Vorwort zum Themenheft Respekt
Hört man in die aktuellen Debatten unserer Tage hinein, kann man den Eindruck gewinnen, wir lebten in einer Zeit, die besonders von Themen rund um Sprache durchdrungen ist. Wir lesen von Cancel Culture, welche Menschen sozial auszuschließen versucht, die z. B. beleidigende, diskriminierende, verachtende oder andere respektlose Begriffe benutzen. Daneben versucht das Konzept der Triggerwarnung vor Wörtern oder Phrasen zu warnen, die in Texten, Filmen, Podcasts, Vorträgen und Diskussionen vorkommen, um so eine mutmaßliche Retraumatisierung von Menschen zu verhindern. Ähnlich versteht sich das Sensitivity Reading, bei dem wiederum Texte aller Art auf unangemessene oder verletzende Wörter geprüft werden – so auch Klassiker wie Astrid Lindgrens Pipi Langstrumpf oder Winnetou von Karl May. Darüber hinaus sucht die Gesellschaft beim Gendern nach einem Weg, Minderheiten einer Geschlechtsidentität gleichberechtigt hör- und sichtbar zu machen. Und nicht zuletzt haben wir uns an Phänomene wie die Hassrede im Netz oder den Shitstorm fast schon gewöhnt.
Wiederholt hört man in Diskussionen, Film und Funk die Frage: »Was kann man denn heute überhaupt noch sagen?« Und in der Tat: In einer Umfrage, ob man in Deutschland seine politische Meinung frei äußern könne, nimmt der Teil, der dies bejaht, seit Jahrzehnten ab. Demgegenüber nimmt der Anteil jener, die meinen, es sei besser, vorsichtig damit zu sein, kontinuierlich zu.
Diese Gemengelage ist umso erstaunlicher, als die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland bereits in Artikel 5, Absatz 1 festlegt: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten […]. Eine Zensur findet nicht statt.« Im Demokratieindex des Economist wird Deutschland als »vollständige Demokratie« bewertet. Dieses Spannungsverhältnis zwischen einem wahrgenommenen Missverhältnis und der objektiv vorhandenen Möglichkeit der freien Meinungsäußerung fordert geradezu dazu heraus, darüber nachzudenken, ob Sprache und Kommunikation der Respekt entgegengebracht wird, der ihr zuteilwerden sollte.
Als Instrument, mit dem wir tagtäglich die Lebenswirklichkeit bewältigen, umgibt und begleitet uns Sprache naturgemäß beständig. Bisweilen auch so, dass wir sie in ihrem Wert und ihren vielfältigen Ausprägungen nur noch aus dem Augenwinkel wahrnehmen. Aus diesem Grund wurde das Projekt SPRACHE+RESPEKT initiiert. Es soll verdeutlichen, dass wir es jeden Tag und an vielen Stellen auch mit gelingender, respektvoller Kommunikation zu tun haben. Eine Form von Sprache, die mit Toleranz, Achtung und Rücksicht Menschen miteinander verbindet.
Das Wort Respekt hat in den zurückliegenden sieben Jahrzehnten ein erstaunliches Wachstum hinsichtlich seiner Verwendungshäufigkeit vollzogen (vgl. Abb. 1). Und befragt man Menschen, welche Werte sie für wichtig bei der Erziehung von Kindern halten, steht Respekt mit 62 % auf den vorderen Rängen. Sprache und Respekt in der Gesellschaft ist ein wichtiges Thema. Wohl nie zuvor haben wir so viel und schnell auf den unterschiedlichsten Kanälen miteinander kommuniziert. Die elektronischen Möglichkeiten – ob geschrieben oder gesprochen – sind grenzenlos geworden. Ereignisse wie die Pandemie haben dies zusätzlich beschleunigt und erweitert. Im Projekt wird versucht, in sechs Folgen den Fragen nachzugehen, wie Sprache und Respekt sich in Einklang bringen lassen, welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden können und warum respektvolle Sprache auch mal Mühe machen kann – und am Ende doch immer ein wichtiges Mittel für ein gutes Zusammenleben ist.
Die sechs Folgen beschäftigen sich damit, ob es beispielsweise Wörter (Folge 1: Wörter) gibt, die sich für den respektvollen Gebrauch eignen. Gibt es also konkrete Wörter, deren Nennung automatisch eine respektvolle Gesprächssituation entstehen lassen? Oder wird eine respektvolle Sprache für jeden Menschen durch unterschiedliche Wörter hergestellt? Sprache bietet verschiedenste Möglichkeiten, Sachverhalte für unterschiedliche Erwartungen oder Werteverständnisse auszudrücken. So kann verdeutlicht werden, wie mit Vielfalt, Varianz und Umsicht beim Gebrauch von Wörtern zu sprachlichem Respekt beigetragen werden kann.
