23. Oktober 2023

SPRACHE+RESPEKT – Folge 5: Vorbilder

Vorbilder

Ein Vorbild geben bedeutet, mittels einer positiven Haltung, eines Beispiels oder durch eine besondere, (vielleicht auch) herausragende Leistung für andere Menschen eine Projektionsfläche anzubieten, die das Identifikationspotenzial in sich birgt, dem Vorbild zu folgen, die Haltungen und Werte als leitendes Muster in den eigenen Lebensentwurf, das eigene Handeln zu integrieren. Vorbilder sehen wir in Personen, die bspw. für die Rechte von Menschen – vielfach unter Gefahr für das eigene Leben – eintreten, insbesondere auch für Minderheiten. Genauso respektvoll blicken wir auf Erfinderinnen und Erfinder und andere Leistungen, die über das Bekannte eines Durchschnitts hinausreichen und das Verschieben von Grenzen initiieren.

Vorbilder finden sich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Egal ob Politik, Wissenschaften, Technik, Medizin: Die Geschichte ist reich an Persönlichkeiten, die vielen Menschen ein Beispiel geben. Im Rahmen der Reihe SPRACHE+RESPEKT sollen Menschen benannt werden, bei denen das Vehikel Sprache – im weitesten Sinne – einen relevanten Bezug zu der Vorbildfunktion ihrer Trägerinnen und Träger aufweist. Dies ergibt sich bspw. dann, wenn Ideen über Reden oder Texte oder durch Sprache und Kommunikation begünstigende Erfindungen oder Ähnliches eine Verbreitung fanden.

Für SPRACHE+RESPEKT sind Vorbilder zwangsläufig in Geschichte und Gegenwart zahllos. Namen wie (in alphabetischer [Nachnamen-]Ordnung) Charles Darwin, René Descartes, Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nikolaus Kopernikus, Nelson Mandela, Albert Schweitzer, Mutter Teresa, Greta Thunberg, Desmond Tutu sind solche, die vielen Menschen etwas sagen und bedeuten. In dieser Liste fehlen jedoch Vorbilder in zweierlei Hinsicht: Einerseits all jene klingenden Namen, die ebenfalls aus der Geschichte der Weltereignisse heraus Erwähnung verdienten. Zum Zweiten jedoch auch jene die als »stille« Vorbilder tagtäglich gerade nicht die Sichtbarkeit erhalten, die sie verdienten: All die »normalen« Mütter, Väter, Freunde, Pflegerinnen, Polizisten, Lehrerinnen, Handwerker und viele, sehr viele andere mehr. Die nachfolgend präsentierte Auswahl kann daher nur überragend fragmentarisch sein und bleiben und all jenen Unrecht tun, die dadurch nicht sichtbar werden. Wenn auf dem hier begrenzten Raum überhaupt eine Aussage be-MERKEN-swert ist, dann vielleicht diese: In wirklich allen gesellschaftlichen Bereichen gibt es weibliche wie männliche Vorbilder, solche die jung oder alt sind und eine weitreichende Inspiration entfalten. Die Gemeinsamkeit, die sie eint, ist: Vorbilder sind Menschen, die anderen Menschen ein Beispiel geben. Um es – hoffentlich ein wenig interessanter – zu gestalten, sind die nachfolgenden Schlaglichter nicht nach Personen oder Jahreszahlen, sondern nach gesellschaftlichen Bereichen aufgeführt:

Zugang zu Bildung (insbes. f. Mädchen): Malala Yousafzai (*1997)

