Muttersprache 1/2021
Rainer Küster
Einer gegen alle – Ein Virus erklärt der Menschheit den Krieg
Im März 2020 ergreifen Staatsführungen resolute Maßnahmen zur Bekämpfung des neuartigen Coronavirus. In fast allen Staaten der Welt wird ein mehr oder weniger konsequenter Lockdown verhängt. Auch verbal wird aufgerüstet. Der französische Staatspräsident spricht vom Krieg gegen das Virus. Der amerikanische Präsident erklärt sich selbst zum Kriegspräsidenten. Die deutsche Seite ist im Blick auf eine solche Kriegsmetaphorik aus guten Gründen zurückhaltender. Kriegsmetaphern sind emotional wirksam, transportieren Elemente mythischer Kommunikation und erfüllen wichtige Kriterien für ein politisches Framing. In der nationalen und internationalen Presse wird die Legitimität der Kriegsrhetorik im Kontext der Coronakrise diskutiert, zumal deutlich wird, dass diese Rhetorik benutzt wird, um unliebsame Maßnahmen zu verhängen. Andererseits wird der Gebrauch militärischer Metaphern in der Pandemie in unterschiedlichen Nationen unterschiedlich beurteilt, da von differenten kollektiven Kriegsbegriffen ausgegangen werden muss.
Schlüsselwörter: Coronavirus, Pandemie, Metapher, Kriegsmetapher, Kriegsrhetorik, Kriegspräsident, mythische Struktur, politisches Framing
In March 2020, state leaders take resolute action to combat the novel coronavirus. A more or less consistent lockdown is imposed in almost all countries of the world. There is also verbal armament. The French president speaks of a war against the virus. The American president declares himself a wartime president. The German side is, for good reasons, more cautious about such war metaphors. War metaphors are emotionally effective, convey elements of mythical communication and fulfil important criteria for political framing. In the national and international press, the legitimacy of war rhetoric is discussed in the context of the Corona crisis, especially as it becomes clear that this rhetoric is used in order to impose unwelcome measures. On the other hand, the use of military metaphors in the pandemic is judged differently in different nations, as varying collective concepts of war must be assumed.
Keywords: coronavirus, pandemic, metaphor, war metaphor, war rhetoric, wartime president, mythical structure, political framing
Vincent Balnat
Klima als Schlüsselwort in deutschsprachigen Medien. Teil I: Wortbildung und Frequenz
In diesem zweiteiligen Aufsatz geht es um den Ausdruck Klima und dessen Entwicklung von einem ursprünglich fachsprachlichen Terminus zu einem Schlüsselwort der umweltpolitischen Diskussion. Die Medienberichterstattung spielt dabei eine zentrale Rolle. Auf der Grundlage der Ergebnisse gezielter Recherchen im Deutschen Referenzkorpus wird im vorliegenden Beitrag ermittelt, wie häufig Klima-Bildungen seit ca. 1950 verwendet werden. Im zweiten Teil des Beitrags (Folgeheft 2/2021) wird die Bedeutungsverschiebung von Klima untersucht und auf die Klassifikation von Klima-Komposita eingegangen. Die metaphorischen Bereiche, denen sich häufig verwendete Klima-Komposita zuordnen lassen, werden abschließend kurz dargestellt.
Schlagwörter: Klima, Klimawandel, Umwelt, Medienpräsenz, Wortbildung, Komposita, Verwendungshäufigkeit
This two-part paper deals with Klima (= climate) and the evolution of this word from an originally technical term to a keyword in the environmental policy discussion. Media coverage plays a central role in this context. On the basis of research conducted in the Deutsches Referenzkorpus, we will first determine how frequently compounds with Klima have been used in German media since about 1950. In the second part of the article (follow-up issue 2/2021) we will focus on the meaning change of this word, discuss the classification of Klima compounds, and briefly present the metaphorical domains to which frequently used Klima compounds can be assigned.
Keywords: climate, climate change, environment, media coverage, word formation, compounds, frequency
Anna Averina
Zwei Kopula-Typen, zwei Satzperspektiven und zwei Satzmodalitäten
Der Artikel befasst sich mit semantischen, grammatischen, kommunikativen und informationsstrukturellen Mechanismen, welche die Satzqualität beeinflussen. Dabei werden die Korrelation und Identität der Begriffe Phema, Prädikativität und Kopula aufgezeigt. Diese Begriffe werden gleichgesetzt und es wird vorgeschlagen, von der Außen- und Innenperspektive zu sprechen. Die Außenperspektive ist mit Epistemizitätsmarkern nicht kompatibel. Thetische, hypothetische und generische Sätze werden zu Sätzen mit der Außenperspektive gezählt. Zu diesem Typ gehören nicht nur einzelne syntaktisch unabhängige Sätze, sondern auch Konditionalsätze sowie restriktive Relativsätze. Außenperspektivisch sind auch Objekt- und Kausalsätze, die kein Rhema enthalten. Für sie sind Statik und Indefinitheit typisch. Sie äußert sich darin, dass für Sätze mit der Außenperspektive die kommunikative Eingliedrigkeit und keine Zeitreferenz charakteristisch sind. Sätze mit der Innenperspektive können durch Dynamik und Definitheit charakterisiert werden. Modalitätsmarker können in Sätzen mit der Innenperspektive eingebettet werden.
