20. November 2023

SPRACHE+RESPEKT – Folge 6: Grenzen

Grenzen

Die Sprache ist – wie auch die Gedanken in dem bekannten Volkslied von August H. H. von Fallersleben – frei. Prinzipiell kann, darf und soll jeder Mensch alles sagen können. Das Prinzip lautet dabei: Die Sprache ist für den Menschen da; nicht umgekehrt. Sich ihrer ungehindert bedienen zu können, ermöglicht das Zusammenleben von Menschen. In offenen Gesellschaften ist sie ein fundamentales Merkmal für die Möglichkeit kritischer, nichtzensierter Diskurse.

Dieses stellt in der demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ein derart wichtiges Kennzeichen dar, dass es bereits in Artikel 5 des Grundgesetzes verankert ist. Gleichwohl hat »der Staat« die Möglichkeit, sprachliche Äußerungen zu sanktionieren. Und gleichzeitig kommen vermehrt aus »der Gesellschaft« Forderungen z. B. nach Verboten vom Aussprechen konkreter Worte oder spezifischer Sachverhalte.

Respekt und rechtliche Aspekte

Sprachlicher Respekt hat einige spezifische formale Merkmale (etwa Bitten, Danken, Begrüßung, Verabschiedung). Naturgemäß wird jedoch das, was als respektvoll bzw. respektlos anzusehen ist, relativ bewertet. Was der eine (gerade) noch als respektvoll versteht, ordnet eine andere (gerade) schon als respektlos ein. Unterschiedlichste Faktoren spielen hierbei eine Rolle (Geschlecht, kulturelle Herkunft, biografische Merkmale u. v. a. m.). Daher kann man zunächst eine individuelle Positionierung jedes einzelnen Menschen hinsichtlich einer subjektiv empfundenen Respektsskala ausmachen. Diese wird flankiert von verschiedenen staatlichen (genauer: juristischen) Regelungen, die dem Bemühen verpflichtet sind, das sprachlich Erlaubte bzw. Verbotene in objektivierbare Tatbestände umzuwandeln, welche sich ihrerseits z. B. in Strafen ausdrücken können.

Abb. 6-1: Das Recht (Justitia) urteilt ohne Ansehen der Person (Augenbinde), nach sorgfältiger Abwägung (Waage) mit einem angemessen, aber klar »schneidendem« Urteil (Schwert). CC-Lizenz

Verkürzt gesprochen regelt die Verfassung (auch: Grundgesetz, GG) der Bundesrepublik Deutschland die wichtigsten Rechte und Pflichten seiner Bürgerinnen und Bürger, auf die sich jede und jeder vor dem Gesetz berufen kann; diese beziehen sich auch auf Sprache. Diese dort grundlegend geregelten Freiheiten (und Zwänge) finden ihre Einschränkungen in den Gesetzen, wie z. B. dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) oder dem Strafgesetzbuch (StGB). Die zentralen Errungenschaften dieser demokratischen Gesellschaft im GG, die sich explizit auf die Sprache und Kommunikation beziehen, sind:

  • Artikel 5, Absatz 1 GG (Meinungsfreiheit): »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.«
  • Artikel 5, Absatz 2 GG: »Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
  • Artikel 5, Absatz 3 GG: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.«
  • Artikel 8, Absatz 1 GG (Demonstrationsfreiheit): »Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.« Der Bezug zur Sprache besteht darin, dass eine Versammlung naturgemäß den Zweck einer gemeinschaftlichen Willenskundgabe verfolgt. So werden dort regelmäßig Interessen, Proteste und Appelle u. a. m. formuliert.

In Artikel 5, Absatz 2 GG findet sich bereits eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, welche im konkreten Fall drei Einzelmerkmale benennt, nämlich (a) die allgemeinen Gesetze, (b) den Schutz der Jugend sowie (c) das Recht der persönlichen Ehre. Dies wird im Folgenden kurz ausgeführt:

Beleidigung u. a.: Das Strafgesetzbuch kennt z. B. die Tatbestände der Beleidigung (§ 185 StGB), der üblen Nachrede (§ 186 StGB) oder der Verleumdung (§ 187 StGB). Eine Beleidigung wird als die Mitteilung der Missachtung oder Nichtachtung einer Person definiert. Dies kann mündlich, schriftlich, durch Gesten (Mittelfinger) oder Handlungen (Spucken) geschehen. In der Terminologie des Rechts wird sie als ein sog. »Ehrdelikt« gehandhabt. Diese Sichtweise nimmt Bezug auf die »Gesichtswahrung«, wie sie in der Sprachwissenschaft z. B. durch Erving Goffman[1] etabliert wurde. Eine Beleidigung ist demnach eine Respektlosigkeit, die der/dem Beleidigten einen Gesichtsverlust zufügt.