Abb. 5-1: Das Recht von Kindern auf Bildung. CC-Lizenz

Die Kinderrechtsaktivistin und Friedensbotschafterin der UN wurde in Pakistan geboren. Während ihrer Kindheit lebte sie in Swat-Tal, welches im Nordwesten Pakistans liegt und zeitweise von der Terrororganisation der Taliban beherrscht wurde. Diese begann 2007 damit, Schulen für Mädchen zu zerstören, und hat ihnen der Schulbesuch grundsätzlich untersagt. Gleichzeitig durften sie beispielsweise keine Musik hören oder tanzen. Inspiriert vom Tagebuch von Anne Frank begann Malala Yousafzai damit, unter einem Pseudonym 2009 ein Internet-Tagebuch zu führen. Darin verarbeitete sie ihre Sorgen und Ängste vor dem Hintergrund der Gewalt und des Terrors der Taliban-Herrschaft. Ihr Blog erhielt in Pakistan schnell große Aufmerksamkeit und wurde ins Englische übersetzt. 2011 wurde ihr Pseudonym aufgedeckt. Am 9. Oktober 2012 stoppten Taliban-Terroristen Yousafzais Schulbus und schossen ihr in Kopf und Hals. In einem Bekennerschreiben nannten die Terroristen Malala Yousafzais Einsatz für das Recht auf Schulbesuch von Mädchen als Grund für den Anschlag. Durch zahlreiche Operationen konnte das Leben Yousafzais gerettet werden. Sie wurde 2012 vom Time Magazine nach Barack Obama zur zweitwichtigsten Person des Jahres gewählt. Am 10. Oktober 2014 erhielt sie (zusammen mit dem indischen Kinderrechts- und Bildungsaktivisten Kailash Satyarthi) den Friedensnobelpreis. In seiner Begründung bezog sich das Nobelkomitee auf »ihren Kampf gegen die Unterdrückung von Kindern und Jugendlichen und für das Recht aller Kinder auf Bildung«. Sie ist damit sowohl die jüngste Preisträgerin eines Nobelpreises als auch des Friedensnobelpreises.

Pressefreiheit: Anna Politkowskaja (1958–2006)

Abb. 5-2: Die Gefahr freier journalistischer Berichterstattung in autokratischen Systemen. CC-Lizenz

Die in New York geborene Menschenrechtsaktivistin studierte Journalismus an der Moskauer Lomonossow-Universität. Sie gehört zu einer Liste von 1.000 Frauen, die für den Friedensnobelpreis nominiert waren. Politkowskajas Arbeit als Journalistin zeichnete sich dadurch aus, dass sie im Rahmen des Tschetschenienkrieges anhaltend Berichte und Reportagen veröffentlichte, die im Widerspruch zu den offiziellen Regierungsdarstellungen standen. Sie enthüllte Kriegsverbrechen von Seiten der russischen Armee und deckte Unterschlagung, Korruption und Folter auf. Sie war Mitarbeiterin der in Moskau verlegten Zeitung »Nowaja gaseta« Der Begründer des Blattes, Dmitri Muratow, wurde 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Vor dem Hintergrund dieser publizistischen Tätigkeit galt Politkowskaja im Westen als unabhängige und unbeugsame Verfechterin journalistischer Freiheit. Die Berichterstatterin wurde am 7. Oktober 2006 durch mehrere Schüsse in ihrem Moskauer Wohnhaus getötet. Die Organisation »Reporter ohne Grenzen« organisierte eine von 6.000 Menschen unterstützte Unterschriftensammlung, die die Untersuchung der Ermordung forderte. Die Familie von Anna Politkowskaja strengte eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an, bei der dem russischen Geheimdienst vorgeworfen wurde, den Mord in Auftrag gegeben zu haben vor dem Hintergrund von Politkowskajas regimekritischer Berichterstattung.

Gleichberechtigung sexueller Identität: Harvey Milk (1930–1978)

Abb. 5-3: Einsatz für die Gleichberechtigung sexueller Orientierung. CC-Lizenz

Der Demokrat und Bürgerrechtler Milk wird als erster offen homosexueller Politiker der Vereinigten Staaten beschrieben. Die 70er Jahre waren in den USA ein politisch wie gesellschaftlich von Krisen und Umbrüchen geprägter Zeitabschnitt. So führten z. B. der Vietnamkrieg (ca. 1955–1975) oder die Watergate-Affäre zu einer Unzufriedenheit und einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Die Hippie-Bewegung der späten 60er und frühen 70er Jahre führte dagegen zu einem Bruch mit bislang geltenden gesellschaftlichen Gesellschafts- und Moralvorstellungen (»make love, not war«). In ihren Begleitströmungen entwickelte sich auch die Idee der sexuellen Revolution. In den USA waren zu jener Zeit homosexuelle Handlungen in nahezu allen Bundesstaaten unter Strafe gestellt. Treffpunkte für Homosexuelle (wie etwa Bars, Parks) waren repressiver Beobachtung und Verfolgung ausgesetzt. Diese Ausgangslage begünstigte eine zunehmende Organisiertheit homosexueller Menschen, die für ihre Rechte eintraten. Harvey Milk bewarb sich um ein politisches Amt und war 1978 Stadtrat in San Francisco. Zu seinen politischen Errungenschaften gehören bspw. die Abschaffung des Gesetzes »Verbrechen wider die Natur«, welches Homosexuelle als Schwerverbrecher diskriminierte. Milk wurde am 27. November 1978 von einem politischen Kontrahenten im Rathaus von San Francisco erschossen. 2009 wurde Harvey Milk posthum von Präsident Barack Obama die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten, die »Presidential Medal of Freedom«, verliehen.

