Muttersprache 4/2004

Zillig, Werner
Verhaltenslinguistik. Ein neuer Weg der Sprachwissenschaft

In der nachfolgenden Darstellung geht es darum, das Konzept einer »Verhaltenslinguistik« vorzustellen, das an der Universität Innsbruck entwickelt worden ist und gegenwärtig seinen Weg geht, vom programmatischen Entwurf hin zur praktischen Ausgestaltung. Die Verhaltenslinguistik ist durch drei programmatische Eigenheiten gekennzeichnet: (i) Sie reflektiert die Fehler und Unzulänglichkeiten des strukturalistischen Paradigmas, von dem sie sich, wegen dieser Fehler und Unzulänglichkeiten, abgrenzt. Sie tut dies, ohne die guten Gründe, die zur Ausbildung der strukturalistischen Denkweise geführt haben, zu verkennen und ohne die Möglichkeiten, die sich durch eine strukturelle Darstellung der Sprachen ergeben, in Abrede zu stellen. (ii) Die Verhaltenslinguistik will auf der Grundlage dessen, was unter (i) gesagt ist, praktisch werden, die sprachlichen und allgemein kommunikativen Probleme der Menschen darstellen und auch Mittel aufzeigen, durch die den Menschen geholfen werden kann, diese Probleme zu überwinden. (iii) Die Verhaltenslinguistik plädiert dafür, linguistische Forschungen generell zu popularisieren, um dem Fach Linguistik das Odium weltfremder Absonderlichkeit und elfenbeintürmlerischer Nutzlosigkeit zu nehmen. Am Ende werden zwei Varianten der Verhaltenslinguistik skizziert: eine zeichentheoretisch und eine pragmatisch-situativ orientierte.

This paper presents a linguistic concept referred to as »linguistics of behavior« (Verhaltenslinguistik). This concept was developed at the University of Innsbruck and is now moving from a programmatic plan to its embodiment in practice. Linguistics of behavior is characterized by three programmatic traits: (i) It reflects on failures and deficiencies of the structuralist paradigm and is therefore distinct from linguistic structuralism – though the new concept does not deny the merits of the structuralist approach and admits the possibilities of modeling natural languages by means of structuralism. (ii) Under these premises linguistics of behavior will be relevant in practice. It will describe and try to solve real and obvious communicative problems of individuals and society. (iii) Linguistics of behavior seeks to make the results of linguistic research available to a general audience and to free linguistics from the suspicion of being a useless product detached from reality and confined to an ivory tower. Finally, two versions of linguistics of behavior will be outlined: The first uses and develops assumptions from the theory of signs, and the second is oriented towards a pragmatic theory of communicative situations.

Satkauskaite, Danguole
Zur Bedeutungsentwicklung des Lexems Schläfer

Noch vor einigen Jahren diente das Lexem Schläfer zumeist zur Bezeichnung einer schlafenden Person oder einer Schlafmaus. Heute bezieht man sich mit Schläfer hauptsächlich auf potentielle Terroristen. Obwohl es diese Lesart auch schon vor dem 11. September 2001 gab, haben die Terroranschläge in den USA die Etablierung der metaphorischen Bedeutung des Lexems Schläfer erheblich beschleunigt. Im Beitrag werden zunächst die Einträge des Wortes Schläfer in den Wörterbüchern verglichen. Darauf folgt eine Darstellung der verschiedenen sprachlichen Mittel, die die metaphorische Lesart als neu markieren und ihren Gebrauch erklären. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Massenmedien durch ihre fortlaufende Berichterstattung über Terrorereignisse und die Fahndung nach den Tätern eine große Rolle bei der Etablierung der metaphorischen Lesart des Lexems Schläfer gespielt haben.

Some years ago, the lexeme Schläfer was mainly used to describe a sleeping person or a dormouse. Nowadays, it is more often used to refer to a potential terrorist. Although this metaphorical meaning existed before September 11th, the terror attacks in the USA contributed to its final establishment. This paper discusses first the entries of the lexeme Schläfer in various dictionaries. Later the different linguistic markers which indicate the newly evolved meaning ›potential terrorist‹ and which explain the new use of Schläfer in the transitional period are addressed. All in all, it can be assumend that the mass media – due to their continuous reporting on acts of terrorism and the search for terrorists – have played an important role in the establishment of the new metaphorical meaning of Schläfer.

