Ausgabe: Muttersprache 3/2009

Einleitung zum Themenheft: Keule und Schlögel? oder: Was Polen und Engländer unter »Fische fangen« verstehen

Am 6. und 7. November 2008 fand im Goethe-Institut in Brüssel eine Tagung zum Thema »English only? Was wird aus Deutsch und den anderen europäischen Sprachen?« statt. Am 7. November 2008 ging es in der Sektion II um Die deutsche Rechtssprache in der EU und die EU in der deutschen Rechtssprache (Leitung: Prof. Dr. Karin M. Eichhoff-Cyrus, Geschäftsführerin der GfdS, und Prof. Dr. Prof. h. c. Gerd Antos, Germanistisches Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg).

Was sich in der Überschrift wie ein kleines Wortspiel ausnimmt, soll auf eine Verzahnung aufmerksam machen, die bislang kaum so gesehen wird. Denn wenn Deutsche an Brüssel denken, dann häufig in Stereotypen von »Bananenverordnung« und »Gurkenkrümmungsverordnung« oder in der Sorge, der vom Bundesverfassungsgericht nun freigegebene Weg für den Vertrag von Lissabon würde zu einer Entmachtung des Deutschen Bundestages auf Kosten der europäischen Institutionen führen. Richtig daran ist: Immer mehr Gesetze und Verordnungen kommen aus Brüssel, bevor sie in nationales Recht umgesetzt werden. Natürlich sieht die Öffentlichkeit häufiger nur die immer wieder zitierte »Regulierungswut« der »Brüsseler Bürokraten«, die – nebenbei gesagt – oft nur nationales Wirrwarr ersetzt und/oder harmonisiert. Dass wir ohne die EU, wie z. B. bei der Finanz- und Klimakrise, nur noch eine Statistenrolle in der Welt spielen würden, tritt bei vielen in den Hintergrund.

Wichtig für die öffentliche Diskussion und Akzeptanz der Rechtssetzungsakte ist allerdings der Zugang über die Sprache. In ihrem Grußwort setzt sich die Justizministerin des Landes Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Angela Kolb, für die Verwendung der deutschen Sprache als Amtssprache in der Europäischen Union ein, gleichberechtigt neben Englisch und Französisch als den drei traditionellen Arbeitssprachen. Die Politik sei aufgerufen, die deutsche Sprache in der EU zu fördern, auch deswegen, weil die Deutschen die größte Sprachgemeinschaft in der EU bilden und Deutsch als Zweitsprache von Bedeutung ist.

Symptomatisch für das verzwickte Für und Wider ist die Sprachenproblematik in der EU und hier die Stellung des Deutschen in europäischen Institutionen. Beides ist ganz eng mit dem deutschen und dem österreichischen Rechtssystem verwoben. Die eigene (Mutter-)Sprache bildet das scheinbar natürliche Begriffs-, Bezugs- und kodifizierte Wertesystem für eine (nationale) Gemeinschaft. Deshalb haben die Österreicher für heimische Bezeichnungen wie Schlögel (statt Keule) gekämpft, für Kren statt Meerrettich oder für Marillenmarmelade und gegen die EU-konforme Aprikosen-Konfitüre (vgl. den Beitrag von Prof. Dr. Rudolf Muhr: »Unterschiede in der Rechtsterminologie Deutschlands und Österreichs und die Folgen für die Rechtssprache Deutsch im Rahmen der Europäischen Union«). Natürlich erscheint das für die meisten Deutschen eher amüsant (es sei denn, sie kommen aus Altbaiern oder Rest-Bayern). Peinlich berührt sind dann aber häufig gerade die Gleichen, wenn sie auf europäischer Ebene mit englischen (oder französischen) Termini oder Rechtssystemen konfrontiert werden.