Widerstandskampf gegen die Diktatur: Hans (1918–1943) und Sophie (1921–1943) Scholl

Abb. 5-4: Widerstand gegen das Nazi-Regime. CC-Lizenz

Hans Scholl studierte ab 1939 an der LMU in München Medizin. Dort kam er in Kontakt mit Kritikern des NS-Regimes, die sich in den Reihen der Professoren oder Studierenden befanden. Durch verschiedene Einflüsse entschied sich Hans Scholl zum aktiven Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Seine Schwester Sophie Scholl war ab 1942 ebenfalls an der LMU für Biologie und Philosophie eingeschrieben. Es wird vermutet, dass Sophie mit Hans im Jahr ihrer Immatrikulation über Widerstandsaktionen gegen die Nazis sprach. Im Januar 1942 war sie erstmals an der Herstellung von Flugblättern beteiligt. Diese wurden unter dem Namen »Die Weiße Rose« veröffentlicht. Neben der Verteilung der Widerstandsschriften in München wurden sie über Kommilitonen auch in Wien, Stuttgart, Köln und Berlin verbreitet. So erhielten sie weitreichende Aufmerksamkeit und zogen das Interesse des Nazi-Regimes auf sich, welche die Urheber ausfindig machen wollten. Während die ersten Flugblätter noch passiven Widerstand forderten, wird im letzten offensiv zum Kampf gegen die NSDAP und zu ihrem Sturz aufgerufen. Hans und Sophie Scholl wurden inhaftiert und am 22. Februar 1943 – vom eigens aus Berlin angereisten Präsidenten des Volksgerichtshofes Roland Freisler – zum Tod durch das Fallbeil verurteilt. Sie wurden am selben Tag im Alter von 25 (Hans Scholl) bzw. 22 Jahren (Sophie Scholl) hingerichtet.

Krankenpflege: Florence Nightingale (1820–1910)

Abb. 5-5: Standards für Pflege und Hygiene durch Florence Nightingale. CC-Lizenz

Von der in Florenz geborenen Engländerin wurde als Mitglied einer vermögenden Familie im viktorianischen England erwartet, ein Leben als Ehefrau und Mutter zu führen. Nightingale verspürte jedoch schon früh die Berufung zum Pflegeberuf. Im deutschen Kaiserswerth sowie in Paris lernte sie die Wundverpflegung, Herstellung von Medikamenten und die Arbeitsweise von Krankenhäusern. Schon früh kritisierte sie mangelnde Hygiene und unzureichende Betreuung von Kranken. Während des Krimkrieges (1853–1856) kämpfte Russland gegen die Allianz aus Osmanischem Reich, Frankreich und Großbritannien. Die britischen Verwundeten wurden in Istanbul versorgt. Die medizinischen und hygienischen Bedingungen dort waren katastrophal, so auch im dortigen Militärkrankenhaus, in dem Nightingale die Organisation und Leitung der Pflege übernahm. Sie sorgte für Sauberkeit und Hygiene, organisierte spezielle Krankenkost. Durch ihr Wirken entstand durch Presseberichte in England das Bild einer Frau, die eine idealisierte Form von mitmenschlicher Zuwendung und christlicher Nächstenliebe verband. Durch Unterstützung von Königin Victoria arbeitete sie wesentlich an der Reform des britischen Sanitätswesens mit. 1860 erschien zudem ihr Buch »Notes on Nursing: What It is and What It is Not« (Anmerkungen zur Krankenpflege: Was sie ist und was sie nicht ist), welches z. B. einen großen Einfluss in den USA während des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865) auf die Versorgung Verwundeter ausübte. Mit ihrem Wirken gilt Nightingale als Begründerin der modernen Krankenpflege.

