Deutsch in Israel
Mehr als 60 Jahre nach dem Holocaust und der Auswanderung deutscher Juden nach Israel stellten wir die Frage: Wie steht es heute um die deutsche Sprache in einem Land, in dem ein Teil der Bevölkerung deutsche Vorfahren hat, die ihre Sprache mit ins Land brachten? Gerade angesichts der Naziverbrechen an den Juden und der jahrzehntelangen offiziellen Tabuisierung des Deutschen in Israel ist zu analysieren, inwieweit sich die Stellung dieser Sprache in Israel angesichts der mittlerweile guten Beziehungen der beiden Länder verbessert hat.
Aus diesem Grund veranstalteten wir mit Unterstützung des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien am 10. und 11. Januar 2012 im Goethe-Institut Tel Aviv ein Symposion zum Thema »Deutsch in Israel«. Im Einklang mit der Behandlung genereller sprachpolitischer Fragen ging es um die Entwicklung des Deutschen in Israel/Palästina und um seine heutige Stellung im Vergleich zu anderen Fremdsprachen. Ein besonderer Fokus lag dabei auf dem Schul- und Universitätsunterricht und der Arbeit wichtiger Sprachinstitutionen.
Die Tagung hat die kulturpolitischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland sowie die Rolle des Deutschen in Israel sehr ausführlich beleuchtet und Menschen mit deutschen Vorfahren, aber auch solche, die keinen deutschen Hintergrund besitzen, zum Deutschlernen motiviert.
Begrüßungsworte sprachen Andreas Michaelis, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel, der positive Veränderungen im politisch stark geprägten Deutschlandbild in den letzten Jahrzehnten skizzizerte, und der Vorsitzende der GfdS, Armin Burkhardt, der mit Bezug auf die Vergangenheit die aktuellen Aufgaben der Gesellschaft für deutsche Sprache allgemein und speziell in Israel umriss, denn eine Zusammenkunft in diesem Land zum Thema Deutsch sei auch 65 Jahre nach dem Kriegsende noch immer keine Selbstverständlichkeit. Andrea-Eva Ewels, Geschäftsführerin der Gesellschaft für deutsche Sprache, hielt ihre Begrüßungsrede auf Hebräisch und erntete für diese völkerverbindenden Worte großen Respekt.
Die drei Plenarvorträge am 10. Januar befassten sich mit den Rahmenbedingungen für das Sprachenlernen und Sprachennutzen im Gastland.
Grundlegendes bot die schon lange im Gastland lebende Journalistin Gisela Dachs in ihrem Vortrag »Über die kulturpolitischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland«. Ihr Überblick über das letzte Jahrhundert gab aufschlussreiche Zeugnisse der deutschen Sprache und Kultur.
Fachkundig referierte der Publizist, Autor und Hochschullehrer Jakob Hessing über »Die Germanistik in Israel«. Er postulierte aus einer mehrheitlich literaturwissenschaftlichen Sicht die Chancen für das Fach Germanistik mit einer »Wiederkehr des Verdrängten« und meint damit historische Texte (natürlich vor allem auch den Bibeltext) und den Umgang mit dem Deutschen vor der Zeit des Naziregimes. Da es ein kohärentes (linguistisches) Germanistikkonzept nicht gibt, entstehen Wünsche und auch Forderungen nach einem Curriculum für Deutsch in verschiedenen Ausbildungsbereichen.
Die Hochschullehrerin Karin Neuburger regte an, das Thema »Die Geschichte der deutschen Sprache in Palästina/Israel« nicht statistisch, sondern mit dem Verständnis von Sprache als Kommunikationsmittel zu behandeln und somit verschiedene Sichtweisen und Zugänge zu nutzen.
Der Nachmittag des ersten Tagungstages war dem Thema der 5. Alija und ihren Nachkommen gewidmet. Der Begriff der 5. Alija, hebr. „Aufstieg“, bezeichnet die deutschsprachigen Juden, die zwischen 1933 und 1948 in Israel eingewandert sind.
