Muttersprache 1/2016

Augst, Gerhard
Bildungswortschatz: Bestimmung – Verwendung – Funktion

Fragt man Studierende in den Anfangssemestern, ob sie Probleme mit der Sprache der Dozentinnen und Dozenten in Vorlesungen und Seminaren haben, so wird dies eindeutig mit »Ja« beantwortet. Aber entgegen einer ersten Vermutung sind es nicht die Fachwörter, die Probleme bereiten: »Sie werden uns systematisch erklärt.« Sie nennen stattdessen Wörter wie apodiktisch, kompatibel; eruieren, insinuieren; Stigma, Paradigma und auch Wendungen wie ab ovo oder in medias res. Solche Wörter und Wendungen bezeichnet man als Bildungswortschatz. Im ersten Teil des Beitrags geht es darum, anhand eines Textbeispiels zu klären, was man genau unter Bildungswortschatz versteht, vor allem in Bezug auf den umfassenderen Begriff der Bildungssprache. Im zweiten Teil soll dann die Frage beantwortet werden, welchen Anteil der Bildungswortschatz am Gesamtwortschatz hat, wie häufig er in großen Textkorpora vorkommt und ob es in bildungsbürgerlichen Zeitungen und Zeitschriften unterschiedliche Häufigkeiten in Bezug auf unterschiedliche Textgenres gibt. Der dritte und letzte Teil fragt nach der kommunikativen Funktion, die der Bildungswortschatz in diesen Textgenres hat.

Asking students in the first semesters whether they have problems with the language of the lecturers in lectures and seminars, this is clearly answered with »yes«. But contrary to a first guess it is not the technical terms which lead to problems: »The terms are explained to us systematically.« They name instead words like apodiktisch, kompatibel; eruieren, insinuieren; Stigma, Paradigma and phrases such as ab ovo or in medias res. Such words and phrases are called educational vocabulary. The first part of the article is about to clarify, with reference to a text example, what is meant precisely by educational vocabulary, especially in relation to the broader concept of education language. In the second part the question to answer is what proportion of the total vocabulary the educational vocabulary has and how frequently it occurs in large text corpora and whether there are different frequencies with respect to different text genres in the educated middle-class newspapers and magazines. The third and final part will ask for the communicative function that the educational vocabulary has in this text genres.

Škerlavaj, Tanja
Die Analyse semantischer Mehrdeutigkeit und ihr didaktisches Potenzial im Germanistikstudium in Slowenien

Im DaF-Unterricht zeigt sich vor allem bei produktiven Fertigkeiten wie Sprechen und Schreiben, dass sich Fremdsprachenlernende oft der Tatsache nicht bewusst sind, dass sprachliche Zeichen mehrdeutig sein können und dass z. B. nicht jede Bedeutung eines Wortes in jedem Kontext verwendet werden kann. Im vorliegenden Beitrag wird das linguistische Phänomen der Mehrdeutigkeit in den Bereich der Didaktik eingerahmt. Nach einer kurzen theoretischen Auseinandersetzung mit der Mehrdeutigkeit auf der lexikalischen, phonologischen sowie syntaktischen Ebene wird eine mögliche Strategie der Arbeit mit mehrdeutigen Werbetexten dargestellt, die im Unterricht mit slowenischen Germanistikstudierenden erprobt worden ist und die zu einem besseren Wort- und Textverständis der Lernenden sowie zur Erweiterung ihres Wortschatzes beitragen kann. Indem DaF-Lernende mithilfe des Paraphrasierens, Übersetzens u. a. mehrdeutige Werbetexte analysieren, werden sie zudem darauf aufmerksam, dass sprachliche Zeichen nicht selten mehrdeutig sind und dass sich (Wort-)Bedeutungen von Sprache zu Sprache in ihrem Inhalt sowie Umfang unterscheiden können.

