Dezember 2023

Im Fokus: Wörter des Jahres

CC-Lizenz

Seit 1977 küren wir regelmäßig Wörter und Wendungen, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eines Jahres sprachlich in besonderer Weise bestimmt haben. Aus einer Sammlung von mehreren tausend Belegen aus verschiedenen Medien und Einsendungen von Außenstehenden wählt die Jury, die sich aus dem Hauptvorstand der Gesellschaft sowie den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammensetzt, kurz vor Jahresende zehn Wörter, die die öffentliche Diskussion dominiert und ein Jahr wesentlich geprägt haben.

Für die Auswahl der Wörter des Jahres entscheidend ist dabei nicht die Häufigkeit eines Ausdrucks, sondern vielmehr seine Signifikanz und Popularität: Die Liste trifft den sprachlichen Nerv des sich dem Ende neigenden Jahres und stellt auf ihre Weise einen Beitrag zur Zeitgeschichte dar. Die ausgewählten Wörter und Wendungen sind jedoch mit keinerlei Wertung oder Empfehlung verbunden.

Am Freitag ist es wieder so weit: Wir verkünden das Wort des Jahres 2023. Wir richten den Blick daher auf die Aktion »Wort des Jahres«, auf zahlreiche Fragen, die uns in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt werden, und schauen über den Tellerrand: Gibt es auch in anderen Ländern Wörter des Jahres, was hat das Unwort mit dem Wort des Jahres zu tun – und wie ist die ganze Aktion eigentlich entstanden?

Wort des Jahres 2022: Zeitenwende

© GfdS, Spirale: CC-Lizenz

Das Wort des Jahres 2022 ist Zeitenwende. Diese Entscheidung traf eine Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden. Das keineswegs neue Wort, das speziell für den Beginn der christlichen Zeitrechnung, in allgemeinerer Bedeutung auch für jeden beliebigen Übergang in eine neue Ära steht, wurde in diesem zweiten Sinne prominent von Bundeskanzler Scholz verwendet. Der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markiere eine »Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinentes«. Bundespräsident Steinmeier sprach im gleichen Zusammenhang von einem »Epochenbruch«. Die deutsche Wirtschafts- und Energiepolitik musste sich völlig neu ausrichten. Verhältnisse zu anderen internationalen Partnern wie China wurden gleichfalls kritisch beleuchtet. Bei vielen Menschen fand auch eine emotionale Wende statt. Angst und Sorge vor einem Atomkrieg in Europa, gar vor einem dritten Weltkrieg waren vielfach zu spüren.

Das Wort des Jahres durch die Kameralinse der GfdS

Dass unsere Aktion »Wort des Jahres« jedes Jahr ein großes Presseecho nach sich zieht, ist nichts Neues. Fast jede größere und kleinere Zeitung berichtet über das frisch gewählte Wort, doch die Berichterstattung und auch die Bilder der Pressekonferenz ähneln sich oft sehr. Bei der Wahl zum Wort des Jahres 2023 (»Krisenmodus«) haben wir die Aktion daher selbst begleitet – mit unserer eigenen Kamera und unserer eigenen kleinen Berichterstattung, was hinter den Kulissen geschieht.

Frühere Jahreswörter und Begründungen

Auf dieser Seite finden Sie alle Listen der Wörter des Jahres von 1971/1977 bis heute, ab 2005 mit entsprechenden Pressemitteilungen und Erläuterungen der Wörter:

Zum Wort des Jahres 2010 »Wutbürger« haben wir zudem ein Zeit-Wort veröffentlicht:

Hintergründe und Wissenswertes

Was hat es mit dem Wort des Jahres auf sich? Wie populär muss ein Wort sein, um es in die Liste zu schaffen? Und wie wird überhaupt gewählt? Der Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Sprache, Prof. Dr. Peter Schlobinski, erklärt in fünf kurzen Videobeiträgen Hintergründe und Wissenswertes rund um die Aktion »Wort des Jahres«.

Wie alles begann

Als erstes deutsche Wort des Jahres gilt aufmüpfig. Dieses wurde 1972 in unserer Zeitschrift Der Sprachdienst in einem kurzen Aufsatz des Anglisten Broder Carstensen mit dem Titel »Die Wörter des Jahres 1971. Ein Rückblick« veröffentlicht. Obwohl die GfdS Worteinträge in einer sogenannten Ewigkeitsdatei, einem umfangreichen Archiv mit Tausenden von Sprachbelegen, seit 1970 systematisch und kontinuierlich sammelt, führte Carstensen erst fünf Jahre später auf Initiative des Sprachdienst-Redakteurs Helmut Walther die Wahl zukünftiger »Wörter des Jahres« fort; 1977 wurde Szene das nächste Wort des Jahres; die Wahl der Wörter des Jahres sollte fortan mittels der Sammlung in der Ewigkeitsdatei regelmäßig eine Retrospektive des Jahres widerspiegeln.

