6. Dezember 2024
Wörter des Jahres 2024
Die Wörter des Jahres 2024
- Ampel-Aus
- Klimaschönfärberei
- kriegstüchtig
- Rechtsdrift
- generative Wende
- SBGG
- Life-Work-Balance
- Messerverbot
- angstsparen
- Deckelwahnsinn
Im Fokus: Die Aktion »Wörter des Jahres«
Seit 1977 küren wir regelmäßig Wörter und Wendungen, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eines Jahres sprachlich in besonderer Weise bestimmt haben.
Wir richten den Blick ausführlich auf die Aktion »Wörter des Jahres«, auf zahlreiche Fragen, die uns in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt werden, und schauen über den Tellerrand: Gibt es auch in anderen Ländern Wörter des Jahres, was hat das Unwort mit dem Wort des Jahres zu tun – und wie ist die ganze Aktion eigentlich entstanden?
Das Wort des Jahres 2024 ist Ampel-Aus. Diese Entscheidung traf eine Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden. Das sich seit Langem andeutende Ende der Ampelkoalition – schon 2023 war Ampelzoff unter den Wörtern des Jahres – sorgte für einen Paukenschlag, der sogar den zeitgleich bekannt gewordenen Ausgang der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl übertönte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entließ am 6. November Finanzminister Christian Lindner (FDP) wegen unüberbrückbarer Differenzen in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik; fast alle übrigen Kabinettsmitglieder der FDP erklärten daraufhin ihren Rücktritt. – Sprachlich interessant ist an dem Wort Ampel-Aus die Alliteration (beide Wortbestandteile beginnen mit einem A) sowie die Tatsache, dass die Präposition aus hier als Substantiv (»Hauptwort«) erscheint. Das Wortbildungsmuster ist keineswegs neu: Ehe-Aus, Beziehungs-Aus, Liebes-Aus usw. kennt man aus der Regenbogenpresse; Jamaika-Aus war das Wort des Jahres 2017. Damals hatte FDP-Chef Christian Lindner die schwarz-gelb-grünen Koalitionsverhandlungen mit dem Satz »Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren« platzen lassen.
Klimaschönfärberei (Platz 2) steht für die Praxis, die Auswirkungen des Klimawandels oder die Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen zu beschönigen oder zu verharmlosen. Unternehmen oder Organisationen versuchen dabei in einer Art von Greenwashing, sich umweltfreundlicher darzustellen, als sie tatsächlich sind. 2024 lagerten deutsche Betriebe ihre Klimaschutzmaßnahmen aus strategischen Gründen zunehmend nach China oder Indien aus. Ob konkrete Maßnahmen helfen oder eher Augenwischerei sind, lässt sich neuerdings immerhin durch ein KI-Programm namens Climinator beantworten, das in Minutenschnelle einen Faktencheck und einen Abgleich mit der seriösen Klimaforschung durchführen kann.
Ein Artikel mit dem Titel »Bedingt abwehrbereit« war 1962 Auslöser der sogenannten Spiegel-Affäre: Den Bericht, dass die Bundeswehr gegen einen Angriff nicht ausreichend gerüstet sei, interpretierte der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß als Landesverrat. 62 Jahre später forderte einer seiner Nachfolger, der SPD-Politiker Boris Pistorius, dass Deutschland bis 2029 kriegstüchtig (Platz 3) werden müsse – was zum Ausdruck brachte, dass dies aktuell nicht der Fall sei. In der anschließenden öffentlichen Debatte wurden Panikmache und die Gefahr einer Militarisierung befürchtet. Argumentiert wurde jedoch auch, dass eine realistische Einschätzung von Bedrohungen und entsprechende Vorbereitungen notwendig seien, um Frieden zu sichern.
Ein schon seit Längerem erkennbarer Trend nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern ebenso wie außerhalb Europas ist eine Verschiebung der politischen Stimmung oder des öffentlichen Diskurses nach rechts. 2024 zeigte sich die Rechtsdrift (Platz 4) in den Erfolgen populistischer Parteien bei verschiedenen Landtagswahlen, aber auch bei der Europawahl. Ebenfalls in diesen Zusammenhang gehört der klare Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl.
