Jugendwort des Jahres 2015: Smombie
Interview mit Verena Vogt, Jugendsprache-Beauftragte bei Langenscheidt
Das »Jugendwort des Jahres« ist eine Initiative der Langenscheidt GmbH & Co. KG. Auf www.jugendwort.de werden seit 2008 Jugendliche jährlich dazu aufgerufen, ihre Lieblingswörter der Jugendsprache einzureichen, zu diskutieren und darüber abzustimmen. Die zehn meistgewählten Wörter werden einer Jury vorgelegt. Am 13. November 2015 hat sich die Jury schließlich für Smombie entschieden. Kurz vor der Wahl hatten wir die Gelegenheit, mit Verena Vogt, Jugendsprache-Beauftragte bei Langenscheidt, zu sprechen.
[GfdS]: Frau Vogt, was ist eigentlich ein Jugendwort? Und wieso küren Sie das »Jugendwort des Jahres«?
Verena Vogt: Ein Jugendwort ist ein Wort, das (hauptsächlich) im Wortschatz von Jugendlichen im Alter von ca. 11 bis 19 Jahren vorhanden ist. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es von Jugendlichen erfunden wird und deshalb von Erwachsenen oft als Wort aus einer anderen Sprache empfunden wird. Wir küren das Jugendwort des Jahres, um darauf aufmerksam zu machen, wie kreativ junge Menschen mit Sprache umgehen und dass es Wörter gibt, die in unserer Sprache erst mal nicht so relevant erscheinen, es bei näherer Betrachtung aber durchaus sind und dann sogar in den Sprachgebrauch von Kindern und Erwachsenen übergehen.
[GfdS]: Was macht die »Jugendsprache« so interessant?
Verena Vogt: Interessant ist vor allem, dass sich Jugendliche – wie der Name schon sagt – eine eigene Sprache ausdenken, in der sie kommunizieren. Dies ist Teil der Pubertät, in der sie sich von den Erwachsenen, also in erster Linie Lehrern und Eltern, abgrenzen wollen. Die Neologismen der Teens sind für ihr älteres Umfeld oft so unverständlich, dass die Jugendsprache als eine Art »Geheimsprache« fungiert.
[GfdS]: Wer darf Vorschläge für die Jugendwörter des Jahres einreichen?
Verena Vogt: Jeder, der sich mit Jugendsprache auseinandersetzt, darf einreichen. Das sind vor allem die Jugendlichen selbst, die die eigens kreierten Wörter vorschlagen; aber auch die, bei denen das einzureichende Wort oft im Umfeld im Gebrauch ist, reichen es ein, damit es aufgenommen wird, quasi die »Lobbyisten « für ein bestimmtes Wort. Genauso können aber auch Lehrer und andere Erwachsene, die in Verbindung mit Jugendlichen stehen, Wörter einreichen und Wörter so spannend finden, dass sie sie mit der Langenscheidt-Community teilen wollen.
[GfdS]: Wie viele Einsendungen gibt es etwa pro Jahr?
Verena Vogt: In einem Jahr werden ca. 3000 Wörter auf www.jugendwort.de eingereicht.
[GfdS]: Wer wertet die Vorschläge aus und nach welchen Kriterien? Was ist dabei wichtig?
Verena Vogt: Ich als freiberufliche Linguistin und Jugendsprache-Beauftragte von Langenscheidt stelle eine Liste zusammen, die dann in der Langenscheidt-Jugendwortredaktion diskutiert wird. Die Kriterien für die Auswahl für die Top 30 sind sprachliche Kreativität (z. B. Akronyme wie Smombie oder Tinderella), Originalität (z. B. bambus, was die Eigenschaft des Gewächses als Bedeutung für etwas Großartiges übernimmt), Verbreitungsgrad des Wortes (z. B. Discopumper) und gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse, die die Sprache beeinflussen (z. B. merkeln, krimmen).
[GfdS]: Was sagt es aus, dass unter den diesjährigen 30 nominierten Wörtern fast die Hälfte der Wörter Anglizismen sind oder sich, wie im Fall von gesichtspalmieren, auf englische Wörter beziehen lassen?
Verena Vogt: Dies ist ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig die englische Sprache für Jugendliche ist. Gerade in Zeiten der globalen Vernetzung zeigt sich, dass vor allem auf Englisch kommuniziert wird, wenn es darum geht, dass sich Jugendliche über die ganze Welt hinweg austauschen. Die meisten beschäftigen sich mittlerweile in der Freizeit fast mehr mit der englischen Sprache als im Schulfach Englisch. Egal ob Songtext, internationaler Blog oder ein Computerspiel, das zunächst nur auf Englisch erscheint: Jeder wird heutzutage mit Englisch konfrontiert, was dazu führt, dass einzelne Wörter oder auch ganze Sätze in den Wortschatz integriert werden.
[GfdS]: Wie viel haben die Jugendwörter des Jahres mit dem zu tun, wie die Jugendlichen sprechen? Sprich: Wie jugendlich sind die Jugendwörter des Jahres wirklich?
Verena Vogt: Die Wörter werden von Jugendlichen eingereicht. Die eine allumfassende Jugendsprache gibt es in diesem Sinne aber nicht. Will heißen: Man kann Jugendsprache gut mit Dialekten vergleichen: Was Jugendliche in Hamburg auf dem Pausenhof sprechen, kann für Münchner Teens vollkommen unbekannt sein. Trotzdem können sie sich in den meisten Fällen etwas darunter vorstellen, was gemeint sein könnte. Nur weil ein Wort nicht im kompletten deutschsprachigen Raum bekannt ist, kann es trotzdem interessant für die Erforschung einer Momentaufnahme der Jugendsprache sein.
[GfdS]: Lassen sich an den Jugendwörtern auch gesellschaftliche Tendenzen ablesen?
Verena Vogt: In einigen Fällen lassen sich sicherlich Tendenzen ablesen, wie vorhin z. B. beim Einfluss der englischen Sprache beschrieben wurde. Aber auch andere Sprachen finden sich in der Jugendsprache wieder. Sätze wie »Geh ich Kino« sind nicht auf grammatikalische Ignoranz zurückzuführen, vielmehr wurde hier der Satzbau vom Türkischen oder auch Arabischen (beides Verb-Erst-Stellungs-Sprachen) direkt auf den deutschen Satzbau (eigentlich Verb-Zweit-Stellung) übertragen. An Wörtern wie merkeln oder krimmen lässt sich beobachten, dass die Jugend längst nicht so politikverdrossen ist, wie man ihr oft vorwirft. Hieran erkennt man nämlich eine sprachliche Auseinandersetzung mit tagesaktuellen Themen, die deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit auch inhaltlich diskutiert werden.
[GfdS]: Seit 2008 gibt es schon das Jugendwort des Jahres. Welches ist Ihr absolutes »Lieblingsjugendwort«?
Verena Vogt: Das neue carpe diem: YOLO (you only live once, ›man lebt nur einmal‹)!
[GfdS]: Und Ihr persönlicher Favorit für 2015?
Verena Vogt: Wir sind natürlich sehr gespannt, was sich in der Jury-Sitzung durchsetzen wird. Die Bandbreite der Wörter ist so vielfältig dieses Jahr, dass es viele verdient haben, noch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Mir persönlich gefällt Smombie (Kofferwort aus Smartphone und Zombie, Anm. d. Red.) am besten, da es die Generation Smartphone sehr treffend und kritisch beschreibt.