Hasskommentare/Hassrede: In Deutschland erfüllen Hasskommentare keinen eigenständigen Straftatbestand, sie können jedoch unter die im Absatz Beleidigung aufgeführten Paragrafen (und auch weiterer) untergeordnet (subsumiert) werden und in dieser Form zur Anwendung kommen. Um der zunehmenden Verbreitung von Hasskriminalität entgegenzutreten, wurde 2017 das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) verabschiedet. Darin werden Regeln für Anbieter sozialer Netzwerke beschrieben, die den Umgang mit Nutzerbeschwerden bzgl. der Hasskommentare reglementieren. Die Durchsetzung dieser Regelung ist jedoch notorisch schwierig.

Abb. 6-2: Respektvolle und respektlose Formen der Online-Kommunikation. Respektlosen Formen der Netzkommunikation versucht der Gesetzgeber zu begegnen, wobei die Durchsetzung schwierig ist. © runkehl.net

Holocaustleugnung: Eine feste Grenze des Sagbaren betrifft die Leugnung des Völkermords an den Juden während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. So regelt Paragraf 130 StGB, Abs. 3: »Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung […] öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.« In der Argumentation der Gerichte wird dadurch eine unwahre und falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt, die explizit nicht vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist. Darüber hinaus wird argumentiert, dass die Leugnung des Holocausts mit der prinzipiellen Billigung desselben gleichzusetzen ist. Weil sich der Holocaust gegen Juden (und andere Verfolgte des Dritten Reiches) wendete, wird eine Leugnung zudem regelmäßig als eine Aggression gegen diese Gruppen zu bewertet.

Respekt und gesellschaftliche Aspekte

Neben rechtlich relevanten Tatbeständen bietet die Vielfalt gesellschaftlicher Betätigung Anlass zu einem Nachdenken über Sprache und Respekt. So ist wiederholt eine Diskussion zu beobachten, die danach fragt, was man denn heute noch sagen könne (vgl. auch Abb. 6-3).

Abb. 6-3: Kann man alles sagen? Daten: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 136 v. 16.06.2021, S. 8 – Umsetzung: © runkehl.net

Die Gesellschaft der Gegenwart ist gekennzeichnet von einer Vielzahl von Interessensgruppen. Durch die Möglichkeiten der Netzkommunikation haben diese selbst zahlreiche Möglichkeiten auf ihre Anliegen hinzuweisen, sie für die Welt sichtbar zu machen. Solche sichtbaren Gruppierungen setzen sich bspw. für das Klima, die Gleichstellung der Geschlechter, gegen die Diskriminierung von Minderheiten u. v. a. m. ein. Im Zuge dieser Möglichkeiten haben sich verschiedene Strömungen entwickelt, die den freien (hier zunächst auch: unreflektierten) Wortgebrauch einschränken wollen, um etwa Kränkungen und Beleidigungen von Individuen oder Gruppen zu vermeiden. Ein solches Ziel verfolgt etwa die Idee der Politischen Korrektheit (engl. Political Correctness, kurz: PC). Um die sprachliche Diskriminierung zu unterbinden, werden daher Wortalternativen vorgeschlagen, wie sie sich im Begriff Person of Color (kurz: PoC) widerspiegeln, welches bspw. die diskriminierenden Wörter Farbiger oder Mohr ersetzen sollen.