1981 übernahmen die GfdS-Mitarbeiter Gerhard Müller und Helmut Walther die Auswahl des Jahreswortes zunächst unter dem Titel »Momentaufnahmen. Beobachtungen im sprachlichen Geschehen«, später dann weitere Autoren(teams), welche dem jeweiligen Beitrag ebenfalls den Titel »Momentaufnahmen« gaben. In diesen Jahren wurden Ellenbogengesellschaft (1982), heißer Herbst (1983), Umweltauto (1984) und Glykol (1985) gekürt. Ab 1986 wählte man den Titel »Deutsch (+ Jahreszahl)«, bevor mit Zustimmung der Carstensen-Erben die GfdS einige Jahre nach dem Tod des Wort-des-Jahres-Initiators 1992 zum Titel »Wörter des Jahres« zurückkehrte. Seither wird jährlich aus einer Sammlung von mehreren tausend Wörtern unter diesem Titel der Jahressieger gekürt.

Wortcast-Folge: Wort des Jahres

In unserem unserem Podcast haben wir mit Prof. Dr. Jochen A. Bär, Germanist an der Uni Vechta und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für deutsche Sprache, über die Wörter des Jahres gesprochen: Wie ist diese Aktion eigentlich entstanden, was sind die Hintergründe, wie werden die Wörter gewählt und was lässt sich an den Jahreswörtern ablesen? Freuen Sie sich auf Einblicke rund um die jährliche Wahl der Wörter des Jahres und auf Hintergründe zu den Entscheidungen der Jury.

Die Wörter des Jahres in anderen Ländern

Die Aktion »Wörter des Jahres«, von der GfdS 1971 ins Leben gerufen, hat inzwischen weltweit Nachahmer gefunden. So gibt es inzwischen rund um den Globus vergleichbare Wahlen, über die wir in unseren jährlichen Sprachdienst-Artikeln zum Wort des Jahres immer wieder berichten. Zum Wort des Jahres 2020 kamen dazu erstmals Jurymitglieder dieser Wortaktionen im Ausland selbst zu Wort und berichten über Auswahlprozesse und aktuelle Wortlisten.

Ronja Walter: Die Wörter des Jahres 2020 im internationalen Vergleich.
In: Der Sprachdienst 3–4/2021, S. 78–94.

Im Folgenden stellen wir Ihnen einige der Aktionen zu den Jahreswörtern in anderen Ländern vor:

Österreich: Das österreichische Wort des Jahres wird seit 1999 gekürt. Die Wahl erfolgt über eine Online-Abstimmung und wird durch eine Jury der Gesellschaft für Österreichisches Deutsch (GSÖD) begleitet.

Schweiz: Aufgrund der Mehrsprachigkeit wird in der Deutschschweiz seit 2003 ein eigenes Wort des Jahres gekürt. Seit einigen Jahren ermitteln Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zusammen mit einer Jury und unter Einbezug von Publikumsvorschlägen die Jahreswörter mittels großer Datenbanken.

Liechtenstein: Zu den Aufgaben des gemeinnützigen Vereins »Wort des Jahres Liechtenstein« gehören die Sammlung, Zusammenstellung und Kommentierung des aktuellen Wortschatzes. Die Wahl zum Wort des Jahres erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Liechtensteiner Presseclub (LPC).

Niederlande und Belgien: Für die Niederlande und Belgien können die Bürgerinnen und Bürger getrennt voneinander über das Online-Portal des Van-Dale-Verlags  über das »Woord van het Jaar« abstimmen.

Frankreich: Der bekannte französische Wörterbuchverlag Le Robert kürt jährlich die Jahreswörter

Polen: In Polen gibt es eine landesweite Abstimmung, die von den Sprachwissenschaftler(inne)n der Universität durchgeführt wird, als auch eine Onlineumfrage über die Wörter des Jahres.

Großbritannien: Das Wort das Jahres in Großbritannien wird durch die Sprachwissenschatler/-innen bei Oxford Languages, bekannt für das Oxford English Dictionary, gewählt.

