21. März 2022

20. März: Internationaler Tag der französischen Sprache

Polina Kovaleva (Pexels)

Gestern, am 20. März, war Internationaler Tag der französischen Sprache, der Frankophonie. Was hat die deutsche Sprache damit zu tun?, fragt sich jetzt vielleicht die eine oder der andere. Nicht so wenig, denn das Deutsche hat im Laufe der Jahrhunderte viele französische Wörter in seinen Wortschatz aufgenommen. Es sind also nicht nur Anglizismen, die Eingang in die deutsche Sprache gefunden haben, auch französische Wörter, sogenannte Gallizismen, haben sich bei uns etabliert und damit vor längerer Zeit die Gemüter erhitzt. Auf diese Wörter richten wir heute unseren Blick.

Von 145.000 aller Stichwörter, die der Duden aktuell führt, sind rund 2.400 Wörter französischer Herkunft (z. B. Balkon, Restaurant, Galerie, Karosserie, Möbel). Übertroffen wird diese Zahl durch die griechischen und lateinischen Entlehnungen mit zusammen 6.800 Wörtern im Duden. Doch während die Ausdrücke Tisch oder Fenster niemanden empören und autodidaktisch oder Mathematik für einen gehobenen Sprachgebrauch stehen, sind einigen um die deutsche Sprache Besorgten Anglizismen heute ein Dorn im Auge.

Es stimmt, dass das Englische heutzutage einen starken Einfluss auf das Deutsche hat, denn in den Bereichen Technik und IT, Wirtschaft und Finanzen sowie Forschung und Wissenschaft ist Englisch die Lingua franca der internationalen Verständigung und Soziale Medien vernetzen die Welt – meist auf Englisch. Zahlreiche Begriffe werden somit auch in den deutschen Sprachgebrauch übernommen: Homeoffice, Computer, Online-Meeting, Social Media, Manager, Business, joggen, chillen, liken, googlen

Was heute die Anglizismen sind, waren vor etwa 300 Jahren die Gallizismen, also die aus dem Französischen entlehnten Wörter. Damals bemühten sich einige aufgebrachte Deutschsprechende um die Reinheit der deutschen Sprache. Auslöser für den gegen das Französische gerichteten Sprachpurismus, eine Bewegung, die schon vorher existiert hatte, war Folgendes: Der Adel war es bis zur französischen Revolution (1789 bis 1799) gewohnt gewesen, Französisch zu sprechen. Das aufkommende Bürgertum und Intellektuelle ahmten diese Noblesse nach und so kamen immer mehr französische Wörter in die deutsche Sprache. Dadurch entstanden Bemühungen durch Sprachpflegevereine, welche neben der Liebe zur deutschen Muttersprache im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts auch eine stark national geprägte Haltung hatten, die deutsche Sprache vor fremdem Einfluss zu schützen und Fremdwörter einzudeutschen. So sollte Gesichtserker statt Nase, Meuchelpuffer statt Pistole, Lotterbett statt Sofa und Tageleuchter statt Fenster verwendet werden – keins dieser Wörter hat sich durchgesetzt.

Dass wir heute weiterhin wie selbstverständlich von Balkons oder einem Restaurant sprechen, zeigt ebenfalls, dass diese Bewegung im 18. Jahrhundert nur bedingt Erfolg hatte. Zwar ist das Wort Restaurant, das auf das französische Verb restaurer ›wiederherstellen, stärken‹ zurückgeht, im Deutschen noch etwas jünger und wurde erst im 19. Jahrhundert aus dem Französischen übernommen. Aber Balkon hat sich bereits Ende des 17. Jahrhunderts etabliert. Und zwar so sehr, dass das Wort mit dem für das Französische typischen Nasallaut an die deutsche Phonologie angepasst wurde.

Das passiert immer wieder: Deutsche Muttersprachlerinnen und Muttersprachler passen im Redefluss die Phonologie von Fremdwörtern an die ihnen gewohnten Mittel der Aussprache an. So wird ein nasaliertes [ɔ] zu einem langen [o] und das im Französischen zwar geschriebene, jedoch nicht gesprochene <n> wird zu einem deutlich artikulierten, uns gewohnten Laut [ŋ] wie z. B. in Hang [haŋ]:

Französisch: balcon [balˈkɔ]
Deutsch: Balkon [balˈkɔ​ŋ] oder [balˈko:​n]

Je nach Aussprache als »Balkong« oder »Balkoon« wird auch die Pluralform bestimmt. [balˈkɔ​ŋ] (»Balkong«) wird durch Anhängen von <s> pluralisiert: Balkons (»Balkongs«). Bei nicht nasalierter Aussprache, aber dafür mit langem o gesprochen, sind es die Balkone. Das Wort wurde also nicht nur an die deutschen phonologischen Gegebenheiten, sondern auch an die deutsche Grammatik angeglichen und hat so mit dem französischen Original nicht mehr viel zu tun.