Abb. 6-4: Unterschiedliche Ansichten zur »Cancel Culture« in Deutschland im Vergleich mit den Vereinigten Staaten von Amerika (Angaben in Prozent). Daten: https://de.statista.com/infografik/23325/umfrage-dazu-ob-cancel-culture-ein-problem-ist/ von 09/2020, Umsetzung: © runkehl.net)

Dieses Bemühen um einen grundsätzlich zu begrüßenden, diskriminierungsfreien Sprachgebrauch wird mancherorts verbunden mit einer Forderung nach einer konsequenten Umsetzung bei gleichzeitiger Sanktionierung von Menschen, die diese Begriffe (bewusst oder versehentlich) doch verwenden. Dies entspricht dem Vorgehen der Cancel Culture, welche systematisch Personen oder Institutionen (gegen die der Vorwurf beleidigender, rassistischer, homophober und weiterer diskriminierender Merkmale erhoben wird) sozial ausschließen. Dies kann in Form von Beitragslöschungen, Ausladungen, Verhinderung von Veranstaltungen u. a. m. geschehen. Diese Form des Unterbindens von Sprache bei gleichzeitig vollzogener Sanktionierung wird vielerorts als unzulässiger Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit wie auch der Freiheit von Kunst und Wissenschaft gewertet. Umfragen zeigen (vgl. Abb. 6-4), dass das Problem, welches durch Cancel Culture entstehen kann, beispielsweise in Deutschland und den Vereinigten Staaten deutlich unterschiedlich bewertet wird.

Ähnlich gelagert ist das Vorhaben des »Sensitivity Readings«. Hier sollen (insbes. literarische) Texte auf mutmaßlich anstößige (Stereotype, Vorurteile u. a. m.) Inhalte gelesen werden, wobei diese anschließend ersetzt oder getilgt werden. Die Befürworter sehen darin einen Fortschritt hinsichtlich einer übergreifend-integrativen Form von »friktionsfreien« Texten. Deutliche Ablehnung erfährt dieses Verfahren insbesondere bei der nachträglichen Änderung literarischer Werke.

Abb. 6-5: Demonstrationsplakat für den Wokeismus. CC-Lizenz

Eine weitere, kontrovers diskutierte Strömung, welche die Sprache als Instrument der Restriktionen verwendet, stellt der Wokeismus[3] dar. Der englische Begriff woke (›aufgewacht, erwacht‹) steht für ein waches Bewusstsein z. B. in Bezug auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit oder des Rassismus. Vordergründig engagieren sich woke Vertreterinnen und Vertreter für Diversität, Gleichberechtigung, Klimaneutralität, was zwangläufig breite Zustimmung erzeugt. Vermehrt wird in wissenschaftlichen Arbeiten jedoch darauf verwiesen, dass es zum Habitus dieser Bewegung zählt, die einzig richtige Definition, den einzig richtigen Weg für sich zu reklamieren. Als ausgesprochen problematisch wird dabei gesehen, dass woke Aktivistinnen und Aktivisten im demokratischen Sinne (noch) keine Mehrheiten darstellen, jedoch öffentliche Diskurse in einer Art und Weise zu steuern versuchen, als würden sie die öffentliche Mehrzahl repräsentieren. Wissen, Macht und Sprache werden in diesem Kontext »lediglich [als] soziale Konstrukte mit repressiver Schlagseite im Dienste der Herrschenden«[2] bewertet. Die Macht der Sprache, zu überzeugen, soll hier durch Einschränkungen über das, was und wie etwas ausgesagt werden kann, erreicht werden. Darin zeichnen sich fundamentale Vorgaben und Einschränkungen über ›richtige‹ und ›falsche‹ Ideen, Vorschläge, Terminologien ab, die sich in einer ebenso ›richtigen‹ wie ›falschen‹ Sprache niederschlagen. Dieses Vorgehen jedoch »ist weder historisch noch empirisch noch nach Maßgaben der Vernunft haltbar«.[4]

In der Kunst: Comedy/Satire

Comedy möchte sein Publikum zum Lachen bringen, Satire kritisieren und verspotten. Dabei werden regelmäßig und zielgerichtet Grenzen des Respekts überschritten, weil die Überzeichnung, die Karikatur, der Gesichtsverlust zu den Instrumenten der Kunst gehören. Und es gilt der Schutz des Grundgesetzes, welches Äußerungen, Texte und Werke der Kunst hierbei gesondert durch Artikel 5, Abs. 3 GG schützt (siehe oben).

