Es geht um die Wurst
Da hat Agrarminister Christian Schmidt eine Diskussion losgetreten: Mit der Begründung, die Bezeichnungen veganer und vegetarischer Produkte als Wurst oder Fleisch seien irreführend, will er diese – also die Bezeichnungen – verbieten und damit zum Verbraucherschutz beitragen. Er möchte, dass vegetarische oder vegane Fleischimitate, sogenannte Pseudo-Fleischgerichte, in Zukunft eigene Namen bekommen und nicht mehr die Bezeichnungen »echter« Fleischprodukte tragen. Eine Wurst ist eine Wurst ist eine Wurst – eine vegane Wurst ist ein Paradoxon. Stimmt denn das?
Betrachten wir die Wurst aus sprachlicher Sicht – denn darum geht es hier letztlich. Laut Duden (»Großes Wörterbuch der deutschen Sprache«, 4. Auflage, Mannheim 2012) sind unter Wurst – übrigens ein urdeutsches Wort, dessen Herkunft unsicher ist; möglicherweise ist es entstanden aus *ŭr̊tsti- zu indogermanisch *ŭert ›drehen‹ – zwei unterschiedliche Dinge zu verstehen, deren gemeinsames Merkmal ihre Form ist: Einerseits handelt es sich um ein »Nahrungsmittel aus zerkleinertem Fleisch […], das in (künstliche) Därme gefüllt wird«, andererseits bezeichnet eine Wurst »etwas, was wie eine Wurst aussieht, die Form einer länglichen Rolle hat«, also nicht einmal ein Lebensmittel sein muss. So können etwa auch ein zusammengerolltes Handtuch oder eine Teigrolle als Wurst bezeichnet werden. Damit ist unsere Frage eigentlich schon beantwortet, denn eine vegane Wurst kann demnach ein Produkt bezeichnen, das die Form einer Wurst hat, also eine längliche Rolle ist, dabei aber eben kein Fleisch enthält. Auch bei den Grimms (»Deutsches Wörterbuch«, Leipzig 1854 ff.) ist schon vielfach belegt, dass eine Wurst allein aufgrund ihrer Form, nicht ihres Inhalts als solche bezeichnet wurde und werden konnte. Als Fazit könnte man sogar anführen, dass die Spezifizierung »vegane« Wurst nicht zur Irreführung, sondern im Gegenteil zur Klarstellung dient, dass es sich eben nicht um ein Fleischprodukt handelt, hier also die zweite Definition des Ausdrucks greift.
Schwieriger wird es bei anderen Bezeichnungen veganer, aber doch Fleisch imitierender Lebensmittel: Hähnchenschenkel, Schnitzel, Hackfleisch, Frikadellen, Schinkenspicker und sogar Fleischwurst – an der Bezeichnung hat sich nichts geändert, sie verweisen unmissverständlich auf Fleischprodukte. Bei einigen Produkten wird, meist recht klein, im Namen die Vergleichspartikel wie hinzugefügt (wie Hackfleisch, wie Schnitzel, wie Fleischwurst), bei anderen, so eben auch bei der hier besprochenen veganen Wurst, tritt das Attribut vegan bzw. vegetarisch hinzu. Unwillkürlich fragt man sich: Warum? Wer sich für eine vegane bzw. vegetarische Ernährung entscheidet, nimmt doch bewusst keins dieser Lebensmittel im Original zu sich. Da ist der Geschmack wohl das entscheidende Kriterium: Wer auf Fleisch oder andere tierische Produkte verzichtet, tut dies nicht notwendigerweise deshalb, weil es ihm nicht schmeckt, sondern ihn leiten ethische oder moralische Gründe. So wird versucht, den Geschmack von Fleischprodukten durch ähnlich gewürzte pflanzliche Produkte nachzuahmen. Um kenntlich zu machen, welchen Geschmack der Verbraucher erwarten darf, helfen die ergänzten Originalbezeichnungen: Wer etwa vegane Leberwurst kauft, kann somit davon ausgehen, dass der Geschmack dem von »echter« Leberwurst nahekommt – das Attribut verweist jedoch unmissverständlich darauf, dass die Inhaltsstoffe frei von tierischen Produkten sind.
Anders als bei Milch sind die Bezeichnungen von Fleischprodukten jedoch rechtlich (noch) nicht geschützt (nur tatsächlich von Kühen stammende Milch darf als Milch bezeichnet werden; pflanzliche »Milch« ist anders zu benennen, etwa Sojadrink, Haferdrink etc., Milch von anderen Tieren um die Tierart zu ergänzen, z. B. Schafsmilch, Ziegenmilch). Dennoch sind schon vor der Forderung Schmidts viele Händler kreativ geworden und grenzen ihre veganen bzw. vegetarischen Produkte auch im Namen von Tierprodukten ab – indem sie den Buchstaben V (wie vegan oder vegetarisch) verwenden: So findet man vereinzelt Vleisch statt (veganes) Fleisch, Visch statt (veganen) Fisch, Vurst statt (vegane) Wurst, Qvark statt (veganen) Quark: nicht immer elegant, aber zumindest auf schriftlicher Ebene unmissverständlich.
Zurück zur Wurst und dem geforderten Benennungsverbot. Aus sprachlicher Sicht halten wir die Bezeichnung vegane Wurst also für unproblematisch. Zu Verwirrung, so lässt sich argumentieren, führen auch andere Lebensmittelbezeichnungen, und noch niemand hat eine Umbenennung verlangt. Schließlich ist Leberkäse kein Käse, wie das Grundwort vermuten lassen würden, eine Fleischtomate enthält kein Fleisch, und auch Fruchtfleisch ist genau wie die österreichischen Palatschinken (Achtung, Singular: die Palatschinke) trotz des Namens fleischfrei. Wir essen Gummischlangen und Sandkuchen, Jägerschnitzel und Kinderschokolade. Aufgepasst: Das Verhältnis vom Grundwort zum Bestimmungswort kann wie bei allen Komposita variieren, doch wie sie zueinander stehen, ist nicht am Wort selbst erkennbar: Die Schlange ist aus Gummi, der Kuchen aber nicht aus Sand, sondern wie Sand, und die Schokolade schon gar nicht aus Kindern, sondern für Kinder. Wo kämen wir hin, wenn wir hierfür neue Ausdrücke finden müssten, um den Verbraucher nicht zu verwirren? Wir vertrauen darauf, dass auch Attribute in ihrer Funktion verstanden werden, das Bezeichnete (noch) näher zu bestimmen, selbst wenn sie dem begleiteten Substantiv offenbar widersprechen: Alkoholfreiem Bier fehlt ein wesentliches Merkmal von Bier, nämlich der Alkohol – dennoch wird deutlich, dass dieses Bier eben keinen Alkohol enthält; falscher Hase ist zwar ein Fleischprodukt, enthält aber keinen Hasen, was ebenfalls durch das Attribut klar kommuniziert wird. Ob aber ein veganer Metzger vegane Fleischimitate herstellt oder »echtes« Fleisch verkauft, selbst jedoch vegan lebt – das lassen wir hier offen.
Frauke Rüdebusch