Ausgabe: Der Sprachdienst 6/1999

Vorname Tiger

ACHTUNG: Dieser Beitrag ist bereits älteren Datums. Es gibt heutzutage neuere Erkenntnisse zum Namen Tiger, die hier nicht berücksichtigt sind. Für nähere Auskünfte kontaktieren Sie uns bitte unter 0611 99955-0 oder sprachberatung@gfds.de.

[F] Wir wollen unseren Jungen Tiger nennen. Das Standesamt will das aber nicht ohne Ihre Zustimmung zulassen, und so bitten wir Sie zu prüfen, ob es eine Möglichkeit gibt, unserem Wunsch zu entsprechen. Auf einer Urlaubsreise in Spanien haben wir eine Familie aus den USA kennen gelernt, die einen Sohn mit dem Vornamen Tiger hat. Der derzeit beste Golfspieler der Welt heißt Tiger Woods. Wir hoffen, dass Sie uns erlauben, unserem Sohn den Vornamen Tiger (Kurzform von Tigernachus) zu geben. Es sei uns auch der Hinweis erlaubt, dass mit Wolf – abgeleitet von Wolfgang oder Wolfram – ein ähnlicher Kurzname gestattet ist.

[A] Wir haben über zwanzig englische und angloamerikanische Vornamenbücher durchgesehen, aber nur in einem (Alfred J. Kolatch, »The Jonathan David dictionary of first names«, 1980) fanden wir einen Hinweis, dass Tiger in den Vereinigten Staaten gelegentlich (»occasionally«) als Vorname gebraucht wird. Als Beispiel wird ein Musiker namens Tiger Haynes genannt. Bei dem von Ihnen erwähnten Golfspieler Woods sind wir nicht sicher, ob Tiger sein echter, »amtlicher« Vorname ist oder nur ein ehrender Beiname.

Ob diese Beispiele genügen, um Tiger auch in Deutschland als Vornamen anzuerkennen, ist eine namensrechtliche Frage, die nur Juristen entscheiden können. Wir machen jedoch darauf aufmerksam, dass in Deutschland ein etwas anderes Namensrecht gilt als in den Vereinigten Staaten. Danach sind bei uns Wörter des allgemeinen Sprachgebrauchs wie z. B. Tierbezeichnungen (Pferd, Hund, Katze, Adler, Amsel und eben auch Tiger, Leopard, Panther) als Vornamen nicht zugelassen. Zwar gibt es einige aus früher Zeit überlieferte Personennamen wie Wolf oder lateinisch Leo (aber nicht Löwe, sondern allenfalls – nach jüdischer Tradition – Löw, Löb), doch die sind lange vor der rechtlichen Festlegung der Begriffe »Vorname« und »Familienname« entstanden und werden daher aus Gründen der Traditionspflege weiterhin als Vornamen akzeptiert; aus ihrer Existenz lässt sich keinesfalls eine allgemeine Anerkennung von Tierbezeichnungen als Vornamen ableiten.

Als Kurzform des im »Internationalen Handbuch der Vornamen« genannten Vornamens Tigernachus kann man Tiger nicht deuten. Das dort zitierte italienische Vornamenbuch ist bei der Wiedergabe des zugrunde liegenden gälischen (keltischen) Personennamens etwas zu knapp und nicht ganz korrekt. Die gälische Form des Namens lautet Tighearnach oder Tighearnán (es gibt beide Formen) und bedeutet etwa ›königlich, (kleiner) König, Herrscher, Herr‹ (s. P. Hanks u. Fl. Hodges, »Dictionary of first names«, 1990, und D. O. Corráin u. F. Maguire, »Irish names«, 1990). In diesem Namen steckt also gar nicht das Wort Tiger, es kann folglich auch nicht wie Wolf aus Wolfram, Wolfgang, Wolfhard usw. als selbständiges Element (Kurzform) abgetrennt werden. Außerdem wird Tiger- in diesem Namen nicht »taiger«, sonder »tier« ausgesprochen.

In der Aussprache liegt übrigens ein weiteres Problem. Sie möchten den Namen gewiss englisch aussprechen. Diese Aussprache ist aber bei der Eintragung in ein deutsches Geburtenbuch nicht automatisch mit festgelegt, vielmehr ist Tiger in einer deutschsprachigen Urkunde in Schreibweise und Aussprache mit dem Alltagswort Tiger identisch. Folglich muss der Namensträger auch stets damit rechnen, dass er »auf Deutsch« angeredet wird. Hierin liegt unserer Ansicht nach das größte Hindernis für die Übernahme des amerikanischen Namens ins Deutsche.

Auch bei einer Ablehnung bliebe Ihnen doch die Möglichkeit, Ihren Sohn im täglichen Umgang auf Englisch Tiger zu rufen, denn Kose- und Übernamen sind von den rechtlichen Regelungen nicht betroffen.