Abb. 6-6: Comedy darf sehr viel, aber auch nicht alles. CC-Lizenz

Dennoch kann es in besonders schwerwiegenden Fällen zu Einschränkungen kommen. Als prominenter Fall gilt dabei die »Böhmermann-Affäre«. Hierbei hatte der Moderator und Satiriker Jan Böhmermann im Jahr 2016 im Fernsehen ein als »Schmähkritik« bezeichnetes Gedicht vorgetragen, welches vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan handelt. Erdoğan erstattete daraufhin Strafanzeige. Die Strafsache zog sich vom Landgericht bis hin zum Bundesverfassungsgericht. In der Konsequenz wurde dabei festgestellt, dass einige Passagen des Gedichts nicht von der Meinungsfreiheit abgedeckt seien, weil sie eine bloße Herabsetzung der Person Erdoğans darstellten und nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlich maßgeblichen Kunstbegriffs entsprechen. Insgesamt unterliegen damit 18 von 24 Zeilen des Gedichts einem Wiederholungsverbot. Gegen dieses Verbot legte der Verfasser des Gedichts Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht ein, die jedoch mangels Erfolgsaussichten nicht zu einer Entscheidung angenommen wurde.

In der Wirtschaft: Werbung

Werbung ist geprägt von einer Informationsvermittlung, die den Verbraucher überzeugen soll, ein bestimmtes Produkt/eine bestimmte Dienstleistung zu kaufen. In der heutigen Zeit wird jede Konsumentin/jeder Konsument tagtäglich mit tausenden Werbe- und Markenbotschaften konfrontiert. Um in dieser Situation durchzudringen und sich behaupten zu können, sind Strategien gefragt, welche die Aufmerksamkeit des Konsumenten auf die jeweilige Werbung lenken. Dazu zählen humorvolle, ironische und emotionale Strategien. Ganz bewusst verwendet die werbetreibende Industrie jedoch auch solche Strategien, die Grenzen verletzen oder übertreten. Und so zählt auch die unsensible, respektlose Werbung zum Instrumentenkasten, um die Gunst des Kunden des gewinnen. Dies lässt sich leichterhand nachvollziehen: Die Bildsuche nach »Werbung« und »Diskriminierung« in einer beliebigen Suchmaschine bietet zahllose Beispiele.

Abb. 6-7: Respektlose Werbung kann vom Werberat gerügt werden. CC-Lizenz

Auch hier gilt die Relativität der Grenzen des Respekts. Was die Konsumentin A als Werbeslogan oder Abbildung als respektlos einschätzt, wird vom Konsumenten B als gangbare Werbekommunikation bewertet. Eine Möglichkeit, sich mit vermeintlich respektloser Werbung auseinanderzusetzen, bietet der Deutsche Werberat. Dieser ist eine Selbstkontrolleinrichtung der Werbewirtschaft, welcher beobachtet, ob Werbung »rechtlich zulässig ist [und] auch ethische Grenzen nicht überschreitet«.[5] Hierzu wurde ein Leitfaden herausgegeben, der sich »gegen Herabwürdigung und Diskriminierung von Personen«[6] ausspricht. In der Broschüre werden fiktive Beispiele für Diskriminierung, Stereotype, Objektifizierung, Sex bzw. Nacktheit in der Werbung u. a. m. gezeigt und entsprechend vom Werberat dahingehend bewertet, ob die ausführende Werbeagentur gerügt wird. Nicht unproblematisch ist dabei, dass für die Entscheidung des Rates, ob ein Verstoß gegen seine Grundsätze vorliegt, u. a. folgendes Leitbild zugrunde liegt: das »Leitbild des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers, der den von der Werbung angesprochenen Verkehrskreisen angehört«. Was in diesem Zusammenhang ein »durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher« ist und welche Merkmale diesen auszeichnen, ist angesichts der Relativität der Merkmale schwer nachzuvollziehen.

Der gegenwärtige Zeitgeist (auch in der Werbung) wendet sich beispielsweise erkennbar von einer stereotypen Darstellung männlicher und weiblicher Körper ab. Insbesondere ein übertriebenes, auch gesundheitsgefährdendes Schlankheitsbild der Frau (Size Zero) wird zunehmend abgelehnt, weil es die Lebenswirklichkeit »normaler« Menschen nicht mehr widerspiegelt. Dies schlägt sich deutlich in der Aussage nieder (vgl. Abb. 6-8), dass Konsumentinnen und Konsumenten Werbung begrüßen, die klischeebehaftete Körperpräsentation ablehnen zugunsten alltagsrealistischer Körperdarstellungen.

