Aussprache von Tort
[F] Wie ist denn das doch offenbar aus dem Französischen stammende Wort Tort auszusprechen, das in der Wendung jemandem einen Tort antun vorkommt? Man hört in der Regel ein t am Schluss, wie in Wort – vergleichbar Torte, Tortur – mir liegt aber die französische Aussprache näher.
[A] Die modernen Aussprachewörterbücher, ob das traditionelle von Theodor Siebs, das Leipziger aus dem Jahr 1982 oder der aktuelle Duden-Band 6 (2005), vermerken die sozusagen »deutsche Aussprache« mit artikuliertem t am Ende, anders eben als bei Depot, Etat und anderen aus dem Französischen entlehnten Wörtern auf –t, in denen dieses Zeichen stumm ist.
Dies gilt, sieht man in ältere Werke, schon seit langem, ja sogar seit Jahrhunderten. So heißt es bei Adelung (Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, 1807/08): »Der Tort […] ein nur im gemeinen Leben aus dem Franz. Tort, mit Deutscher Aussprache, entlehntes Wort, Nachtheil, zu bezeichnen. Er hat mir vielen Tort gethan. Das wird dir Tort thun.« Dieses Wort ist seit dem 17. Jahrhundert im Deutschen bekannt; Stieler nennt es in seinem Wörterbuch (1691), auch in der Version Dort, was auf einen erhöhten Grad der Eindeutschung schließen lässt. Bei Campe und später im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm (Band 11.I.I, 1935) werden keine Angaben zur Aussprache gemacht. Man kann aber an dem Zitat, das das Deutsche Wörterbuch von Johann Chr. Günther (1695–1723) bringt, erkennen, dass traditionell tatsächlich die »eingedeutschte Aussprache« galt bzw. vorherrschte: »Gram und selbst gemachter Tort/Eilt mit uns in Abgrund fort« (Der allzeit fröhliche Christ). Und so wird etwa auch, wie man digitalen Textsammlungen heute schnell entnehmen kann, bei Glaßbrenner, Hebel, Heyse, Lenau, Ringelnatz und Zinzendorf Tort auf fort bzw. Apport und Wort gereimt; so liest man auch bei Richard Dehmel: »Unerhört! verstand kaum mein eigen Wort./Tun‘s selbstredend extra, diese Sozi, uns hier zum Tort« (Michel Michael).
Dieser Ausdruck ist also nicht auf die Volkssprache des »gemeinen Lebens« festzulegen, wenn man ihn auch in entsprechenden Texten beobachten kann; hierfür ebenfalls zwei Beispiele: »Die faulen und trotzigen Matrosen dagegen zwickt und quält er, und thut ihnen allerlei Tort an, bis sie zuletzt flink und fleißig werden« (J. D. H. Temme: Die Volkssagen von Pommern und Rügen, 1840) und: »Jan, büst ok nett, lat dat ole Minsk gahn, so lang wi darmit in Fräen sünd; anners deit se uns alles ton Tort an« (P. L. F. Strackerjan, Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg, 1867).
Man hat in früheren Jahrhunderten Entlehnungen viel stärker eingedeutscht als heute bzw. Fremdwörter einfach der Form nach übernommen, und so ist z. B. für die mittelhochdeutsche Zeit belegt, dass das vergleichbare französische Wort für ›Tod‹ – mort – bei Gottfried von Straßburg auf Wort und dort gereimt wurde. (»In dem lande flouc zehant/niht wan daz eine klagewort:/â nostres sires, il est mort!« und: »ros unde man ist allez mort/daz ros lît noch halbez dort «; in: Tristan und Isolde: Heimfahrt und Rache, Der Drachenkampf.)
So ist, wie gesagt, die angestammte »deutsche« Aussprache von Tort gegenwärtig als allgemein üblich und richtig anzusehen. Dennoch, meine ich, sollte man heutzutage die Kontakte, die es zum Französischen gibt, und die zahlreichen Lehnwörter, die wir der Ursprungssprache gemäß aussprechen, siehe Depot, Etat, Teint oder Ragout bzw. Ragout fin, bedenken – nur als unbedacht umgangssprachlich wird man doch die Aussprache [ragu feng] ansehen (dass das genannte Leipziger Aussprachewörterbuch bei Ballon und Ragout fin die Lautung [ballong] und [ragu feng] für zulässig hält, ist schon ein Grenzfall).
Ende des 19. Jahrhunderts übrigens war sozusagen die sprachpflegerische Einschätzung nicht so einhellig, wie es von heute aus scheinen mag; so ist in Pierer‘s Universal-Lexikon (1857–1865) und in Brockhaus‘ Konversations-Lexikon (1895) zu Tort vermerkt: »frz., sprich tohr«. Deshalb spricht alles in allem m. E. manches dafür, auch [tɔr] heute als sprachrichtige Variante anzusehen und nicht als normwidrig zu verwerfen.