Muttersprache 2/2021
Vincent Balnat
Klima als Schlüsselwort in deutschsprachigen Medien. Teil II: Bedeutungsentwicklung und diskursiver Kontext
In diesem zweiteiligen Aufsatz geht es um den Ausdruck Klima und dessen Entwicklung von einem ursprünglich fachsprachlichen Terminus zu einem Schlüsselwort der umweltpolitischen Diskussion. Die Medienberichterstattung spielt dabei eine zentrale Rolle. Auf der Grundlage der Ergebnisse gezielter Recherchen im Deutschen Referenzkorpus wird die Bedeutungsverschiebung von Klima unter Berücksichtigung der denotativen und der konnotativen Ebene untersucht und auf die Klassifikation von Klima-Komposita eingegangen. Abschließend werden die metaphorischen Bereiche, denen sich häufig verwendete Klima-Komposita zuordnen lassen, dargestellt.
Schlagwörter: Klima, Klimawandel, Umwelt, Medienpräsenz, Bedeutung, Metapher, Katastrophe
This two-part paper deals with Klima (= climate) and the evolution of this word from an originally technical term to a keyword in the environmental policy discussion. Media coverage plays a central role in this context. On the basis of research conducted in the Deutsches Referenzkorpus, we will focus on the meaning change of this word, taking into account both denotation and connotation before discussing the classification of Klima compounds. Finally, the metaphorical domains to which frequently used Klima compounds can be assigned will be presented.
Keywords: climate, climate change, environment, media coverage, meaning, metaphor, catastrophe
Britta Juska-Bacher et al.
Definitionskompetenzen von Erst- und Zweitklässlern. Mit einem Ausblick auf die weitere Entwicklung
Gegenstand dieses Beitrags sind die Definitionskompetenzen von Kindern im ersten und zweiten Schuljahr sowie von jungen Erwachsenen. Auf der Grundlage eines aus der internationalen Forschungsliteratur abgeleiteten Kategorienrasters wird untersucht, welche sprachliche Form Kinder in der ersten Klasse für Definitionen von konkreten und abstrakten Nomen sowie Verben wählen (N = 303). Anhand von Vergleichsdaten derselben Kinder aus der zweiten Klasse wird ihre Entwicklung innerhalb eines Jahres analysiert. Den Kinderdefinitionen der beiden Zeitpunkte werden die Definitionen junger Erwachsener (N = 63) gegenübergestellt, um im Sinne einer Apparent-time-Analyse einen Ausblick auf die weitere Entwicklung von Definitionskompetenzen bis ins junge Erwachsenenalter zu geben. Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder bereits im ersten Schuljahr ein Bewusstsein für die Form von Definitionen entwickelt haben. Bereits innerhalb eines Jahres ist gesamthaft eine leichte Tendenz zu abstrakteren Kategorien erkennbar. Vergleicht man die Ergebnisse mit denen junger Erwachsener, so wird die generelle Entwicklung von funktionalen über deskriptive in Richtung kategorialer Formen sehr deutlich. Eine Gegenüberstellung verschiedener Wortarten zeigt, dass in allen Altersgruppen konkrete Nomen am abstraktesten definiert werden (schon einzelne Erstklässler verwenden kategoriale Formen mit Hyperonym und Spezifizierung), diese Kompetenz aber nicht automatisch auf andere Wortarten übertragen wird. Innerhalb des kurzen Zeitraums von einem Jahr lässt sich auf individueller Ebene keine gezielte Entwicklung in Richtung abstrakterer Definitionen feststellen, sondern es sind klar auch »Rückschritte « auszumachen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Qualität einer Definition nicht nur vom Alter der Person und ihren Wortschatzkompetenzen, sondern auch vom individuellen Definiendum sowie seiner Wortart beeinflusst wird.
