Ausgabe: 1/2018

Muttersprache 1/2018

Peter Schlobinski
Beiträge zur Sprachkultur. Aus Anlass des 70-jährigen Bestehen der Gesellschaft für deutsche Sprache: Zur Einführung in das Themenheft

Anlässlich des 70-jährigen Bestehens der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) fand im April letzten Jahres eine Tagung zum Thema »Sprachkultur im 21. Jahrhundert« statt mit dem Ziel, einerseits unsere bisher erbrachte sprachkulturelle Arbeit zu reflektieren, andererseits die zukünftigen sprachkulturellen Aufgaben für die GfdS auszuloten. Auf der Folie dieses Programms behandeln die Beiträge in diesem Heft Aspekte, die für die Arbeit der GfdS im Hinblick auf Sprachkultur und gesellschaftliche Praxisfelder relevant sind.

Jochen A. Bär
Wortgeschichte – Kulturgeschichte

Der Beitrag zeigt anhand einiger ausgewählter Beispiele, dass und wie sich Kulturgeschichte in Wörtern – als den in prototypischer Weise bedeutungstragenden Einheiten der Sprache – manifestiert. Dabei wird zunächst problematisiert, dass Wörter Bedeutungen ›tragen‹ (d. h. mit ihnen objektiv und fest verbunden sind); sodann wird das Befremdungspotential kulturhistorischen Wissens beleuchtet; drittens wird dafür argumentiert, die wortschatzbezogene sprachhistorische Forschung, speziell die historische Lexikographie, stärker in den Fokus akademischer Ausbildung zu rücken.

Based on selected examples, the paper shows, how cultural history is manifested in words, which are considered the prototypically significant units of language. First, we will show that words do not ›carry‹ meanings (i. e. they are not objectively and firmly connected to them); then, we will examine the potential of disconcertment opened up by cultural historical knowledge; finally, we will argue that word-related historical linguistic research, especially historical lexicography, should be placed more strongly in the focus of academic education.

Jens Runkehl
Sprache im medialen Diskurs: Progression – Eruption – Regression?

Obwohl die Geschichte des Internets noch jung ist und weiterhin als hochaktiv eingestuft werden muss, haben sich in den rund 20 Jahren seines Bestehens bemerkenswerte Wandlungen vollzogen. Dies gilt insbesondere für verschiedene sprachliche und kommunikative Phänomene. Sie beeinflussen die Art und Weise, wie Individuen und Gesellschaften sich sprachlich austauschen und miteinander interagieren, in erheblicher Weise. Der Artikel geht diesen Entwicklungen anhand ausgewählter Beispiele nach und versucht eine Skizze zu entwerfen: Wie werden diese neuartigen Formen und Funktionen von Kommunikation in der Gesellschaft und Wissenschaft in verschiedenen zeitlichen Phasen bewertet und eingeordnet?

Even though the history of the internet is still young and has actually to be classified as highly active, there have been remarkable changes in the approximately 20 years of its existence. This applies in particular to various linguistic and communicative phenomena. They affect the way individuals and societies communicate and interact with each other in a significant way. The article explores selected examples of these developments and attempts to outline them: How are these novel forms and functions of communication in society and science in different temporal stages evaluated and classified?

Thomas Niehr
Politischer Wortschatz im Spiegel der Zeit

Als zentrales Mittel gesellschaftspolitischer Kontroversen gilt seit jeher die Verwendung des politischen Wortschatzes. Linguistische Analysen verdeutlichen jedoch, dass konkretes Sprachhandeln in der politischen Öffentlichkeit sich keineswegs vorrangig durch die Verwendung eines politischen Wortschatzes im Sinne einer Fachsprache auszeichnet. Aufschlussreicher als die Analyse kontextloser Vokabeln erweist sich der öffentliche Streit um die Verwendung und Angemessenheit von Ausdrücken, in denen sich gesellschaftspolitische Kontroversen kristallisieren. Anhand historischer wie aktueller Beispiele wird gezeigt, wie über eine politolinguistische Analyse derartiger Ausdrücke Aufschlüsse über den Wandel des kollektiven Bewusstseins einer Sprachgemeinschaft gewonnen werden können.

The use of political vocabulary is considered the central means for public debate. Yet, linguistic analyses illustrate that specific speech acts in the political public sphere are by no means primarily characterized by the use of specialized political jargon. In this article it is argued that the analysis of public disputes about the application and appropriateness of expressions is substantially more instructive than the analysis of singular vocabulary taken out of context. Historical and contemporary examples are used to demonstrate how a polito-linguistic analysis can provide explanations about the change of a linguistic community’s collective consciousness.

Alexa Mathias
Lexik und Legitimation in rechtspopulistischen Bewegungen: Korpuslinguistische Befunde aus Facebook-Postings von Pegida-Sympathisanten

Der Slogan »Wir sind das Volk!« fungierte in der unmittelbaren Vorwendezeit als Argument der Bürgerbewegung in der DDR zur Begründung ihrer Forderung nach mehr Freiheiten. Ein gutes Vierteljahrhundert später indes manifestiert er sich allwöchentlich im Rahmen der sogenannten »Montagsspaziergänge« der populistischen Bewegung Pegida. Mit diskurslinguistischen Mitteln wird ein Korpus aus Facebook-Postings von Pegida-Sympathisant(inn)en untersucht und gezeigt, wie diese Sympathisant(inn)en ihre eigenen Anliegen legitimieren und Vertreter(innen) von als gegnerisch betrachteten Gruppen abwerten.

