1. November 2023

Textanalyse-Tool prüft Niveaustufe des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER)

CC-Lizenz

Die Begriffe Einfache Sprache und Leichte Sprache haben sich als Konzepte leicht verständlicher Sprache in der Textpraxis mittlerweile etabliert. Bemühungen um die »barrierefreie« Gestaltung von Texten machten aber bislang, zumindest in rechtlicher Hinsicht, vor Verwaltungstexten Halt. Das ändert nun das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das Mitte 2025 in Kraft tritt. Hiernach müssen Wirtschaftsakteure Verbrauchertexte an das Sprachniveau B2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) anpassen, will heißen: Texte zu ihren Produkten und Dienstleistungen in Einfache Sprache »übersetzen«. Unternehmen wie Banken, Versicherungen und Online-Händler stehen damit aktuell vor der großen Herausforderung, hochkomplexe verwaltungssprachliche Texte in komplexitätsreduzierte Alltagssprache zu überführen. Ihnen fehlt dabei aber oftmals die Erfahrung. Eine Textanalyse-Software der WORTLIGA Tools GmbH kann hier eine wertvolle Hilfe sein. Wir schauen uns die Gesetzeslage und das WORTLIGA-Tool aus unserer sprachwissenschaftlichen Perspektive einmal genauer an.

Barrierefreie Texte als gesetzliche Norm

Der Anspruch Verständlichkeit bzw. Lesbarkeit von Texten entstand vor allem in den 2000er Jahren im Zuge von Inklusionsbestrebungen, und zwar über die Landesgrenzen hinaus. Mit der 2009 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention stehen erstmals die Begriffe Barrierefreiheit und Einfache Sprache in Verbindung (vgl. Behindertenbeauftragter 2018). Auf nationaler Ebene wurde bislang mit der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) die im Vergleich zur Einfachen Sprache strenger regulierte Leichte Sprache gesetzlich festgesetzt: Seit 2011 müssen Behörden auf ihrer Website Textangebote in Leichter Sprache machen. Ab Mitte 2025 wird nun auch Einfache Sprache gesetzlich angezeigt sein. Das BFSG sieht vor, dass Produkte und Dienstleistungen von Wirtschaftsakteuren barrierefrei sind. Das betrifft auch entsprechende Verbraucherinformationen: Sie sollen laut Gesetzesentwurf verständlich sein und die Niveaustufe B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) nicht überschreiten. Mit dieser Formulierung wird eine Verbindung zwischen zwei verschiedenen Konzepten hergestellt, nämlich zwischen Konzepten barrierefreier Sprache (Leichte Sprache, Einfache Sprache) einerseits und dem Konzept »Deutsch als Fremdsprache« andererseits.

Der GER als Kompetenzraster für das Fremdsprachenlernen

Der GER ist in der Tat ein Kompetenzraster für das Fremdsprachenlernen und formuliert auf sechs Niveaustufen, was Lernende zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lernprozesses können (sollen). Die Stufen A1 und A2 bilden Kompetenzen einer elementaren, B1 und B2 einer selbstständigen und C1 und C2 einer kompetenten Sprachverwendung ab. Von A1 nach C2 können zunehmend komplexere Themen kommuniziert werden. Auf dem A-Niveau sind das alltägliche Themen von unmittelbarer Bedeutung (z. B. Familie, Einkaufen und Arbeiten), auf dem B-Niveau konkretere und abstraktere Themen (z. B. Schule, Arbeit und Freizeit, vermehrt aber auch Fachtexte); das C-Niveau bildet schließlich Kompetenzen ab, die einem Muttersprachenniveau nahekommen. Dahinter steht die Intention, Abschlüsse im Bereich Sprachenlernen international vergleichbar zu machen; Anbieter von Sprachkursen richten ihr Angebot daran aus. Das Gerüst ist damit eng verbunden mit dem sprachwissenschaftlichen Terminus »Deutsch als Fremdsprache« (abgekürzt DaF). Dieser bezieht sich auf das gezielte Lernen des Deutschen in unterrichtlichen Kontexten (vgl. Ahrenholz 2017). Wie aber sieht ein Text aus, der auf Sprachniveau A1, A2 usw. des GER angesiedelt ist?