Solche Gallizismen oder allgemeiner: Romanismen (dies sind für eine romanische Sprache (Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch …) charakteristische Erscheinungen in einer nicht romanischen Sprache) sind uns mittlerweile geläufig. Wir kennen keine präzisere Bezeichnung für den »offenen Vorbau an einem Haus, auf den man hinaustreten kann«, und auch in den Theaterfluren werden wir nicht zu den »höher gelegenen Zuschauerräumen« verwiesen, sondern schlicht zu den Balkonen oder Balkons.

Ausdrücke des Sprachwandels, Lehn- und Fremdwörter sind im Deutschen also ganz normal und üblich. Sie stellen auch selten ein Hindernis dar, denn Aussprache und Beugung der Fremd- oder Lehnwörter werden der eigenen Sprache einfach angepasst, so dass sie in der Regel kaum noch von einheimischen Wörtern zu unterscheiden sind: Sie werden in unserem Wortschatz ebenfalls heimisch. Einige Erfolge konnten die Anhängerinnen und Anhänger des Sprachpurismus aber verzeichnen. So existieren noch heute einige Neuschöpfungen neben ihren fremdsprachlichen Pendants: Wir kennen neben der Adresse, die ebenfalls aus dem Französischen übernommen wurde, auch die Anschrift, Briefwechsel verwenden wir heute synonym zu Korrespondenz und Mundart ebenso wie Dialekt.

Wer heute Anglizismen kritisch betrachtet oder sie gar abschaffen möchte, der müsste sich ebenfalls neue Bezeichnungen für das Girokonto überlegen, das aus dem Italienischen entlehnt wurde. Eine Violine dürfte er oder sie nicht spielen, geschweige denn mit Bravo ein Ständchen bejubeln, denn diese französischen Lehnwörter hätten auch die Anhängerinnen und Anhänger des Sprachpurismus ersetzen wollen. Oder haben uns etwa unsere Cousinen und Cousins die Sprache verhunzt?

Dazu von uns ein klares Nein. Fremdwörter geben vielmehr Aufschluss darüber, welche Kulturströmungen zu einer bestimmten Zeit besonders stark auf den deutschen Raum gewirkt haben. Sie kommen oft mit den neuen Gegenständen oder Sachverhalten, die sie bezeichnen, in unsere Sprache und füllen dort in den allermeisten Fällen eine Bezeichnungs- oder Bedeutungslücke.

Wer nutzt nicht gerne einen Whirlpool? Auch hier sei darauf verwiesen, dass dieser Ausdruck – wie das Handy und der Oldtimer – von uns Deutschen verwendet wird, nicht aber von den Muttersprachlerinnen und Muttersprachlerin des Englischen selbst, aus dem er direkt übernommen zu sein scheint. Hier spricht man von einer Scheinentlehnung, denn Englischsprachige sprechen bei der Entspannung in einem mit Wasser befüllten und blubbernden, rundförmigen Sprudelbad von einem hot tub. Die vielfach befürchtete »Überschwemmung« durch Anglizismen und Amerikanismen, die gerade einmal 3 Prozent der im Duden geführten Stichwörter ausmachen, ließe sich in diesem sicherlich angenehm beobachten.

Quellen

Duden, Das große Fremdwörterbuch. Mannheim 2007.
Duden, Das Herkunftswörterbuch. Mannheim 2001.
Peter Braun (Hrsg.): Fremdwort-Diskussion. München 1979.
www.wikipedia.de

Zum Weiterlesen und Weiterhören

Mit dem Thema Sprachwandel, »Verunglimpfung« der deutschen Sprache durch Fremdwortgebrauch und speziell mit Anglizismen haben wir in unserer täglichen Arbeit in der Sprachberatung immer wieder zu tun. Einiges haben wir dazu bereits auf unserer Internetseite veröffentlicht:

Mit einem sehr frühen Sprachpflegeverein, der Fruchtbringenden Gesellschaft, setzt sich Prof. Dr. Klaus Conermann in unserer Zeitschrift Muttersprache auseinander. Der Artikel ist hier vollständlig zugänglich:

Klaus Conermann: »Purismus in der Spracharbeit der Fruchtbringenden Gesellschaft? Zur Bedeutung von Richtigkeit und Reinheit in der Puritas- und Decorum-Rhetorik der deutschen Sprachreform im 17. Jahrhundert.« In: Muttersprache 3/2013.