Ausgabe: Der Sprachdienst 4–5/2023

Gästinnen – eine legitime Form?

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[F] Ich höre mitunter den Ausdruck die Gästin oder die Gästinnen, wenn weibliche Personen zu Gast sind. Sollte ich, wenn ich mich geschlechterbewusst ausdrücken will, die Formen Gast oder Gäste meiden, wenn ich auch weibliche Personen meine? Ich dachte immer, der Gast bzw. die Gäste seien trotz männlichen Genus neutral.

[A] Im Fernsehen, in manch einem Artikel in der Zeitung oder auch im Privaten wird statt des maskulinen Substantivs der Gast mitunter die Form die Gästin verwendet, wenn es um eine weibliche Person geht, die zu Besuch ist. Bei der Form Gästin handelt es sich in der Tat um eine nachweisbare Movierung (d. h. eine Ableitung eines neuen Wortes aus einem bestehenden zur konkreten Angabe des biologischen Geschlechts), die das weibliche Geschlecht des Gastes deutlich macht. Diese Form ist also keineswegs eine – bedingt durch geschlechtersensible Sprache – neu erfundene, wie es etwa bei der gutgemeinten, jedoch unnötigerweise gebildeten Form die Mitgliederin/Mitgliedin der Fall ist (das Mitglied ist auch grammatikalisch bereits ein Neutrum und somit inhärent neutral). Sie ist vielmehr (wohl durch die Bemühungen um eine geschlechterbewusste Sprache) heute wieder in den Vordergrund getreten. Denn bereits bei den Germanisten Jacob und Wilhelm Grimm ist diese spezifisch weibliche Form im »Deutschen Wörterbuch« (DWB), das in den späten 1830er-Jahren von ihnen ins Leben gerufen wurde, zu finden.[1] Hierdurch lässt sich zurückverfolgen, dass Gästin bereits vor 1830 verwendet wurde:

»das kein burger oder burgerin, gast oder gestin in diser stat Nuremberg .. peteln sol« (= dass kein Bürger oder Bürgerin, Gast oder Gästin in dieser Stadt Nürnberg betteln soll)

Es stellt somit ein »bekanntes« Wort des Neuhochdeutschen dar, welches wie der Gast insbesondere zunächst folgende Bedeutung hatte:

»Das Wort Gast beruht auf dem indogermanischen *ghosti-s ›Fremdling‹. Die Einstellung zum Fremdling, die freundlich aufnehmende wie die feindlich abweisende, spiegelt sich in den Bedeutungsverhältnissen dieser Wortgruppe wider. Auch im germanischen Sprachbereich wurde Gast in den älteren Sprachzuständen nicht nur im Sinne von ›Fremdling‹, sondern auch im Sinne von ›Feind, feindlicher Krieger‹ verwendet. Erst seit dem ausgehenden Mittelalter, als das Bürgertum bewusst Gastfreundschaft zu üben begann, erhielt das Wort im Deutschen seinen ehrenden Sinn.« (Herkunftswörterbuch Duden, Mannheim 2010)

Das Synonymwörterbuch des Dudens (Mannheim 2023) nennt für den heutigen Sprachgebrauch folgende gleichbedeutende Wörter: Besuch, Besucher, Besucherin, Eingeladener, Eingeladene, (gehoben auch) Geladener, Geladene und ordnet Gästin wie folgt ein: »Die männliche Form der Gast wird gewöhnlich auf beide Geschlechter bezogen. Die weibliche Form die Gästin ist dagegen selten.«

Die Form die Gästin wurde und wird bislang nicht häufig verwendet, wie dies etwa das Korpus »Wortschatz Leipzig« belegt,[2] und erscheint vielen ungewohnt oder irritierend. Nichtsdestotrotz wirft der Gebrauch dieser weiblichen Form zu der Gast die Frage auf, ob der Gast/die Gäste nur noch ausschließlich männliche Besuchende bezeichne. Bei der Gast/die Gäste sei die generische Verwendung jedoch bislang so etabliert, dass eine ausschließlich männliche Lesart eher unwahrscheinlich sei. Vielmehr könne man mit der Form die Gästin/die Gästinnen das weibliche Geschlecht der Besuchenden hervorheben, wenn gewünscht. Im Allgemeinen ist es jedoch nicht falsch, weiterhin ausschließlich von Gästen zu sprechen, so eine Einschätzung der Universität zu Köln.[3] Und auch wir sind der Meinung, dass die weibliche Form Gästin derzeit noch stark markiert erscheint und die maskuline Form Gast nach wie vor bedenkenlos generisch verwendet werden kann.

Weitere Quelle

https://www.korrekturen.de/kurz_erklaert/ der_gast_die_gaestin.shtml.


[1] https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB#0.

[2] https://corpora.uni-leipzig.de/de/res?corpusId=deu_news_2022&word=G%C3%A4stin.

[3] https://portal.uni-koeln.de/universitaet/aktuell/presseinformationen/detail/gast-gaestin-gaestinnen-expertinnenstatement-zurdiskussion-um-gendergerechte-sprache.