Schlagwörter: Definitionskompetenzen, Erstspracherwerb, sprachliche Entwicklung, Wortschatz
The topic of this article are the definitional skills of first- and second-grade children and young adults. Based on a category grid derived from the international research literature, the linguistic form children in the first grade (N = 303) choose for definitions of concrete and abstract nouns as well as verbs are investigated. Comparing data from the same children in second grade, their development within one year is analyzed. Furthermore, the children’s definitions at the two time points are compared with the definitions of young adults (N = 63) in order to provide an outlook on the further development of definitional skills into young adulthood in the sense of an apparent-time analysis. The results show that children already have developed a formal awareness of definitions in the first school year. Only within one year, there is a slight overall tendency towards more abstract categories. Comparing the results with those of young adults, the general development from functional via descriptive towards categorical forms becomes very clear. A comparison of different word types shows that in all age groups concrete nouns are defined most abstractly (even some first graders use categorical forms with hyperonym and specification), but this competence is not automatically transferred to other word types. Within the short period of one year, no specific development towards more abstract definitions can be detected on an individual level, but »regressions« can also be identified. The results show that the quality of a definition is not only influenced by the age of the person and her or his vocabulary skills, but also by the individual definiendum as well as its word type.
Keywords: definitional skills, first language acquisition, language development, vocabulary
Federica Masiero
Dabei-Konstruktionen in geisteswissenschaftlichen Texten der deutschen Gegenwartssprache und ihre Übersetzung ins Italienische
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Übersetzung des Pronominaladverbs dabei ins Italienische. Im Mittelpunkt steht dabei in seiner anaphorischen Funktion als Konnektor (z. B.: Er hat von ihr erzählt. Dabei hat er weit in die Zeit zurückgegriffen.). Der Konnektor dabei gehört neben indem und wobei zu den komitativen Konnektoren. Er gilt als typisch für das Deutsche. Zu dabei gibt es im Italienischen kein direktes, wörtliches Pendant. Die Untersuchung sieht einen synchronen Sprachvergleich zwischen der deutschen und der italienischen Sprache vor. Anhand eines Parallelkorpus Deutsch/Italienisch geisteswissenschaftlicher Texte wird dokumentiert, welche Übersetzungsverfahren im Italienischen angewandt werden und welche Übersetzungsvarianten in dieser Sprache üblich oder weniger üblich sind, um die semantischen Relationen von verschiedenen dabei-Konstruktionen auszudrücken. Die Untersuchung ist außerdem lösungsorientiert, d. h., es wird u. a. versucht, Kriterien herauszuarbeiten, nach denen eine Entscheidung zwischen verschiedenen Übersetzungsvarianten zu treffen ist.
Schlagwörter: dabei, komitativ, Übersetzung, Deutsch/Italienisch, gerundio
This article deals with the translation of the pronominal adverb dabei (›in doing so‹) into Italian. The focus is on the anaphoric function of dabei as a connector (e. g.: Er hat von ihr erzählt. Dabei hat er weit in die Zeit zurückgegriffen. ›He told about her. In doing so he has gone far back in time.‹). The connector dabei belongs to the comitative connectors besides indem (›by‹) and wobei (›whereby‹). It is considered to be typical for German. There is no direct, literal counterpart to dabei in Italian. The study provides for a synchronous language comparison between German and Italian. A parallel corpus of German/Italian humanities texts will be used to document which translation procedures are used in Italian and which translation variants are common or less common in the language to capture the semantic relations expressed by different constructions with dabei. Furthermore, the study is solution-oriented, i. e. it attempts to work out criteria for deciding between different translation variants.
Keywords: dabei, comitative, translation, German/Italian, gerundio
Martin Stegu
Queere Linguistik: Potenzial, Probleme, Grenzen
Auch in der Sprachwissenschaft nehmen sogenannte queere Ansätze einen immer bedeutenderen Platz ein. Im folgenden Beitrag soll diskutiert werden, welche Rolle »Queere Linguistik« inzwischen spielt oder noch spielen könnte und wo sie sich (inter-)disziplinär einordnen lässt. Dabei wird vom polysemen Begriff queer und von der Queer Theory bzw. den Queer Studies ausgegangen und schließlich ein Schwerpunkt auf Angewandte Queere Linguistik gelegt. Geht es einerseits um das Potenzial dieser sprachwissenschaftlichen Ausrichtung, das weit über LGBTIQA*-, Gender- und Sexualitätsfragen hinausreichen könnte, so sollen andererseits auch einige problematische Punkte kritisch angesprochen werden, nicht zuletzt im Spannungsfeld zwischen antiessenzialistischen und – in letzter Zeit ja wieder sehr in den Vordergrund gerückten – ›identitätspolitischen‹ Positionen.