Sprachliches Miteinander (= Kommunikation, Folge 2: Sprache) beinhaltet den Austausch von Wörtern und Sätzen und dient der gegenseitigen Verständigung – und meist dem Zweck, ein Ziel zu erreichen. Bei solchen Gesprächen spielen Faktoren wie Vertrauen, Höflichkeit oder eine angemessene Wortwahl eine Bedeutung, wenn sie als gut eingeschätzt werden sollen. Es zeigt sich, dass Faktoren wie reden, reden lassen und zuhören die unterschiedlichen Seiten einer kommunikativen Medaille sind. Auch Merkmale wie Fragen und Antworten oder Wahrheit und Lüge sind im Umfeld respektvoller Sprache von Bedeutung.
Daneben begegnen wir anderen Menschen, die jeweils ihre eigene Vorstellung eines guten Lebens haben. Schließlich gibt es Zusammenschlüsse, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Sei es die Partnerschaft oder die Bevölkerung eines Landes. Dass die Anstrengungen aller zur Herstellung sprachlichen Respekts desto größer werden (müssen), je mehr unterschiedliche individuelle Vorstellung vom Zusammenwirken aufeinandertreffen, thematisiert Folge 3. Sie möchte zeigen, wie sprachliches Bemühen und kommunikative Anstrengung zu gesellschaftlichem Respekt werden kann.
Die Gesellschaft zeichnet sich durch eine Vielzahl von Bereichen (z. B. Sport, Journalismus, Politik) aus, die jeweils sehr unterschiedliche Vorstellungen von Sprache und Respekt haben. Folge 4 begleitet die anderen fünf Bestandteile der Serie ergänzend, indem Podcasts zum Thema aus den verschiedenen Bereichen des Lebens einen Einblick darüber vermitteln sollen, wie das Thema dort jeweils gesehen wird. Auch hier wird deutlich, dass jeder gesellschaftliche Bereich für sich genommen Vorstellungen oder Konzepte dafür hat, wie es um einen respektvollen sprachlichen Umgang miteinander bestellt sein sollte.
Dann sind glücklicherweise Geschichte und Gegenwart angefüllt mit Beispielen von Menschen, die in ihrem Bemühen, respektvolle Zustände durch die sprachliche Vermittlung herzustellen, zu leuchtenden Vorbilder für alle Nachfolgenden geworden sind: Mahatma Gandhi, Eleanor Roosevelt, Martin Luther King und viele andere mehr haben so ihre Spuren hinterlassen. Folge 5 skizziert einige wenige Vorbilder, die sich durch ihr jeweils eigenes Engagement hervorgetan haben – nicht zuletzt mit und durch ihren Sprachgebrauch in der Forderung nach mehr Respekt. Einendes Element dabei ist die Einsicht, dass tatsächlich der und die Einzelne zur Verbesserung der Welt nachhaltig beizutragen vermag.
Schließlich wird beleuchtet, dass in unserer Gegenwart immer häufiger und heftiger darüber gestritten wird, ob jemand etwas aussprechen darf (oder auch nicht), welche Merkmale ihn dafür (dis-)qualifizieren und welche Sanktionen diskutiert werden bzw. Reaktionen daraus (mit welchen Konsequenzen) entstehen. Die Zahl der Tabu-Wörter scheint unaufhörlich zu steigen, es werden Sprachregulierungen, mitunter sogar ein »Reinheitsgebot« für Sprache gefordert. Muss Sprache aus Respektgründen Grenzen akzeptieren – vielleicht sogar einfordern? In der Folge 6 geht es damit um die Frage: Wie verhalten sich Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 GG) und der Wunsch nach Sprachregelungen zueinander?
Die Serie SPRACHE+RESPEKT wendet sich diesen unterschiedlichen Perspektiven zu. In Zahlen ausgedrückt heißt das: Das Projekt informiert durch Texte mit über 12 000 Wörtern sowie 36 Grafiken und Abbildungen. Diese können zusätzlich in 5 mehrseitigen PDF-Dokumenten für den persönlichen Gebrauch oder den schulischen Unterricht kostenlos heruntergeladen werden. Das Text- und Bildmaterial wird begleitet von 6 Podcasts aus unterschiedlichen Bereichen wie z. B. dem Sport, der Spitzengastronomie oder der Religion. Diese bieten fast 4 Stunden lang die Möglichkeit zuzuhören. Und wer möchte, schaut sich die Inhalte ebenfalls in vier Erklärvideos an, die die Inhalte audiovisuell vermitteln.
Der Zugang zum Thema wurde ausdrücklich so gewählt, dass jede und jeder Sprachinteressierte sich darüber informieren kann. Ein besonderes sprachwissenschaftliches Vorwissen ist ausdrücklich nicht erforderlich. Und er konnte realisiert werden, weil die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (Kulturstaatsministerin Claudia Roth) dieses Projekt großzügig gefördert hat. Mit dieser Unterstützung, für die die Gesellschaft für deutsche Sprache herzlich dankt, wird und bleibt ein wichtiges gesellschaftliches Thema sichtbar.
Jens Runkehl