Datenverarbeitung: Ada Lovelace (1815–1852)

Abb. 5-6: Moderne EDV – durch eine Frau mit vorbereitet. CC-Lizenz

Die Tochter des britischen Romantik-Dichters Lord Byron erhielt in ihrer Kindheit neben einer privaten Ausbildung auch breiten Unterricht in den Naturwissenschaften. Ihr Leben lang interessierte sie sich beispielsweise für die Funktionsweise des Gehirns des Menschen. Von prägender Bedeutung war für sie daher die Bekanntschaft mit Charles Babbage (1791–1871), der als Erfinder des Computer-Vorläufers, der Rechenmaschine »Analytical Engine«, bekannt wurde. Diese sollte mathematische Funktionen in einzelne Arbeitsschritte aufteilen und automatisieren. Sie sah in der Analytical Engine eine Parallele zu den Jacquard-Webstühlen. Diese konnten mittels Lochkarten beliebige komplexe Muster automatisch erstellen. Auch wenn die Erbauung der Maschine von Babbage nie realisiert wurde, wurde sie doch theoretisch beschrieben. Er stellte sie im Rahmen eines Vortrages 1842 an der Universität Turin vor. Auf der Grundlage dieser Vorlesung erstellte der italienische Mathematiker Luigi Federico Menabrea (1809–1896) eine französische Beschreibung derselben an, welche Lovelace 1843 in das Englische übersetzte und kommentierte. Im Ergebnis geriet diese Beschreibung doppelt so umfangreich wie der Text von Menabrea und brachte ihr in wissenschaftlichen Fachkreisen weitreichende Anerkennung ein. Sie arbeitete die Unterscheidung zwischen den physischen Bestandteilen der Maschine (z. B. Lochkarten) und den immateriellen Aspekten (den Berechnungen) heraus und nahm so die Differenzierung von Hardware und Software vorweg. Die in ihren Anmerkungen vorgebrachte These, dass Maschinen zwar alle menschlichen Anweisungen ausführen können, jedoch zu keiner eigenen kreativen Gedankenarbeit fähig seien, wurde später vom Mathematiker, Informatiker und Kryptologen Alan Turing (1912–1954), welcher maßgeblich an der Entzifferung der Enigma-Maschine beteiligt war, aufgegriffen, indem er ihr widersprach.

Politik: Abraham Lincoln (1809–1865)

Abb. 5-7: Verfechter der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz; Abraham Lincoln. CC-Lizenz

Er gehört zu den historischen US-amerikanischen Präsidenten, die den Menschen weltweit geläufig sind. Der Grund hierfür ist, dass Lincoln in seiner Zeit als Staatsoberhaupt (1861–1865) die Sklaverei in den Vereinigten Staaten abschaffte. Diese Abschaffung beruht (auch) auf seiner Fähigkeit, Menschen und Mehrheiten mittels seiner sprachlichen Fähigkeiten zu begeistern und zu organisieren. Gleichzeitig ist diese Leistung auch im Lichte der Französischen Revolution (1789–1799) und ihres Kampfes für allgemeine Menschenrechte zu interpretieren. Sichtbares Ergebnis von Lincolns Bemühen ist der 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der am 18. Dezember 1865 in Kraft trat. Dieser besagt, dass »weder Sklaverei noch unfreiwillige Knechtschaft, außer als Strafe für ein Verbrechen, für das die betreffende Person ordnungsgemäß verurteilt worden ist, […] in den Vereinigten Staaten oder an einem anderen Ort, der ihrer Gerichtsbarkeit unterliegt, bestehen« dürfen. Der Weg hin zu diesem »Amendment« (Verfassungs-»Abänderung«) führte über den Amerikanischen Bürgerkrieg (auch: Sezessionskrieg) von 1861 bis 1865. Dieser wurde geführt, weil die damaligen Südstaaten die Abschaffung der Sklaverei ablehnten und aus der Union der amerikanischen Bundesstaaten austraten. Lincolns politisches Wirken war davon gekennzeichnet, dass er als das größte rhetorische Talent seiner Zeit galt; so entfaltet bspw. seine Rede über das »gespaltene Haus« Amerika (»House Divided Speech«) noch heute seine Wirkung. Die Bedeutung seiner sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten, zu denen eben auch Überredung und Manipulation gehörten, wird in der Verfilmung »Lincoln« von 2012 thematisiert. Der Republikaner Lincoln wurde am 14. April 1865 Opfer seiner Politik, als ihn der Schauspieler und Südstaaten-Sympathisant John Wilkes Booth bei einem Theaterbesuch erschoss. Damit wurde er zum ersten US-Präsidenten, der durch ein Attentat ums Leben kam.