Hatte die Jury bereits 2023 in KI-Boom eines der Jahreswörter gesehen, greift sie nun die rasante Weiterentwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz erneut auf. Mit dem Ausdruck generative Wende (Platz 5) wird Bezug genommen auf den Übergang von traditionellen KI-Systemen zu fortschrittlicheren Modellen. Diese sind in der Lage, neue Inhalte zu erzeugen und komplexe Aufgaben auf menschenähnliche Weise zu bewältigen. Die Auswirkungen sind gravierend: Schon jetzt kann generative KI selbständig Texte verfassen, stilistisch optimieren oder übersetzen und künstlerische oder kreative audiovisuelle Werke jeder Art produzieren. Die Integration in Suchmaschinen erscheint bereits als selbstverständlich.
Das am 1. November 2024 in Kraft getretene Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag – kurz SBGG (Platz 6) – ersetzt das veraltete Transsexuellengesetz von 1980. Personen, die ihre geschlechtliche Identität nicht im binären System »männlich«/»weiblich« verorten oder deren soziales Geschlecht nicht ihrem Geburtsgeschlecht entspricht, können nunmehr ohne große bürokratische Hürden durch eine Erklärung beim Standesamt ihren Geschlechtseintrag und ihre(n) Vornamen ändern lassen. Die Vornamenvergabe ist allerdings nach wie vor nicht völlig beliebig. Dies führt bei der Gesellschaft für deutsche Sprache bereits seit Juli 2024 zu zahlreichen Anfragen durch Personen, deren Vornamenwunsch vom Standesamt nicht akzeptiert wird. Ein auf sprachwissenschaftlicher Grundlage erstelltes GfdS-Gutachten kann hier helfen.
In Deutschland verschieben sich Wertmaßstäbe in unterschiedlichen Bereichen. Dies kommt auch in der Wortbildung Life-Work-Balance (Platz 7) im Gegensatz zur herkömmlichen Work-Life-Balance zum Ausdruck: »Leben« – definiert als Privatleben, Freizeit – wird zunehmend über »Arbeit« gestellt. Besonders bei Angehörigen jüngerer Generationen haben sich die Prioritäten verschoben. Sie sehen es oft nicht mehr ein zu leben, um zu arbeiten, sondern allenfalls umgekehrt.
Mit dem »Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems« von Ende Oktober 2024 wurde unter anderem das Waffengesetz verschärft. Demnach dürfen nunmehr auch Messer jeder Art, Länge sowie Beschaffenheit im öffentlichen Raum nicht mitgeführt werden. Das Messerverbot (Platz 8) gilt insbesondere für Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkte, Sportevents, Messen, Märkte, Kinovorführungen und Konzerte. Es muss mit anlasslosen Kontrollen gerechnet werden, bei denen u. a. Taschen und Rucksäcke überprüft und Personen durchsucht werden können. Wer einen verbotenen Gegenstand dabei hat, muss prinzipiell mit einem Strafverfahren oder auch einem Bußgeld bis zu 10.000 Euro rechnen.
In Zeiten der Rezession entschließen sich viele Menschen aus Unsicherheit über ihre finanzielle Zukunft zum Konsumverzicht. Das Verb angstsparen (Platz 9) bringt diese Grundhaltung prägnant zum Ausdruck. Was schlecht für die Wirtschaft ist, hat einen positiven Nebeneffekt: Dem aktuellen Schuldneratlas zufolge ist 2024 die Zahl überschuldeter Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland weiter rückläufig.
Seit Juli 2024 gilt aus Gründen des Umweltschutzes ein EU-Gesetz, wonach sich Deckel nicht mehr von Plastikflaschen lösen lassen. Die öffentliche Diskussion über den Deckelwahnsinn (Platz 10) war von der Frage nach dem tatsächlichen ökologischen Nutzen sowie nach der Verbraucherfreundlichkeit geprägt. Auch die Kosten und Herausforderungen für Unternehmen bei der Umstellung wurden kritisch reflektiert.
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Die Wörter des Jahres der Gesellschaft für deutsche Sprache werden 2024 zum 48. Mal in Folge bekannt gegeben. Die Aktion, die mittlerweile weltweit Nachahmung findet, ist die älteste ihrer Art. Traditionell suchen die Mitglieder des Hauptvorstandes und die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GfdS nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, sondern wählen solche, die das zu Ende gehende Jahr in besonderer Weise charakterisieren.