In 1989, the slogan »Wir sind das Volk!« (»We are the people!«) was used by the citizens of the former GDR to motivate their desire for more political freedom by referring to their constitutional rights. 25 years later, the slogan is now articulated by the populist movement »Pegida« (»Patriot Europeans against the Islamization of Europe«) in the frame of their weekly rallies. By the means of discours linguistics a corpus with Facebook postings is examinated, focussing on the means of argumentation and lexical expressions used by Pegida members aiming on substantiating their own positions and derogating their opponents.

Jörg Kilian
Didaktische Sprachkritik als Öffentlichkeitsarbeit Zur Bewertung sprachlicher Leistungen in der Praxis des Deutschunterrichts

Lehrkräfte im Fach Deutsch sind an jedem Schultag zu sprachkritischen Bewertungen aufgefordert. Zu ihrem Beruf gehört es, sprachliche Leistungen von Schülerinnen und Schülern am Maßstab sprachlicher Normen, gesellschaftlicher und bildungspolitischer Vorgaben zu beurteilen, sei es in Form der indirekt steuernden oder expliziten Bewertung einer mündlichen Schüleräußerung im Fluss der Unterrichtskommunikation, sei es bei der Korrektur und förderdiagnostischen Beurteilung einer schriftlichen Hausaufgabe oder Prüfung. Der Beitrag erörtert die Rolle der Deutschlehrkraft im Rahmen der didaktischen Sprachkritik, fragt nach bildungspolitischen Vorgaben sowie der professionellen Kompetenz von Lehrkräften und schließt mit einem Blick auf die Anlage und auf erste Befunde einer empirischen Ermittlung der Ansätze und Gegenstände der Bewertung im Rahmen der Pilotierung einer Videostudie zur sprachkritischen Praxis im Deutschunterricht.

German native language teachers are required to make critical language assessments every school day. Their job involves assessing students‘ linguistic achievements on the basis of linguistic norms, societal and educational policy requirements, be it in the form of indirectly controlling or explicitly evaluating an oral utterance in the flow of teaching communication, or in the correctional and diagnostic assessment of a written homework or an exam. The article discusses the role of the German teacher in the context of critique of language within the framework of language teaching, asks about education policy requirements as well as the professional competence of teachers and concludes with a look at the setting and initial findings of an empirical study investigating approaches and objects of students’ language evaluation by teachers in German lessons.

Frauke Rüdebusch und Lutz Kuntzsch
Die Spracharbeit der Gesellschaft für deutsche Sprache und ihr Beitrag zur Sprachpflege

Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ist eine der bedeutendsten Sprachinstitutionen in Deutschland. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört die Sprachpflege, der sie sich seit ihrer Gründung 1947 verschrieben hat. Zwei Bereiche ihrer Arbeit, über die sie diese Aufgaben wahrnimmt, werden in diesem Aufsatz vorgestellt. Dies ist erstens die Sprach- und Vornamenberatung, in deren Rahmen sie nicht nur den Sprachwandel dokumentiert und erforscht, sondern auch Empfehlungen für den allgemeinen Sprachgebrauch gibt. Zweitens bietet sie Verwaltungsangestellten Seminare zur Verwaltungssprache an und trägt dadurch zu einer klaren, verständlichen und somit bürgerfreundlichen Sprache bei. Mit ihrer Arbeit leistet die GfdS einen wichtigen Beitrag zur Stärkung eines öffentlichen Bewusstseins für die deutsche Sprache.

The Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS; Association for the German language) is one of the most important language societies in Germany. Language cultivation is one of her main assignments, which the GfdS is taking care of since it was founded in 1947. Two fundamental fields of its work are presented in this article. Firstly, the language and first name advice service builds the background for both documentation and exploration of language change as well as advice for proper and correct use of the German language. Secondly, the GfdS offers workshops for government employees, instructing them to use the language of administration in a precise, comprehensible, and thus »consumer-friendly« way. With its work, the GfdS contributes considerably to strengthening the public awareness of the German language.

Sibylle Hallik
Richtigkeit und Verständlichkeit. Aus der Arbeit des Redaktionsstabs der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bundestag

Dieser Artikel stellt die Arbeit des Redaktionsstabs der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) beim Deutschen Bundestag vor und zeigt, inwiefern er einen Beitrag zur Sprachkultur leistet. Der Redaktionsstab wurde 1966 eingerichtet. Heute ist er für die Sprachprüfung in der parlamentarischen Phase der Gesetzgebung zuständig und prüft Gesetzentwürfe und andere Texte auf sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit. Zusätzlich berät er in sprachlichen Zweifelsfällen, gibt Seminare zu sprachlichen Themen und verfasst Texte in Leichter Sprache und Einfacher Sprache. Der Beitrag skizziert die Struktur der Sprachberatung im Gesetzgebungsverfahren, nennt die Kriterien für die Textbearbeitung und gibt Beispiele aus der Praxis.

This article focuses on the work of the Editorial Team of the Society for the German Language (GfdS) at the German Bundestag and shows how it contributes to language culture. Established in 1966, the GfdS Editorial Team is now responsible for linguistic reviews in the parliamentary phase of the legislative process and examines bills and others texts to ensure linguistic accuracy and clarity. It also gives advice in cases of linguistic doubt, holds seminars on linguistic issues, and writes easy-to-read texts for people with cognitive impairment or those with reading difficulties.The article provides an outline of the structure of linguistic review in the legislative process, presents the criteria on which the editorial work is based, and gives practical examples.

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