Grzega, Joachim
EinSpítzenpolitiker ist nicht immer ein Spítzen-Polítiker. Wie man prosodische Akzente nutzt, um semantische »Akzente« zu setzen

Der vorliegende Beitrag versucht zu eruieren, welche Akzentmuster deutsche Sprecher/-innen bei Fügungen mit den Morphemen {spitze}, {super}, {aktiv} und {passiv} wählen und welche Relevanz dabei der Auflösung von Polysemie zukommt. Dazu wurden 70 Personen anhand von einschlägigen Beispielsätzen interviewt. Es erwies sich, (a) dass Spitzen– meist als Erstglied von Komposita verwendet wird, wobei zwischen [´spitzen-X] und [´spitzen-´X] im Sinne von ›herausragend, sehr gut‹ frei variiert werden kann, wenn es noch keine homonymen lexikalisierten Formen gibt, (b) dass super im Sinne von ›sehr gut‹ meist wie ein indeklinables Adjektiv gebraucht wird und (c) dass der Unterschied [´aktiv] vs. [ak´tiv] bzw. [´passiv] vs. [pas´siv] recht individuell gehandhabt wird.

The following contribution investigates which stress patterns Germans use for combinations with the morphemes {spitze}, {super}, {aktiv} and {passiv} and what role is played in these instances by the dissolution of polysemy. 70 persons were interviewed on some relevant sentence examples. The results are (a) that Spitzen– is mostly used as the first element of compounds, with [´spitzen-X] and [´spitzen-´X] in the sense of ›outstanding, very good‹ being in free variation if there are no lexicalized homonymous forms, (b) that super is mostly used like an indeclinable adjective and (c) that the difference between [´aktiv] vs. [ak´tiv] as well as [´passiv] vs. [pas´siv] is dealt with in a quite individual way.

Schafroth, Elmar
Genuskongruenz im Deutschen, Französischen und Italienischen

Die nachfolgende Studie beschäftigt sich mit dem Phänomen der Genuskongruenz in zwei romanischen Sprachen und dem Deutschen. Anhand einiger grammatikalischer Kategorien (Nomen, Possessiva, Demonstrativa) sowie mit Bezug auf die Sprachebenen Morphosyntax, Syntax und Text werden in einer kontrastiven Analyse die Eigenheiten und Probleme dieser Sprachen bei der Genuskongruenz dargestellt. Es zeigt sich, dass das Italienische eine vergleichsweise starke Genussprache ist, während im Französischen im phonischen Code zum Teil gar keine Genusmarkierung stattfindet und die Kategorie Genus im Deutschen fast nur für den Bereich der Nominalphrase relevant ist. Auf Satz- und Textebene wird die Kongruenzhierarchie Corbetts illustriert und durch eigene Kategorien erweitert. Insbesondere am Französischen wird gezeigt, dass die Nichtfeminisierung von Berufsbezeichnungen auch von syntaktischen und textlinguistischen Faktoren abhängen kann. Schließlich kommt ein Problem zur Sprache, das in allen Sprachen nachweisbar ist, jedoch am deutlichsten im stark genus- und numerusflektierenden Italienischen in Erscheinung tritt: das Prinzip der servitude grammaticale (generelle Kongruenz mit dem Maskulinum).

The following study deals with gender agreement in two Romance languages and in German. A contrastive analysis, focussing on some grammatical categories (noun, possessives, demonstratives) illustrates the main properties of these languages with respect to gender. Then, on the syntactic and textinternal level, Corbett‘s theory of the agreement hierarchy will be discussed and extended by other syntactic and textlinguistic categories such as proximity or distance and the communicative necessity for gender agreement. Finally, the principle of the so-called servitude grammaticale will be exemplified and discussed, especially with respect to French and Italian.

Hinrichs, Uwe
Diskussion: Kreolisierungstendenzen im Deutschen? Einige Bemerkungen

In diesem Kurzbeitrag werden einige Phänomene der Analytisierung der modernen gesprochenen deutschen Umgangssprache diskutiert. Kasusreduktion und -vertauschung, Produktivität von Präpositionen, analytischer Komparativ, vielfache Verletzungen der Kongruenz etc. werden unter dem Begriff Kreolisierung zusammengefasst, weil sie im Deutschen unter den Bedingungen von Sprachkontakt, Sprachkonflikt und diffusen Mehrsprachigkeiten entstehen und auch in vielen Kreolsprachen vorkommen. Es wird empfohlen, auch Kontaktlinguistik, Kognitive Linguistik und die Linguistik simplifizierter Varietäten in die Theoriebildung mit einzubeziehen.

In this short article some phenomena of recent analytization of the German colloquial language are discussed. The reduction of morphological cases, the productivity of prepositions, a new analytical comparative of adjectives, some examples of non-coherence etc. are seen as phenomena of linguistic creolization, because in the German language they arise under the conditions of language contact and language conflict and can be found in many creol languages, too. Therefore in the future it might be useful to discuss the facts also in the light of contact linguistics and the linguistics of simplified varieties.

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