Schon lange beschäftigt sich Hochschullehrerin Anne Betten von der Universität Salzburg mit dem Thema der „deutschen Sprache bei der 1. und 2. Generation deutschsprachiger Immigranten“. Durch narrative autobiographische Interviews hat sie herausgearbeitet, inwiefern Deutsch von dieser Bevölkerungsgruppe in Israel noch gesprochen wurde und wird, welchen Stellenwert das Deutsche im Leben dieser Menschen hat und welchen Einfluss der Sprachwechsel und die Annäherung an die israelisch-jüdische Kultur hierauf hatten. In einer Diskussionsrunde zum Thema »Das zwiespältige Verhältnis der 2. Generation zur deutschen Sprache und Kultur« kamen Angehörige der 2. Generation selbst zu Wort.
Der zweite Tag des Symposions war den Kultur- und Sprachmittlern sowie dem Erfahrungsaustausch gewidmet. Als Vertreter der Deutschen Botschaft Tel Aviv sprach deren Kulturreferent Stefan Kobsa über die »Schwerpunkte der deutschen Kulturarbeit in Israel«. Der Großteil der Kulturarbeit im Land sei mittlerweile an das Goethe-Institut übergeben worden; historisch begründet sei es gerade in Israel wichtig, deutsche Kulturarbeit zu leisten. Wenn auch die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel laut Kobsa noch immer einzigartig sind, so wurden doch deutliche Fortschritte gemacht und Deutsch kann mittlerweile offen auf der Straße gesprochen werden.
Auch thematisch schloss sich der Beitrag von Gabriele Feigl, Vertreterin der Österreichischen Botschaft Tel Aviv, hieran an. Sie berichtete über die »Österreichische Kulturarbeit in Israel«, die eng mit der Deutschlands verbunden ist, und erläuterte, dass Österreich im Ausland vor allem über seine Kultur wahrgenommen wird – Stichwort Mozart, Schnitzler, Klimt. Um darüber hinaus auch ein modernes und aktuelles Bild sowie den österreichischen Grundsatz »Einheit in der Vielfalt« zu vermitteln, wird versucht, Netzwerke und partnerschaftliche Kooperationen aufzubauen.
Elisheva Moatti stellte das »Center für German Studies at the Hebrew University« vor, das 2007 seine Tätigkeit aufgenommen hatte, indem ein interdisziplinärer Masterstudiengang eingerichtet wurde. Es ist wie andere Regionalzentren in das Europäische Forum der Hebräischen Universität in Jerusalem eingegliedert und bietet einen historischen und kulturellen Rahmen, in dem sich die Studierenden etwa mit dem Deutschland der Nachkriegszeit beschäftigen und die Möglichkeit erhalten, Exkursionen in Länder mit ehemals deutscher Sprache und deutscher Kultur durchzuführen.
Der Leiter des Goethe-Instituts Tel Aviv Klaus Krischok referierte zum Thema »Deutschlernen im Goethe-Institut«. Das Goethe-Institut sieht es als seine Aufgabe an, ein modernes Deutschlandbild zu vermitteln, das Kenntnisse von Sprache, Kultur und vom Land selbst umfasst. Im Bereich Sprache ist das Goethe-Institut Tel Aviv der größte Anbieter von Deutschkursen in Israel. Dennoch scheint es immer schwieriger, Deutsch als Fremdsprache in Israel am Leben zu erhalten. Um die Aufgabe des Kulturaustausches wahrzunehmen, kümmert sich das Goethe-Institut einerseits um Holocaust-Überlebende, andererseits um eine erweiterte Zielgruppe der 18- bis 32-jährigen Israelis.
Zum »Engagement des DAAD« gab fachkundig dessen Lektorin in Jerusalem Anette Dressel Auskunft. Das DAAD verschreibt sich in Israel neben der Förderung der deutschen Sprache verschiedenen Aufgaben und betreut und fördert damit sowohl aktuelle Stipendiaten, Alumni als auch Dozenten verschiedener Fächer. Diejenigen, die das Angebot an Deutschkursen an der Hebräischen Universität nutzen, sind häufig »halbe« Muttersprachler, ihre Anzahl nimmt jedoch stetig ab.
