Ausgabe: Der Sprachdienst 1/2012

Vorkommen von kiesen, erkiesen

[F] Bei der Lektüre der Garten-Kolumne einer Zeitung bin ich über den Satz »Ich erkieste mir die Erdbeere als Lieblingsfrucht« gestolpert. Was ist das für ein merkwürdiges Verb? Gibt es das überhaupt?

[A] Ja, das Wort kiesen bzw. erkiesen gibt es, doch wird es heute nur noch selten verwendet. Und wenn, dann meist in der gehobenen Sprache und oft mit einem ironischen Unterton. Kiesen oder erkiesen bedeutet, ›etwas prüfend zu wählen‹. Vermutlich wären Sie über den Satz gar nicht gestolpert, wenn der Autor geschrieben hätte: »Ich erkor mir die Erdbeere als Lieblingsfrucht.« Denn im Präteritum kommt das Wort erkiesen dann doch gelegentlich vor. Auch das Partizip (erkoren) ist noch nicht völlig aus unserem Wortschatz verschwunden. Sehr viel ungewöhnlicher hingegen ist die in obigem Satz gebrauchte schwache Flexionsform erkieste.

Offensichtlich aber hat sich der Kolumnist ganz bewusst für diese entschieden. Denn damit ist ihm zumindest in Ihrem Fall gelungen, wonach alle Autoren streben: die Aufmerksamkeit des Lesers zu wecken.