Schlagwörter: Perspektive, Thetik, kommunikative Zweigliedrigkeit, Definitheit, Dynamik, Statik
The article deals with the grammar, communicative, semantic and informational structural mechanisms which influence the quality of the sentence. The correlation and identity of such notions as phema, predicativity and copula are shown. They are considered as equal and it is suggested to speak about internal and external perspective. External perspective cannot be combined with epistemic markers. Thetic, hypothetic and generic sentences belong to sentences with external perspective. They can be both syntactically independent and dependent. Conditional and restrictive relative clauses also belong to this type of sentences. External perspective is typical of the object and course clauses without the theme of the utterance. Statics and indefiniteness are typical of this type of sentences. They reflect in the absence of communicative binary structure and no time reference. Sentences with internal perspective can be characterized by dynamics and definiteness. Modal markers can be embedded in sentences with internal perspective.
Keywords: perspective, thetic, communicative binary structure, definiteness, dynamic, static
Stefan Ehrlich und François Conrad
»Das reinste Deutsch wird in Hannover gesprochen.« Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zu einem linguistischen Mythos
Eine unter linguistischen Laiinnen und Laien sowie im öffentlichen Sprachdiskurs des deutschen Sprachraums oft anzutreffende Annahme lautet, dass Hannover die Stadt mit dem wahlweise »besten« oder »reinsten« Hochdeutsch sei. Im Rahmen des DFG-Projekts »Die Stadtsprache Hannovers« wird die Verbreitung dieses sprachlichen »Mythos« unter den Bundesbürgerinnen und -bürgern erstmalig mittels einer repräsentativen Umfrage untersucht. Dabei wird nicht nur offen nach dem Ort des »besten Hochdeutschs« gefragt, sondern es werden auch weitere Konzeptausprägungen (Verständlichkeit, geringe Dialektalität, evaluativer Referenzpunkt) und Inhalte des laikalen Hochdeutsch-Konzeptes erfragt. Der Artikel stellt die wichtigsten Ergebnisse dieser Lokalisierung und Konzeptualisierung vor, zu denen insbesondere die bundesweite »Lebendigkeit« des »Mythos« in der Wahrnehmung sprachwissenschaftlicher Laiinnen und Laien zählt. Hannover wird tatsächlich als geografischer Fokuspunkt des »besten« Hochdeutsch bestätigt, für welches insbesondere die Aussprache eine ausnehmend starke Rolle spielt. Auch regionale, altersbedingte sowie weitere Unterschiede werden im Artikel besprochen.
Schlagwörter: Sprachideologie, Sprachmythos, Hannoverismus, repräsentative Umfrage, Perzeption, Sprachwissen
For more than 200 years, Hanover (Lower Saxony, Germany) is known as the locus of the »best« or »purest« articulation of the German language. It is a common belief amongst the German speaking community that the Hanoverians speak a variety of High German close to the standard. This paper presents the results of the first representative survey about the dissemination of this »Hanover-myth«, conducted in October 2020 as a part of the project »Die Stadtsprache Hannovers« (›The urban vernacular of Hanover‹, funded by the Deutsche Forschungsgemeinschaft – DFG). This survey not only focuses on the loci of the »best High German« but also on possible regions without dialectal interferences in standard performance and the geographical poles of comprehensibility to get a bigger picture of lay speaker’s conceptualization of High German standard. The results of the representative survey indicate that the language myth of the »purest« German in Hanover is alive: The capital of Lower Saxony indeed is widely considered as the focus point of standard localization by lay speakers all over Germany. The findings further show that the German standard variety is highly conceptualized by phonetic-phonological factors. Regionally and socially determined differences in concepts and localization appear as well, which are also discussed.
Keywords: language ideology, language myth, Hanoverism, representative survey, perception, metalinguistic awareness
Rezensionen
Bin Zhang
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Aleksi Mäkilähde/Ville Leppänen/Esa Itkonen: Normativity in Language and Linguistics
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Ningjie Zhang: Von Stereotypen zu Einstellungsprofilen. Eine empirische Untersuchung zur Entwick-lung der Deutschlandbilder chinesischer Deutschst-dierender in China