Abb. 6-8: Deutsche wollen mehr realistische Werbung (Angaben in Prozent). Daten: https://de.statista.com/infografik/30181/meinung-zu-diversitaet-in-der-werbung/ von 2023, Umsetzung: © runkehl.net)

Zusammenfassung

Diese Folge hat versucht, mögliche Grenzen der Respektlosigkeit zu identifizieren. Dabei wurden zwei Beispielstränge verfolgt: Einerseits verweisen juristische Regelungen auf Möglichkeiten und Grenzen dessen, was gesagt werden kann und was nicht. Andererseits verfolgen auch gesellschaftliche Debatten das Ziel auszuloten, welche Worte, Bezeichnungen oder Phrasen innerhalb oder außerhalb einer tolerierten Grenze stehen. Während das Gesetz konkrete Sanktionierungsmaßnahmen kennt, ist das »Richtig« und »Falsch« innerhalb der Gesellschaft eine Aushandlungsdebatte aller Teilnehmer einer Sprachgemeinschaft, welche sich im Rahmen des fortlaufenden Sprachwandels durch den Gebrauch verfestigt – oder eben auch nicht. Sanktionierungen sind hier nicht justiziabel, können aber dennoch problematisch sein, da im Rahmen von gesellschaftlicher Verurteilung (Hasskommentare, Shitstorm) eine öffentliche Ächtung vollzogen werden kann, die einer juristischen nahekommt. Stichpunktartig lässt sich festhalten:

  1. Es gibt rechtliche Grenzen, die Respektlosigkeit (z. B. Ehrverletzung) unterbinden sollen. Ein deutlich anderer Fall ist die Leugnung des Holocausts, der von den Gerichten als sprachliche Aggression eingestuft wird.
  2. Die Hürden zur Verhängung von Sanktionen sind hoch. In der Rechtsprechung wird immer wieder die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorgehoben, damit die Rechte an der Freiheit der eigenen Meinungsäußerung so weit wie möglich gewahrt bleiben.
  3. Neben den rechtlichen Grenzen wird auch durch gesellschaftliche Debatten ausgehandelt, welche Werte und Worte im Sprachgebrauch erwünscht/toleriert werden. Gegenwärtig schwingt das Pendel dabei jedoch in die Richtung, welche Grenzen des Sagbaren in unterschiedlichen Bereichen (bspw. Diskriminierung) vorhanden sind.
  4. Problematisch werden Lösungsvorschläge dann, wenn deren Umsetzung nicht auf demokratischen Aushandlungsprozessen beruht, sondern vielmehr aufgrund vermeintlich unverhandelbarer Forderungen partikularer und von singulären Interessen geleiteter Gruppierungen umgesetzt werden sollen.
  5. Jede und jeder Einzelne hat tagtäglich die Möglichkeit, die Freiheit der Meinungsäußerung für sich zu nutzen. Sie ist Ausdruck und Privileg eines langwierigen Demokratisierungsprozesses, der in vielen Staaten der Erde noch nicht erreicht wurde.
  6. Bei dem Bemühen, Umfang und Begrenzung des eigenen sprachlichen Respekts zu definieren ist es hilfreich, die eigenen Bedürfnisse und Erwartungen zugrunde zu legen, diese dann entsprechend auf die Mitmenschen angewendet werden (Goldene Regel: Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest!). Die Orientierung an Vorbildern (Folge 5: Vorbilderhttps://gfds.de/sprache-und-respekt-vorbilder/) kann dabei hilfreich sein.

[1] Erving Goffman (1967): »On Face-Work.« In: Ders. (Hg.): Interaction Ritual. Essays on Face-to-Face Interaction. Aldine, Chicago, S. 5–45.

[2] Dieser Begriff ist als Fachwort (noch) nicht etabliert, vereint jedoch in knapper Form unterschiedliche Einzelströmungen. Verwendet wird er bspw. in dem Artikel von Ayaan Hirsi Ali: In Amerika greift die Ideologie des Wokeismus um sich (https://www.nzz.ch/feuilleton/in-amerika-greift-die-ideologie-des-wokeismus-um-sich-ld.1745600).

[3] Helen Pluckrose und James Lindsay (2022): Zynische Theorien. Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nutzt. München, S. 53 f.

[4] Ebd., S. 298.

[5] Selbstauskunft auf der Homepage: https://www.werberat.de/aufgaben-und-ziele.

[6] Download unter: https://www.werberat.de/file/6227/download?token=NTTgeVd6.

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