Schlagwörter: queer, Queer Studies, Queere Linguistik, Angewandte Queere Linguistik, diskursive Konstruktion von Kategorien und Identitäten, post-queer
In linguistics, as elsewhere, so-called queer approaches have become increasingly prominent. In this contribution, I discuss the (actual and potential) role of »Queer Linguistics« as well as its (inter-)disciplinary position. I start from the polysemic term queer as well as Queer Theory/Queer Studies and then turn to focus on Applied Queer Linguistics. My aim is twofold: on the one hand, I want to highlight the potential of this direction in linguistics, which extends beyond questions regarding LGBTIQA* experiences, gender and sexuality. On the other hand, I seek to critically address certain issues around Queer Linguistics, including tensions between anti-essentialism and ›identity politics‹, the latter of which has become increasingly relevant again recently.
Keywords: queer, Queer Studies, Queer Linguistics, Applied Queer Linguistics, discursive construction of categories and identities, post-queer
Ronja A. Löhr
Gendergerechte Personenbezeichnungen 2.0. Wie nichtbinäre Personen den Genderstern und andere Bezeichnungsvarianten beurteilen
Die Frage, inwieweit sich nichtbinäre Menschen durch verschiedene Varianten von Personenbezeichnungen repräsentiert sehen, steht im Zentrum der queerfeministischen Sprachkritik. Dieser Beitrag präsentiert Ergebnisse einer Online-Umfrage, an der 324 Personen, die sich nicht (vollständig) in den Kategorien Mann oder Frau repräsentiert sehen, teilgenommen haben. Aus ihrer Beurteilung verschiedener Formen von Personenbezeichnungen geht hervor, dass sich die Befragten am ehesten durch neutrale Varianten (z. B. Studierende) repräsentiert sehen. Insbesondere der Genderstern (z. B. Student*innen), aber auch der Gap (z. B. Student_innen) schneiden insgesamt besser ab als Alternativen wie die Schreibung mit Binnen-I oder Beidnennungen, durch die sich die Teilnehmenden am wenigsten repräsentiert sehen.
Schlagwörter: gendergerechte Sprache, queerfeministische Sprachkritik, Umfrage, nichtbinär
The question in how far non-binary people see themselves represented by different variants of personal designations is central to queerfeministic language criticism. This article presents results of an online survey with 324 participants, who do not solely identify as either male or female. Their evaluation of different variants of personal designations shows that participants most likely see themselves represented by neutral versions (e. g. Studierende). Especially the gender star (e. g. Student*innen), but also the gender gap (e. g. Student_innen) generally scored higher than alternatives such as spellings with a capital I or forms of the type Studenten und Studentinnen. These two options reached the lowest perceived representation.
Keywords: linguistic gender equality, queerfeministic language criticism, survey, non-binary
Rezensionen
Christophe Fricker
Armin Burkhardt (Hg.): Handbuch Politische Rhetorik
LI / Shasha / Xiong Zhang
Ingo H. Warnke (Hg.): Handbuch Diskurs
Rosa Kohlheim / Volker Kohlheim
Simon Pickl/Stephan Elspaß (Hgg.): Historische Soziolinguistik der Stadtsprachen. Kontakt – Variation – Wandel
Yu Zheng
Thorsten Roelcke: Fachsprachen
Roman Beljutin
Gabriele Graefen/Martina Lieke-Göbel: Germanistische Sprachwissenschaft. Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache
Christoph Frilling
Günter Schade/Sandra Drumm/Ute Henning/Britta Hufeisen: Einführung in die deutsche Sprache der Wissenschaften. Ein Lehrbuch für Deutsch als Fremdsprache. Mit einem Lösungsschlüssel online
Suzana Vezjak
Lívia Adamcová/Silvia Adamcová: Linguistische Charakteristik der deutschen Sprache