Einordnung von barrierefreier Sprache in den GER

Die Zuordnung von Leichter Sprache oder Einfacher Sprache zu den Niveaustufen des GER wurde bislang kaum untersucht. Allgemein aber werden Leichte-Sprache-Texte mit didaktischen Texten des A1-Niveaus und Einfache-Sprache-Texte mit didaktischen Texten des B1-Niveaus verglichen (vgl. z. B. Bredel/Maaß 2016). Das bedeutet mit Blick auf das BFSG, dass Verbrauchertexte von Unternehmen wie Banken, Versicherungen und Online-Händlern zukünftig im Wesentlichen die Kriterien der Einfachen Sprache erfüllen müssen, die dann aber nicht in voller Konsequenz gelten. Wir schlagen als Äquivalent für das B2-Niveau den Begriff »Einfache Sprache Plus« plus vor – als Pendant zu dem bereits hervorgebrachten Terminus »Leichte Sprachen Plus« (vgl. Rink/Maaß 2022). Der Formulierung nach entsprechen natürlich auch Leichte-Sprache-Texte dem gesetzlichen Rahmen. Dass das für die Firmen grundsätzlich eine große Herausforderung ist, liegt in der Natur von Verwaltungstexten.

Barrierefreie Sprache vs. Verwaltungssprache

Verwaltungssprache ist auf allen sprachlichen Ebenen hochgradig komplex. Auf der Skala der sprachlichen Einfachheit liegt sie weit entfernt von Einfacher Sprache, mehr noch von Leichter Sprache. Während Verwaltungssprache verdichtete Satzgefüge und viele fachsprachliche Wörter aufweist sowie eher schriftsprachlich ausgerichtet ist, verhält es sich in der Einfachen Sprache umgekehrt. Sie ist alltagsweltlich, Satz-grammatisch einfacher bzw. textlich offener, begrifflich weniger exakt festgelegt und näher an mündlicher Kommunikation. Leichte Sprache, die vornehmlich Menschen mit Behinderungen adressiert, unterliegt noch einmal strengeren Regeln und erzeugt in den Augen der meisten Sprecherinnen und Sprecher unnatürlich wirkende Texte (vgl. Bredel/Maaß 2016). Zu den Konzepten Leichte Sprache und Einfache Sprache äußern wir uns auf unserer Website ausführlich.

Textanalyse-Tool mit wissenschaftlicher Grundlage

Eine kostenlose Textanalyse-Software der WORTLIGA Tools GmbH kann für Unternehmen eine wertvolle Hilfe sein, wenn Erfahrungen im Schreiben von barrierefreien Texten fehlen. Die Software prüft Texte auf sprachliche Einfachheit und berechnet das Sprachniveau des GER. Das Tool arbeitet mit einschlägigen Erkenntnissen aus der Lesbarkeits- und Verständlichkeitsforschung.

An dieser Stelle ein kurzer Exkurs. Während die Lesbarkeitsforschung mittlerweile auf eine gut 100-jährige Forschungspraxis zurückblickt, ist die Verständlichkeitsforschung eine jüngere Disziplin. Die Lesbarkeitsforschung bezieht sich primär auf die sprachliche Oberfläche und hat bisher valide Erkenntnisse für die Wort- und Satzebene hervorgebracht. Die Verständlichkeitsforschung geht noch weiter und interessiert sich für die kognitiven Voraussetzungen auf Leserseite (vgl. Groeben 1982).

Die WORTLIGA-Software zieht aus der ersten Teildisziplin den Flesch-Lesbarkeitsindex (Flesch Reading Ease) und aus der zweiten das Hamburger Verständlichkeitsmodell heran. Der Flesch-Index ist einer von mehreren in der Lesbarkeitsforschung entwickelten Formeln für sprachliche Einfachheit und beruht auf der Annahme, dass Texte umso einfacher sind, je kürze die Sätze und die Wörter sind. Er verrechnet die durchschnittliche Silbenanzahl pro Wort und die durchschnittliche Satzlänge eines Textes. Im Ergebnis steht ein Flesch-Grad zwischen 0 und 100; je höher der Wert, desto besser lesbar ist der Text. Das Hamburger Verständlichkeitsmodell beschreibt indes vier Kriterien für verständliche Sachtexte. Diese sind Einfachheit, Gliederung bzw. Ordnung, Kürze bzw. Prägnanz und zusätzliche Stimulanz.

