Ausgabe: Der Sprachdienst 2/2019

Der Unterschied zwischen heraus und hinaus

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[F] Kann ich sagen: Ich wachse aus dem Vertrauten heraus? Oder muss es zwingend hinaus heißen? Was ist denn eigentlich der Unterschied zwischen heraus und hinaus?

[A] Die Ausdrücke heraus und hinaus haben eine Gemeinsamkeit: Sie haben beide etwas damit zu tun, nach »(dr)außen« zu gelangen. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass bei heraus immer davon auszugehen ist, dass sich jemand oder etwas bereits (dr)außen befindet, zu dem jemand oder etwas anderes hinzutritt: Die Mutter ruft die Kinder heraus in den Garten (= die Mutter befindet sich bereits im Garten) vs. Die Mutter schickt die Kinder hinaus in den Garten (die Mutter befindet sich noch im Haus). Mit hinaus wird zum Ausdruck gebracht, dass sich jemand oder etwas aus einem bekannten, nämlich »diesem Bereich hier« in einen anderen Bereich bewegt; auch hier handelt es sich zumeist um eine Bewegung von drinnen nach draußen, jedoch ist die Perspektive eine andere: Bekannt ist das Drinnen, von dem man sich wegbewegt.

Etwas pauschal gesagt: Mit heraus wird eine Bewegung aufeinander zu bezeichnet, mit hinaus eine Bewegung voneinander weg bzw. von etwas Bekanntem zu etwas Unbekanntem. Welches Wort zu verwenden ist, hängt also stets mit der Perspektivierung des fraglichen Satzes zusammen und ist jeweils im Einzelfall zu bewerten.

Auch mit den Ausdrücken herauswachsen und hinauswachsen gehen zwei unterschiedliche Bedeutungsaspekte des Grundworts wachsen einher. Herauswachsen steht für ›aus etwas nach draußen wachsen, wachsend aus etwas herauskommen‹ und ›für ein Kleidungsstück/einen Gegenstand o. Ä. zu groß werden‹. Beispiele sind »Die Pflanze wächst schon unten aus dem Topf heraus« (= in unsere Richtung) und »Das Kind ist aus dem Mantel herausgewachsen«; vgl. Duden ‒ Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Aufl. Mannheim 2012). Hinauswachsen steht für ›sich durch Wachsen über etwas hinaus erstrecken, größer werden als etwas‹ (»Der Baum ist übers Dach hinausgewachsen« = von uns weg), ›durch Wachsen und Älterwerden überwinden, über etwas hinauskommen‹ (»Über das Alter des Spielens sind die Kinder hinausgewachsen«) sowie ›durch Reiferwerden/Fortschritte/Steigerung übertreffen; über jemanden/ etwas hinauskommen‹ (»Sie ist über ihren Lehrer, ihr Vorbild hinausgewachsen«) (vgl. Duden ‒ Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Aufl. Mannheim 2012).

Vergleicht man diese beiden Definitionen der Ausdrücke herauswachsen und hinauswachsen miteinander, wird deutlich, dass für den erfragten Satz »Ich wachse aus dem Vertrauten hinaus/heraus« nur das Verb hinauswachsen korrekt sein kann. Herauswachsen ist aufgrund der abstrakten Bedeutung sowie der Perspektivierung nicht passend: Der Sprecher bewegt sich vom Vertrauten weg, nicht darauf zu.