Deutsche Sprache: Martin Luther (1483–1546)

Abb. 5-8: Martin-Luther-Denkmal vor der Frauenkirche in Dresden

Der Mönch und Professor Luther wird hier aufgrund seiner Leistung der sog. »Lutherbibel« beschrieben. Der Reformator übersetzte das Alte und Neue Testament, welches als Vollbibel erstmals 1534 vorlag. Auch wenn Luthers Bibel durchaus nicht die erste Übertragung aus dem Althebräischen, Aramäischen und Altgriechischen war, ist sie doch eine historisch und gesellschaftlich überragende Transkription der Heiligen Schrift. Luthers Entscheidung, die Bibel in das Deutsche zu übersetzen, anstatt die Gelehrtensprache Latein zu verwenden, verstärkte die Alphabetisierung der Bevölkerung nachhaltig. Da das Lesen nunmehr nicht nur eine Betätigung für den Klerus war, sondern nach und nach auch die breite allgemeine Bevölkerung erreichte (zumal ohne die dazwischengeschaltete Übertragungs- und Interpretationsfunktion von Priestern), konnte diese sich die Inhalte der Bibel eigenständig aneignen. Dabei gilt es zu bedenken, dass der Anteil der des Lesens Mächtigen in der städtischen Bevölkerung am Ende des Mittelalters (ca. 1500) auf 10–30 Prozent geschätzt wird. Es wird angenommen, dass 1533 bereits jeder zehnte Haushalt mit einer Lutherbibel ausgestattet war. Die Übertragungen von Martin Luther übten – unter anderem durch seine sprachschöpferische Leistung an dem Text – eine große Attraktivität auf Leserinnen und Leser aus. Der Autor ist nicht zuletzt auch als Schöpfer neuer Wörter wie etwa »Feuereifer«, »Lästermaul« oder »Lückenbüßer«[1] u. v. a. m. bekannt geworden. Damit nahm Luther wesentlich Einfluss auf die Entwicklung der damaligen Sprachstufe des Frühneuhochdeutschen.

Medien/Informationsteilhabe: Johannes Gutenberg (um 1400–1468)

Abb. 5-9: Bewegliche Drucklettern für die dritte Medienrevolution der Menschheitsgeschichte. CC-Lizenz

Der in Mainz geborene Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern leitete eine Revolutionierung für die Produktion und Distribution von Texten ein. Die bis dahin übliche langwierige und kostspielige Herstellung von Duplikaten mittels handschriftlicher Kopie entfiel und führte zu einer medialen Revolution. Neben der Erfindung des Buchsatzes durch einzelne Buchstaben und die Druckerpresse war es die daraus resultierende Ökonomisierung des Produktionsprozesses von Druckerzeugnissen, die zu einer schnellen Verbreitung und Verteilung von Informationen und Ideen führte. Dies betraf auch die sog. Gutenberg-Bibel, die noch heute als exquisiter Beleg seiner Druckkunst gilt, da sie selbst nach über 500 Jahren kaum Einbußen an ihrer Druckqualität erkennen lässt. Die Erfindung des Buchdrucks wird nach jener der Erfindung von Sprache (1. Medienrevolution) bzw. von Schriftsystemen (2. Medienrevolution) als dritte Medienrevolution in der Geschichte der Menschheit bewertet. So wundert es nicht, wenn das Time-Life-Magazine Gutenbergs Erfindung 1997 zur bedeutendsten Erfindung im zweiten Jahrtausend wählte.

Zusammenfassung

Durch ihr Identifikationspotenzial haben Vorbilder eine positive, sinnstiftende Wirkung, die auf gemeinsame Potenziale verweist und an ein kontinuierliches Bemühen zum Streben nach dem Guten erinnert. Gerade wenn dies individuelle Verhaltensweisen und persönliche Eigenschaften betrifft, rührt dies zentral an den Gedanken des Respekts. Dabei geht es wesentlich um das Bemühen, die eigenen positiven Stärken und Haltungen konsequent nach außen zu tragen. Dies hat viel mit dem anhaltenden Versuch zu tun, das eigene Denken und Sein durch das Vehikel Sprache in Einklang zu bringen. Dies vollzieht sich oft, indem eine Deckungsgleichheit zwischen dem, was man sagt, und dem, was man denkt, vollzieht. Wenn zudem danach gehandelt wird, was man sagt, und man schließlich auch verkörpert, wonach man handelt, vollzieht sich Glaubwürdigkeit und Respekt.


[1] https://www.deutschlandfunk.de/martin-luther-weltgeschichtlicher-erfolg-als-schriftsteller-100.html; https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2016/05/martin-luther-reformation-mittelalter-moderne-standpunkte?