Weiterhin wurde ein von WORTLIGA selbst entwickelter Index herangezogen. Dieser beruht auf mehr oder weniger gesicherten Kriterien, die sprachliche Komplexität erzeugen, nämlich: lange Sätze, komplexe Wörter, Formatierungsfehler, Passiv, unpersönliche Sprache, Modalverben, Abkürzungen, Füllwörter, Adjektive und Nominalstil. Diese Parameter fungieren beim Arbeiten mit dem Tool als Stellschrauben für sprachliche Einfachheit.

Der statistische Algorithmus der Software basiert laut Angaben des Unternehmens auf einer Vielzahl von Tests, in denen die Merkmale der Sprachniveaus empirisch nachvollzogen wurden. Hierbei stellten sich Textlänge und Wortschatz (Wortlänge und Wortgebrauchsfrequenz) als maßgeblich heraus. Der Algorithmus wurde so lange verfeinert, bis er zuverlässig das Sprachniveau von im Internet zugänglichen Referenztexten anzeigte. Die Texte wurden etwa aus Websites von Unternehmen und Bildungseinrichtungen mit DaF-Schwerpunkt, Interessengruppen mit Schwerpunkt Inklusion, Universitäten und Behörden entnommen. Insgesamt handelt sich um ein größtenteils KI-freies Tool; die Premiumversion verfügt allerdings über »KI-Werkzeuge«.

Grund- und Premiumversion

In der kostenlosen Grundversion werden für den jeweils eingegebenen Text die oben genannten Stellschrauben für sprachliche Einfachheit analysiert und das Sprachniveau berechnet. Zudem wird über den Lesbarkeitsindex und die Sprachmelodie informiert. Der Lesbarkeitsindex arbeitet ähnlich wie der Flesch-Index, die Analyse der Sprachmelodie als Marker von Stimulanz im Leseprozess wird dem Hamburger Verständlichkeitsmodell gerecht. Die kostenpflichtige Premium-Version bietet darüber hinaus die Möglichkeit, Synonyme auszuwerfen und eben KI-Werkzeuge einzubeziehen. So können etwa Sätze aufgeteilt oder gekürzt, (Zwischen-)Überschriften verlangt und eine Rechtschreibprüfung durchgeführt werden.

Idee eines E-Learning-Instruments

Die verschiedenen Textanalyse-Modi erzeugen nicht unmittelbar den gewünschten Text, vielmehr führt die Software an den Zieltext heran. Die Hinweise bzw. Analyseergebnisse müssen stets – auch mit Blick auf die Zielgruppe (!) – hinterfragt werden, um dann ggf. Anpassungen vorzunehmen. Gewisse sprachliche bzw. Textplanungskompetenzen werden demnach vorausgesetzt. Wenn das Tool also beispielsweise eine Passiv-Konstruktion markiert, müsste diese selbstständig ins Aktiv überführt werden. Die Idee besteht indes darin, das Sprachgefühl und den Schreibstil von Texterinnen und Textern langfristig zu verfeinern. So versteht sich die Software in erster Linie als E-Learning-Instrument, das Unternehmen auch zur Qualitätssicherung nutzen können. Nicht zuletzt betont WORTLIGA, dass die Textanalyse die Arbeit in Redaktion, Korrektorat und Lektorat nicht ersetzen kann.

Zwei Problemfelder

Zwei Gesichtspunkte sind mit Blick auf das BFSG bzw. die WORTLIGA-Software aus sprachwissenschaftlicher Sicht allerdings problematisch. Zum einen ist die Zuordnung von Einfache-Sprache-Texten zu den Niveaustufen des GER zu diskutieren. So liegt das Ziel des Lernens von Deutsch als Fremdsprache im Erreichen der Standardsprache und natürlicher Kommunikation zwischen den Sprecherinnen und Sprechern. Leichte Sprache und Einfache Sprache dienen hingegen der schriftlichen Vermittlung von Informationen und es liegen asymmetrische Kommunikationssituationen vor. Dem kann man allerdings entgegensetzen, dass sich DaF-Texte an sprachlichen Einfachheitsparametern orientieren und in dieser Hinsicht konstruiert sind, also vergleichbar mit Leichte- und Einfache-Sprache-Texten (vgl. Bredel/Maaß 2016, Rösler 2012). Zum anderen dürfte die Übersetzung von Verwaltungstexten in Einfache Sprache (Plus) mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein, wenn nämlich auf spezielle Fachlexik nicht verzichtet werden kann. Gewisse Ausdrücke müssen – immer je nach Zielgruppe – erklärt werden, was sich wiederum auf die Länge der Texte auswirkt. Meistens bietet es sich dann an, mit einem Glossar zu arbeiten.