Gemeinsam berichteten anschließend Siegfried Kremeyer, Deutschlehrer in Bethlehem, und Petra Tänzer, Deutschlehrerin in Eilat, über den »Deutschunterricht an Schulen in Israel«. Derzeit gibt es in Israel sechs bzw. demnächst sieben Schulen, an denen in AGs Deutsch als Fremdsprache unterrichtet wird. An der Rabin-Schule in Eilat wird Deutsch auf dem B1-Niveau angeboten, doch die meisten Schüler erreichen nur die Stufe A2. Frau Tänzer betrachtet die Umstände der Deutschlehre in Israel kritisch: Bisher gibt es keine Koordinationsstelle, die einen einheitlichen Lehrplan erstellt.
Im Anschluss hieran stellten Brigitte Hahn-Michaeli vom Technion Haifa und Joachim Warmbold, Vorsitzender des »Deutschlehrerverbands Israel« (DVI), dessen Arbeit vor. Der Verband wurde 1986 gegründet und hatte ehemals ca. 80, heute nur noch 36 Mitglieder. Dies liegt mitunter an den unattraktiven Bedingungen für Lehrkräfte. Der DVI bietet Lehrerfortbildungen an und richtet Tagungen aus. Was die deutsche Sprache betrifft, so ist die Lehrsituation in Tel Aviv stark angespannt: Während sich die Zahl der Studierenden verdreifacht hat, wurde die Zahl der Lehrkräfte reduziert. Dies ist unmittelbar von der fehlenden Notwendigkeit abhängig, eine Fremdsprache zu erlernen, denn dies wird an vielen Fakultäten nicht mehr gefordert. Zum Deutschlernen muss daher der Wille vorhanden sein.
Von der »deutschen Sprache in Haifa und Tivon« handelte der folgende Vortrag von Cathrin Shalev. Die gebürtige Deutsche leitet seit 2007 die in Haifa eingerichteten Deutschkurse. Durch gezielte Werbung gelang es ihr, den Bekanntheitsgrad der Deutschkurse in Haifa zu steigern. Dadurch haben sie sich seit 2007 versechsfacht, die Anzahl der Lernenden hat sich gar verneunfacht.
Den Abschluss der Vortragsrunde bildete der Beitrag von Marion Woloszyn, u. a. ehrenamtliche Vorsitzende des Vereins der »Freitagsschule in Jerusalem«, die sie in diesem Rahmen vorstellte. Die Schule wurde 1986 gegründet und setzt sich zum Ziel, Kinder mit deutschsprachigem Hintergrund zusammenzubringen; jegliche Politik und Religion bleibt dabei strikt außen vor. Damit die Kinder in die Sprache hineinwachsen können, soll ihnen diese über die deutsche Kultur und Literatur nähergebracht werden.
Den Abschluss der Tagung bildete eine Diskussion, geleitet von Rudolf Hoberg. Zusammenfassend sollte noch einmal gemeinsam analysiert werden, wie es derzeit um die deutsche Sprache in Israel bestellt ist und was in Zukunft zur Verbesserung ihres Stands unternommen werden kann. So zeichnete sich deutlich ab, dass es zwar ein Deutschangebot an israelischen Universitäten gibt, dies jedoch von Interessierten häufig nicht genutzt werden kann, da in den Schulen keine Grundkenntnisse vermittelt werden. Wünschenswert ist daher, dass Deutsch zukünftig an israelischen Schulen als reguläres Schulfach angeboten wird. Für das bereits bestehende Angebot an Deutschkursen ist zudem vermehrt zu werben. Problematisch stellt sich zudem die Situation der Deutschlehrer dar: Muttersprachlichen Deutschlehrern fehlt es oft an Hebräischkenntnissen, während israelische Deutschlehrer ohne die Möglichkeit eines Studienaufenthalts in Deutschland ausschließlich im eigenen Land ausgebildet werden. Um diesem Problem zu begegnen, ist jedoch zunächst das reguläre Fach Deutsch einzuführen, damit Deutschlehrer zum konkreten Berufswunsch werden kann. Bemühungen von Seiten Israels um regulären Deutschunterricht an israelischen Schulen sind von Deutschland aus zu unterstützen, sowohl ideell als auch finanziell und durch Bereitstellung von Lehrkräften.
Beiträge zum Nachlesen
Ein ausführlicher Tagungsbericht wurde im Sprachdienst, Heft 2/2012, abgedruckt. Viele der Beiträge dieses Symposions wurden zudem im Sprachdienst, Heft 4–5/2013, veröffentlicht. Beide Hefte können Sie direkt bei uns bestellen: