft vor einer vierten Welle, die dann tatsächlich im November 2021 über das Land schwappte. Die Zahl der »an und mit« Covid-19 Verstorbenen wurde sechsstellig.

Nun sprachen sich viele, die eben noch für Öffnungen waren, wieder für konsequentes Handeln aus. Selbst eine allgemeine Impfpflicht, die bis dahin kaum jemand ernsthaft zu fordern gewagt hatte, wurde nicht mehr ausgeschlossen. Die Rede vom Brechen der Welle hatte Konjunktur. »Booster-Impfung für alle, neue Hilfen, mehr Tests: So wollen die Gesundheitsminister die Coronawelle brechen«, berichtete das Handelsblatt (5.11.2021), während beispielsweise die Zeit sprachlich näher beim eigendynamischen Naturereignis blieb: »Die vierte Welle bricht«, meldete sie optimistisch (2.12.2021).

Nichts lag daher näher, als auch das Wort Wellenbrecher im Zusammenhang der Pandemie zu verwenden. Während man dieses, dem 10-bändigen Dudenwörterbuch zufolge, bislang nur im Küstenschutz und im Schiffbau kannte – es bedeutet »Anlage (Damm o. Ä.), die anlaufende Wellen brechen soll« bzw. »auf dem Vordeck von Schiffen angebrachtes, v-förmig gewinkeltes Stahlblech, das überkommende Wellen brechen und seitlich ablenken soll« – und noch 2020 die meisten Fundstellen diese herkömmlichen Lesarten zeigten, wurde es 2021 immer häufiger pandemiebezogen gebraucht. So forderte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, Regierungschef des Bundeslandes mit den höchsten Inzidenzwerten, einen »harten und klaren Wellenbrecher« (Welt, 18.11.2021) und meinte damit eine Verordnung, die einem »Lockdown für Ungeimpfte« (Leipziger Volkszeitung, 8.11.2021) gleichkam. Anfang Dezember einigten sich Bund und Länder auf einen »großen Wellenbrecher-Plan« (Tagesspiegel, 2.12.2021).

Doch nicht nur auf Maßnahmen, sondern auch auf die Zeiträume, in denen sie gelten, konnte das Wort angewandt werden: »Sachsen im ›Wellenbrecher‹« titelte beispielsweise die Saarbrücker Zeitung (22.11.2021). Und auch Einzelpersonen, die sich nach solchen Maßnahmen richten, konnten gemeint sein: »Ob geimpft oder ungeimpft: Jetzt müssen wir alle noch mal ran. Hier lesen Sie, wie Sie zum Wellenbrecher werden«, empfahl eine Ratgeber-Plattform (www.netdoktor.de, 2.12.2021).

Bei all diesen Verwendungsweisen handelt es sich um übertragene Wortgebräuche: sogenannte Metaphern oder Metonymien. Das sind durchaus alltägliche Phänomene eines lebendigen Sprachgebrauchs; nicht selten gehen sie dauerhaft in das Bedeutungsspektrum eines Wortes ein und finden dann normalerweise auch ihren Weg ins Wörterbuch. Handelt es sich allerdings um mehr oder weniger jahrestypische Verwendungsweisen, die aller Gebrauchshäufigkeit zum Trotz in Vergessenheit geraten, wenn sich das damit Gemeinte erledigt hat, so bleibt ihnen allenfalls ein Platz in den Wortannalen der Gesellschaft für deutsche Sprache. Bei Wellenbrecher mit Corona-Bezug wird man wohl davon ausgehen dürfen: Es wird später einmal – hoffentlich – nur noch historisch an das Pandemiejahr 2021 erinnern.

Jochen A. Bär