Was bedeutet eigentlich rachullisch?
[F] Es kam bei uns (wir leben in Berlin) die Frage auf, ob es das Wort rachullisch überhaupt gibt und was es bedeutet. In unserer Familie ist dieser Ausdruck gut bekannt. Leider war in keinem Wörterbuch etwas zu finden, und auch das Internet konnte mir nicht weiterhelfen.
[A] Das Ihnen rätselhafte Wort kommt tatsächlich vor, nur ist es nicht gemeinsprachlich und wird auch nur in speziellen Nachschlagewerken genannt. Im Internet findet sich zwar viel, aber nicht immer Sinnvolles, und vieles, was man dort erwartet, sucht man vergebens.
Das Adjektiv rachullig, auch rachullerig lässt sich auf die ostpreußische Mundart zurückführen und wird in den diesbezüglichen Wörterbüchern aufgeführt, so im Preußischen Wörterbuch von E. Riemann/U. Tolksdorf (Band 4, 1992); die Bedeutung wird mit ›habgierig, geizig‹, auch ›gefräßig‹ und ›übermäßig, raffgierig arbeitend‹ angegeben; Beispielsätze: »De es so rachullrich, de kricht dem Schlunk [= Schlund] nich voll«, »Mensch, es de rachullerich!«. Andere, verwandte Ausdrücke kommen hinzu, z. B. die Substantive Rachull, Rachuller bzw. Rachummel (›Geizhals‹) und Rachullerigkeit sowie das Verb rachullen/rachullern (›habgierig etwas zusammenraffen, übertrieben sparsam, geizig sein‹).
Auch Bruno Betcke vermerkt in seiner Sammlung Die Königsberger Mundart. Sammlung ostpreußisch-königsbergischer Ausdrücke (1924) rachullrig (›habgierig‹), daneben Rachull (›habgieriger Mensch‹) und rachullen (›habgierig sein‹). Das Brandenburg-Berlinische Wörterbuch (Band 3, 1994) kennt ebenfalls rachullerig und versteht dieses Wort in ganz ähnlichem Sinne: ›allzu arbeitsam‹.
Eine sprachliche Herleitung wird in diesen Lexika leider nicht vorgenommen. Dem Deutschen scheint ja diese Wortfamilie fremd zu sein, zu vermuten ist ein Spracheinfluss aus Nachbarregionen des früheren Ostpreußen. Dass die ostpreußischen Mundarten aus benachbarten Sprachen Impulse empfingen, »die Geschichte, Kultur und Kolonisation des Landes« widerspiegeln, hat etwa Walther Ziesemer in seiner Abhandlung Die ostpreußischen Mundarten (1924, S. 134 f.) erwähnt, und er wies insbesondere auf das Polnische und Litauische hin, z. B. Bulwe ›Kartoffel‹ (polnisch bulwa), Ratteier ›Pflüger, Landarbeiter‹ (polnisch ratay), Kissehl ›Haferbrei‹ (litauisch kisēlus).
Das ältere Preußische Wörterbuch von H. Frischbier (1883) bietet denn auch eine entsprechende Lösung an. Rachull, rachullen und rachull(e)rig werden auf das Polnische zurückgeführt: Auch wenn bei der Deutung von rachullen (›gierig verlangen, an sich reißen‹) an Rachen gedacht worden sei, liege »wohl das poln. rachować rechnen, zählen, näher, dessen Präs[ens] rachuję lautet«. Das uns vorliegende neuere Handwörterbuch Polnisch–Deutsch (Bzdęga/Chodera/Kubice, 1989) bestätigt diese Erklärung: rachować bedeutet ›zählen, rechnen‹, rachuba meint ›Rechnung‹.