Gibt es einen Zusammenhang zwischen Faschingskamellen und ollen Kamellen?
[F] Gibt es einen Zusammenhang zwischen den im Fasching/Karneval geworfenen »rheinischen« Kamellen und den sprichwörtlichen alten bzw. ollen Kamellen?
Um es kurz zu machen: Der einzige Zusammenhang zwischen den »rheinischen« Kamellen und den sprichwörtlichen ollen Kamellen ist ihre Homonymie im Plural: die Kamellen. Schon im Singular merkt man: Vielleicht gehören sie doch nicht zusammen. Während die ollen Kamellen ausschließlich im Plural und nur noch in dieser Redewendung vorkommen, ist auch der Singular der Faschingskamellen gebräuchlich: die Kamelle. Aber wo haben die beiden Wörter ihren Ursprung und was bedeuten sie letztendlich?
Die rheinische Kamelle ist nichts anderes als eine mundartliche, im Rheinland gebräuchliche Form von Karamelle, also ein Karamellbonbon. Werden im Fasching also Kamellen geworfen, so ist das heute ein Synonym für Süßigkeiten (die jedoch nicht unbedingt nur Karamellbonbons sein müssen). Die Bezeichnung Karamell ist über das französische caramel zu uns gekommen, das wiederum aus spanisch bzw. portugisisch caramelo entlehnt wurde und die Bedeutung ›Zuckerrohr, gebrannter Zucker‹ trägt. Ursprünglich handelt es sich jedoch um ein lateinisches Wort, nämlich calamellus, einer Verkleinerungsfom von calamus mit der Bedeutung ›Röhrchen‹ zu griechisch kálamos ›Halm‹. Die gleiche Herkunft hat der Kalmus, eine schilfartige Pflanze, aus deren Wurzeln das Kalmusöl gewonnen wird. (Vgl. »Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache«, 4. Auflage. Mannheim 2012.)
Die Fügung olle Kamellen stammt dagegen aus dem Niederdeutschen: Es handelt sich hochdeutsch um alte Kamillen, also um das Kraut Kamille. Erstmals wurde die Redewendung in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in Pommern nachgewiesen und ist laut Lutz Röhrich (»Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten«, Freiburg 1992) auch heute noch vorwiegend im norddeutschen Raum gebräuchlich. Durch das lange Lagern verliert die Kamille ihre Würze und auch ihre Heilkraft; hieraus hat sich die übertragene Bedeutung von ›alten, altbekannten Geschichten‹ entwickelt, also Geschichten, die dadurch, dass sie schon lange bekannt sind, ihren Neuigkeitsgehalt verloren haben. Die hochdeutsche Form (alte Kamillen) ist gänzlich ungebräuchlich; so gibt Röhrich zu bedenken, dass Sprecher, die nicht aus dem norddeutschen Sprachraum stammen (und wohl auch viele, die dort beheimatet sind), die Kamellen nicht mit der Pflanze Kamille, sondern mit den o. g. Karamellbonbons in Verbindung bringen. Das Wort Kamille selbst wurde im Mittelhochdeutschen aus dem mittellateinischen camomilla entlehnt, das auf lateinisch chamaemelon bzw. griechisch chamaímēlon zurückgeht. Dies sind eigentlich ›Erdäpfel‹ (chamaí ›auf der Erde/niedrig wachsend‹ und mēlon ›Apfel‹); die Kamille wurde wohl nach dem apfelähnlichen Duft der Blüten so benannt (vgl. »Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache«; »Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache«, 25. Auflage. Berlin/New York 2011).
Welch ein Glück für die Besucher der Fastnachtsumzüge, dass nur selten olle Kamellen geworfen werden – sowohl im niederdeutschen als auch im rheinischen, im wörtlichen und im übertragenen Sinn.