Ampel-Aus
Das sich seit Langem andeutende Ende der Berliner Ampelkoalition – schon 2023 war Ampelzoff auf Platz 5 der Wörter des Jahres gekommen – sorgte für einen Paukenschlag, der sogar den zeitgleich bekannt gewordenen, durchaus spektakulären Ausgang der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl übertönte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entließ am 6. November Finanzminister Christian Lindner (FDP) wegen unüberbrückbarer Differenzen in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik; fast alle übrigen Kabinettsmitglieder der FDP erklärten daraufhin ihren Rücktritt. Wie sich herausstellte, war Scholz, der unmittelbar darauf mit einer ausgefeilten, knapp 15-minütigen Begründung der Entlassung auftreten konnte, auf den Bruch vorbereitet. Er war Lindner jedoch offenbar lediglich knapp zuvorgekommen, denn die FDP war selbst mit dem Gedanken der Trennung umgegangen. Parteiintern war ein sogenanntes D-Day-Papier entworfen worden, das FDP-Generalsekretär Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Reymann wenig später das Amt kostete. Als unangemessen empfunden wurde vor allem die Wortwahl: D-Day spielt auf die Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus an; zudem war in dem Papier auch von »offener Feldschlacht« die Rede, um die letzte Phase vor einem möglichen Koalitionsende zu beschreiben.
Neben dem Blame Game gegenseitiger Schuldzuweisungen erhob sich sofort die Frage, wie es nun weitergehen sollte. Der Bundeskanzler kündigte an, im Bundestag die Vertrauensfrage stellen zu wollen; über den Zeitpunkt – die Opposition wollte es gleich, Scholz erst später – gab es eine Debatte, in der sich auch die Bundeswahlleiterin zu Wort meldete. Von einem zu frühen Termin riet sie aus organisatorischen Gründen ab: Unter anderem könne es zu Lieferengpässen bei den benötigten Wahlzetteln kommen. Das Wort Papiermangel sorgte im In- und Ausland für Spott; Polen bot süffisant an, bei Bedarf auszuhelfen.
Da Wörter des Jahres für das betreffende Jahr besonders prägend sein sollen, finden sich für die damit benannten Sachverhalte oftmals weitere Ausdrücke. Statt von Ampel-Aus war auch von Ampel-Ende, Ende der Ampel, Ampelbruch und geplatzter Ampel die Rede. Die beiden letzten Ausdrücke sind aus sprachwissenschaftlicher Sicht interessant, denn sie zeigen, dass im Fall von Ampel, anders als in anderen Fällen metaphorischen Bedeutungszuwachses, die Assoziation der ursprünglichen Wortbedeutung noch erkennbar mit im Spiel ist. Ampel ist zwar eine Rückkürzung aus Ampelkoalition, aber die Verkehrsampel leuchtet noch so deutlich durch, dass bei Ampelbruch (›Bruch der Ampelkoalition‹) ebenso wie bei geplatzte Ampel das Bild als schief wahrgenommen wird. Auch das Wort Ampel-Aus selbst ist linguistisch bemerkenswert, da es sich um eine Alliteration handelt: Beide Wortbestandteile beginnen mit einem A. Des Weiteren ist hervorzuheben, dass die Präposition aus hier als Substantiv mit Genus Neutrum erscheint. Diese Transposition (ein Wortartwechsel ohne Beifügung zusätzlicher Wortelemente) führt nach Auffassung der Jahreswörter-Jury exemplarisch die vielfältigen Wortbildungsmöglichkeiten der deutschen Sprache vor Augen. Das Muster als solches ist dabei keineswegs neu: Ball imAus und Aus für die Mannschaft kennt man aus dem Sport, Ehe-Aus, Beziehungs-Aus, Liebes-Aus usw. aus der Regenbogenpresse. Jamaika-Aus war das Wort des Jahres 2017. Damals war es FDP-Chef Christian Lindner, der die Fakten schuf und mit dem Satz »Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren« die schwarz-gelb-grünen Koalitionsverhandlungen platzen ließ.
Jochen A. Bär