In classes of German as a foreign language the productive skills such as speaking and writing show that learners of foreign languages are often not aware of the fact that linguistic signs can have many meanings and that e. g. not every meaning of a word can be used in any context. In this article the linguistic phenomenon of ambiguity is integrated in the field of didactics. After a brief theoretical description of ambiguity on word, sentence and text level the article portrays a possible strategy of work with ambiguous advertisements that has been tested in classes with Slovenian students of German and can contribute to a better understanding of words and texts of the learners as well as to the expansion of their vocabulary. While analysing ambiguous advertisements by means of paraphrasing, translating etc. the learners of German as a foreign language furthermore come to realise that linguistic signs are often ambiguous and that (word) meanings differ from language to language in their content and extent.

Krischke, Wolfgang
Der Polizist als Bulle: Zur Etymologie und historischen Entwicklung eines Reizwortes

Der Beitrag präsentiert eine etymologische Herleitung von Bulle/›Polizist‹, die eine plausible Alternative zu bestehenden Ansätzen darstellt, und untersucht davon ausgehend die semantische und pragmatische Geschichte dieser Bezeichnung bis in die Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Behandelt wird der Ursprung des Lexems im kriminellen Milieu des Wilhelminismus, die Verbreitung in die links- und rechtsradikalen Milieus der Weimarer Republik, die Politisierung und partielle Bedeutungsveränderung seit Beginn der sechziger Jahre und schließlich die allmähliche – von Kontroversen und Ambivalenzen begleitete – Ausbreitung in die allgemeine Umgangssprache. Mit einbezogen in die Untersuchung wird die Geschichte des Schmähwortes Bullenschwein. Wo es der lexikalischen Ausdifferenzierung der Semantik von Bulle dient, werden weitere kolloquiale und pejorative Bezeichnungen aus dem Wortfeld Polizei (z. B. Greifer, Bluthund) kontrastiv herangezogen.

This paper presents an etymological derivation of Bulle/›police officer‹ that offers a plausible alternative compared to existing theories of the word’s roots, taking this as a starting point for investigating the further semantic and pragmatic development of the term up to the mid-seventies of the 20th century. This includes the word’s origin in the criminal milieu of Wilhelminian Germany, its diffusion into Weimar Republic’s milieus of the radical left and right, its politization and partial redefinition in the sixties and finally its gradual adoption – accompanied by ambivalence and controversy – through the broader linguistic community. The investigation also includes the history of the abusive term Bullenschwein. To the extent that it fosters descriptive differentiation of the semantics of Bulle, further colloquial and pejorative terms belonging to the lexical field of Polizei (such as Greifer, Bluthund) are included for contrasting purposes.

Guo, Yi/Liu, Yue
Forum: Jenseits der idealisierten Vorstellungen. Das Deutschlandbild chinesischer Deutschlernender und seine Konsequenzen für die Vermittlung von Fremdbildern im Deutschunterricht

Der vorliegende Beitrag setzt sich mit dem Deutschlandbild der Deutschlernenden in China auseinander und hat zum Ziel, die aktuellen Tendenzen dieser Fremdbilder unter Berücksichtigung der Beeinflussung durch Deutschunterricht bzw. -studium auf die Entstehung solcher Fremdbilder zu verdeutlichen. Im Mittelpunkt steht die These, dass ein idealisiertes Deutschlandbild bei den Deutschlernenden in China (immer noch) deutlich erkennbar ist. Dies führt oft dazu, dass man in der interkulturellen Praxis dazu tendiert, den Fremd- und Selbstverständnissen gegenüber unkritisch zu denken und zu handeln. Diese These wurde empirisch überprüft und auf ihrer Basis entwickeln sich problemorientierte Gedanken für die Vermittlung der Fremdbilder im und außerhalb des Fremdsprachenunterrichts in China.

This paper deals with the image of Germany among Chinese learners of German. It focuses on the current status and development trends of the image of Germany at Chinese universities while emphasizing the influences of German teaching or German Studies on the emergence of these national images among students. The central thesis, that an idealized image of Germany among the German learners in China is (still) clearly ascertainable, has been investigated and verified empirically. This often means that in intercultural practice one tends to think and act uncritically while viewing himself/herself and the cultural others. Based on the results of the study, it is necessary to bring problem-oriented ideas into discussion for the conception of creating and spreading national images inside and outside the German related foreign language teaching at Chinese universities.

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