Dabei ist klar: Die Dominanz des Englischen in der EU ist ebenso faktizitätskonstituierend, wie sie politisch und rechtlich problematisch ist (vgl. die Beiträge von Prof. Dr. Jan Engberg und Prof. Dr. Rainer Wimmer). Beide Autoren beziehen sich in ihren Beiträgen aus verschiedenen Perspektiven, aber mit überraschenden Konsequenzen und Einsichten, auf einen folgenreichen Rechtsstreit, in dem der Europäische Gerichtshof (EuGH) der eminent linguistischen Frage nachgehen musste, was in den EU-Sprachen das bedeutet, was wir im Deutschen ganz unbefangen »Fische fangen« nennen.

In zwei weiteren Beiträgen stehen ganz praktische Aspekte im Umgang mit der Mehrsprachigkeit in der EU im Vordergrund. So thematisiert Rebecca West (Beraterin für Vielsprachigkeit beim Europäischen Parlament) in ihrem Artikel zum einen die Probleme, die sich aus der Vielzahl der Sprachenkombinationen ergeben – zumal nach der Erweiterung auf 27 Mitgliedsstaaten. Zum anderen kommen auch die Kosten zur Sprache, die die anfallenden Übersetzungen verursachen. Und nicht zuletzt stellt sie am Ende ihres Beitrags auch die Frage, welche Folgen die Mehrsprachigkeit in der EU und die Dominanz des Englischen eigentlich für die englische Sprache haben.

Im Beitrag von Regierungsdirektorin Elke Schade mit der programmatischen Frage: »Vertragen sich europäische und deutsche Rechtssprache? – Leidensdruck bei der Umsetzung der von EU-Recht« geht es nicht um sprachliche Nuancen, sondern platterdings um das politisch relevante Verhältnis (bzw. um das Zusammen- und Gegenspiel) von EU-Recht (und da insbesondere EU-Richtlinien) einerseits und Bundesrecht andererseits. Hier muss von deutschen Juristen sowohl in Brüssel als auch vor allem in Berlin eine wechselseitige Passung versucht werden, die – auch bezüglich ihres »Leidensdrucks« – anschaulich das beleuchtet, was mit der Themenstellung der Tagung und des Heftes als »Die deutsche Rechtssprache in der EU und die EU in der deutschen Rechtssprache« anvisiert wird. Wie dieses dialektische Verhältnis in der konkreten Realität aussieht, zeigt eine abschließende Feststellung bzw. Forderungen des genannten Beitrags: »Je besser eine EG-Richtlinie formuliert ist, desto besser ist der Umsetzungsbedarf erkennbar. Ist dann auch die umsetzende Norm sprachlich klar und verständlich formuliert, wird man umso besser in der Lage sein, gegenüber der Kommission darzulegen, dass sich die Richtlinie inhaltlich und europarechtskonform im deutschen Recht wiederfindet« (S. 197).

Diese Forderung führt zu einer Frage, die Juristen zunächst merkwürdig erscheinen mag: Gesetzt den Fall, polnische, portugiesische oder irische Juristen (etwa in Brüssel) wollten einen Einblick in die deutsche Rechtssprache erhalten: Wo und wie könnten sie diese im In- und Ausland überhaupt erlernen, ohne gleich ein ganzes Studium Europarecht »dranzuhängen«? Dass heute das deutsche Rechtssystem mit anderen Rechtssystemen in der EU nolens volens konkurriert, ja konkurrieren muss, ist eine für viele noch sehr ungewohnte Perspektive. Umso wichtiger die Frage, der Prof. Dr. Jan Iluk in seinem Beitrag nachgeht:Wo sind die Standorte der Vermittlung der deutschen Rechtssprache, ihre Lehrprogramme, welche sprachlichen Anforderungen für Kurse gibt es – welche Lehrmaterialien und methodischen Konzepte?

Die Sprache des Rechts ist auch politische Sprache in dem Sinne, dass sie abhängig ist von politischen Rahmenbedingungen. Die Tagung in Brüssel und die hier publizierten Beiträge sollen Anregung sein für die Diskussion um eine europäische Rechtssprachenpolitik.

Antos, Gerd/Eichhoff-Cyrus, Karin