Schweden: Die Jahreswörter in Schweden werden durch das das Schwedische Institut für Sprache und Folklore danach ausgewählt, wie häufig ein Wort in den Medien erscheint. Die für die Wahl in Frage kommenden Wörter werden einer sogenannten New-Word-Liste entnommen, die von der Schwedischen Akademie herausgegeben wird. 

Australien: In Down Under wird die Wahl von zwei Institutionen unabhängig voneinander durchgeführt: vom Verlag des Macquarie Dictionary und vom Australian National Dictionary Centre. Miteinbezogen werden dabei die Ergebnisse einer in der australischen Bevölkerung durchgeführten Umfrage.

USA: Neben der American Dialect Society (ADS) wählt auch der Wörterbuchverlag Merriam Webster Wörter des Jahres.

China: In China gibt es nicht nur ein Wort des Jahres, sondern gleich mehrere, die von verschiedenen Zeitungen, Verlagen und Internetkanälen gekürt werden.

Japan: In Japan wir schon seit 1984 jährlich am 1. Dezember ein Wort des Jahres gekürt. Verantwortlich für die Wahl ist der Enzyklopädieverlag Jiyuukokuminsha.

Tschechien: In der Tschechischen Republik wird die Liste der Wörter des Jahres sowohl von den Leserinnen und Lesern der Zeitschrift Lidovky als auch von deren Herausgebern bestimmt.

Ukraine: Das ukrainische Wort des Jahres wird vom Wörterbuchportal Mislovo ausgewählt.

Katalonien: Das katalanische Wort des Jahres wird durch das Institut d’Estudis Catalans per Abstimmung gewählt.

Slowenien: Das Wort des Jahres wird seit 2016 vom ZRC SAZU (Research Centre of the Slovenian Academy of Sciences and Arts) organisiert. Jeder kann Vorschläge einreichen, aus denen dann zum Ende des Jahres 10 Wörter ausgewählt und veröffentlicht werden.

Hintergrund: Unser Wortschatz

Jedes Jahr im Dezember wählt die GfdS die Wörter des Jahres. Auffällig oft sind unter den Gewinnern Wörter, die man bis zu dem entsprechenden Jahr nie gehört hat. Hätten Sie vor 2016 gewusst, was unter Brexit zu verstehen ist? Oder konnten Sie mit dem Begriff Freistoßspray etwas anfangen, bevor es in der Bundesliga eingeführt wurde? Unter den Gewinnern unserer Aktion »Wort des Jahres« sind auffällig oft Wörter, die viele bis zu dem entsprechenden Jahr nie gehört haben. Sie sind prägend für ein ganzes Jahr und haben es damit verdient, zum Wort des Jahres gekürt zu werden. Oder hätten Sie vor 2016 gewusst, was unter Brexit zu verstehen ist, konnten Sie mit dem Begriff Freistoßspray etwas anfangen, bevor es in der Bundesliga eingeführt wurde? Diese neuen Wörter sind entweder Neologismen, also Neubildungen, oder sie werden aus anderen Sprachen übernommen und sind damit Fremd- oder Lehnwörter.

Wie und warum sich unser Wortschatz ständig erweitert, erklären wir in diesem Artikel genauer:

Und was ist mit dem Unwort des Jahres?

Immer wieder wird die GfdS auch mit der Unwort-Wahl in Verbindung gebracht. Dies ist einerseits nachvollziehbar – schließlich wurde diese Aktion 1991 vom damaligen Vorsitzenden des GfdS-Zweigs in Frankfurt am Main, Horst Dieter Schlosser, initiiert –, andererseits verwunderlich, denn schon 1994 nahm er die Aktion in eigene Regie. Seitdem wird die Wahl des Unwortes des Jahres von einer unabhängigen Jury durchgeführt, unabhängig dabei auch von der GfdS. Auch für diese Wahl können Vorschläge eingereicht werden, mehr noch: Die ganze Aktion basiert auf dem Mitwirken der Bevölkerung. Die Jury wählt das Unwort des Jahres dann im Januar des Folgejahres; zugrunde liegen jedoch andere Kriterien als für die Wahl zum Wort des Jahres.

Weitere Fokusthemen

Februar: Die Sprachberatung der GfdS
März: Geht die deutsche Sprache den Bach runter?
April: Wie entwickelt sich unser Wortschatz?
Mai: Namen
Juni: Leichte Sprache und Einfache Sprache
Juli: Verständliche Rechts- und Verwaltungssprache
August: Angebote für Sprachinteressierte
September: Kooperationen der GfdS
Oktober: Sprachberatung in Zahlen
November: Relevanzthema Nachhaltigkeit