Empfehlungen der GfdS für bürgerfreundliche Texte

Wie dem auch sei: Die Funktionen der WORTLIGA-Software decken sich im Wesentlichen mit den Empfehlungen der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) für eine Bürgerfreundliche Verwaltungssprache. Sie wurden Anfang dieses Jahres in einem Praxisleitfaden veröffentlicht. Es handelt sich um 29 Leitsätze zur Optimierung von Texten an Bürgerinnen und Bürger, die jeweils den unterschiedlichen sprachlichen Ebenen – Diskurs, Text, Satz, Wort – zugeordnet sind. Zu jedem Leitsatz werden Beispiele gebracht, die die (aktuelle) hochfachsprachliche Gestalt von Verwaltungstexten aufgreifen und Möglichkeiten aufzeigen, wie es besser geht. Der Praxisleitfaden enthält darüber hinaus Empfehlungen zum geschlechtergerechten Formulieren und Informationen zur aktuellen Rechtschreibung, was für die Produktion von verständlichen Texten ebenso interessant sein dürfte.

Nicht ohne den Menschen

Insgesamt ist festzustellen, dass die Software relevante Einfachheitsparameter auf allen sprachlichen Ebenen eines Textes berücksichtigt. Darüber hinaus wird durch die Sprachmelodieanalyse dem Anspruch von Einfacher Sprache Rechnung getragen, ein möglichst anregendes Leseerlebnis zu gewährleisten – ein Anspruch, den Leichte Sprache aufgrund ihrer starren Regeln indes nicht erfüllen kann. Die Intention eines E-Learning-Instruments wird so in der Tat erfüllt. Die Produktion einfacher Texte funktioniert allerdings (noch) nicht ohne den Menschen, und Unternehmen kommen zukünftig nicht umhin, aktiv nach der individuell besten Lösung für ihre Verbrauchertexte zu suchen.

Das Textanalyse-Tool

WORTLIGA Textanalyse (2023). URL: https://wortliga.de/textanalyse/ (Zugriff: 26.10.2023).

Weitere Quellen

Ahrenholz, Bernt (2017): Deutsch als Fremdsprache – Deutsch als Zweitsprache. Orientierungen. In: Oomen-Welke, Ingelore; Ahrenholz, Bernt (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache. Baltmannsweiler: Schneider, S. 3–10.

Behindertenbeauftragter – Beauftragter für die Belange der Menschen mit Behinderung (2018): Die UN-Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die amtliche, gemeinsame Übersetzung von Deutschland, Österreich, Schweiz und Lichtenstein. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bonn.

Bredel, Ursula; Maaß, Christiane (2016): Leichte Sprache. Theoretische Grundlagen. Orientierung für Praxis. Berlin: Duden.

Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen (2023). URL: https://www.europaeischer-referenzrahmen.de/ (Zugriff: 26.10.2023).

Gesellschaft für deutsche Sprache (2023): Praxisleitfaden für eine zeitgemäße, angemessene Kommunikation – verständlich, geschlechtergerecht, korrekt. Bürgerfreundliche Verwaltungssprache, Geschlechtergerechtes Formulieren, Die aktuelle deutsche Rechtschreibung. Material für Seminare zur Aus- und Fortbildung im Bereich der Behördenkommunikation sowie für Sprachinteressierte. 1. Auflage. Wiesbaden.

Groeben, Norbert (1982): Leserpsychologie. Textverständnis – Textverständlichkeit. Münster: Aschendorff.

Rink, Isabel; Maaß, Christiane (2022): Verständlichkeit und Gesundheitskompetenz im Spektrum zwischen Leichter und Einfacher Sprache. In: Rathmann, K.; Dadaczynski K.; Okan, O.; Messer, M. (Hrsg.): Gesundheitskompetenz. Berlin/Heidelberg: Springer.

Rösler, Dietmar (2012): Deutsch als Fremdsprache. Eine Einführung. Stuttgart/Wiesbaden: Metzler.