Ausgabe: 1-2/2017

Welche Chancen hat das Deutsche? Deutsch als Fremd- und Wissenschaftssprache in der Grande Région

Einführung in das Themenheft Muttersprache 1–2/2017

Welche Rolle spielt die deutsche Sprache als Fremdsprache und wie sieht die Situation des Deutschen an Schulen, Hochschulen und Universitäten in der Grande Région aus? Welche Rolle spielt Deutsch als Arbeits-, Bildungs- bzw. Wissenschaftssprache in der Großregion? Wie kann man Deutsch im Kontext eines mehrsprachigen kommunikativen Potenzials stärken und fördern? Und welche Impulse gehen von der Grande Région für andere Grenzregionen aus?

Nach Antworten auf diese Fragen suchte die am 28. und 29. April 2016 an der Universität Trier abgehaltene und vom Fach Germanistik/Deutsch als Fremdsprache der Universität in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. (GfdS) konzipierte und organisierte Tagung »Deutsch als Fremd- und Wissenschaftssprache im Kontext der Mehrsprachigkeit am Beispiel der Grande Région«, an der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Deutschland, Luxemburg, Belgien, Frankreich und den Niederlanden beteiligt waren.

Die eingangs formulierten Fragen weisen auf unterschiedliche Perspektiven, aus denen am Beispiel der Grande Région bzw. Großregion, zu der neben dem Saarland und Rheinland-Pfalz das Großherzogtum Luxemburg, Frankreichs »Région Lorraine (Lothringen)« und die »Deutschsprachige Gemeinschaft« Belgiens gehören, die Stellung und Rolle der deutschen Sprache grenzüberschreitend beleuchtet werden. In den überaus anregenden Konferenzbeiträgen, die im vorliegenden Heft der Muttersprache publiziert werden, spiegelt sich nicht nur eine aktuelle Bestandsaufnahme für die Region, sondern auch ein Dialog zwischen sprachenpolitischen, sprachkulturellen und linguistischen Befunden und damit ein Blick auf die Gegebenheiten der gesellschaftlichen Sprachenrealität, der über die Region hinausweist.

Mit dem Thema führte die Tagung in Trier nicht nur einen für die GfdS zentralen Schwerpunkt – Stellung und Gebrauch der deutschen Sprache in Ländern und Regionen1 – fort, sondern erweiterte ihn gleichwohl um die Konzepte »Grenze« und »Mehrsprachigkeit«, die in den Fremdphilologien, darunter auch die Germanistik, zu einem wichtigen wissenschaftlichen Forschungsfeld mit starkem Praxisbezug geworden sind.

Sich mit Sprachenfragen in der Grande Région/Großregion zu beschäftigen, ist mindestens aus folgenden Gründen lohnend:

  1. Die Großregion als Modellregion: So vereint die Großregion, in der ca. 12 Millionen Menschen leben, »Geschichte, Kultur und Sprachen und gibt sich als Modellregion im Herzen Europas: ein lebendes Beispiel in einem Europa ohne Grenzen, reich an Kooperationen und Austausch«2. Besonders deutlich wird das daran, dass dieser Großraum geprägt ist von einem ständigen Fluss an Grenzpendlern, »über 200 000 Arbeitnehmer aus der Großregion gehen täglich in ein anderes Land als dem ihren zum Arbeiten«3. Und die Zahl der Grenzgänger wächst beständig,4 entsprechend heißt es in der Pressemappe zur Auftaktkonferenz der XV. Präsidentschaft weiter, dass »angesichts dieser Bewegungen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in diesem Raum einen wirklichen Reichtum und eine Grundlage für ihre wirtschaftliche, institutionelle und gesellschaftliche Entwicklung darstellt«. Gegenwärtige Hauptziele sind die »Integration des grenzüberschreitenden Arbeitsmarkts, der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit und weniger Hindernisse für die Mobilität der Grenzgänger« (ebd.). Um diese Ziele zu erreichen, konzentrieren interregionale Fachgruppen ihre Arbeit auf grenzüberschreitende Maßnahmen in der Beschäftigungs- und Berufsbildungspolitik, insbesondere auf die Anerkennung von Abschlüssen, auf eine grenzüberschreitende Berufsbildung und den Ausbau des Universitätenverbundes der Großregion (UniGR) (vgl. ebd.). Es liegt auf der Hand, dass alle diese Maßnahmen auch sprachliche Anforderungen an die Bürger in der Großregion stellen.
  2. Die Großregion als Grenzregion: Um die Herausforderungen und Chancen der Großregion als Grenzregion zu erforschen, wurden die »Border Studies«5 ins Leben gerufen, eine multidisziplinäre Forschungsinitiative, die einen integrierenden Blick auf die Fragen von Grenzen verfolgt. Grenzen werden in diesem Konzept als Ausdruck von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Prozessen behandelt; sie stehen für Trennwirkungen, wie beispielsweise durch staatliche Gesetzgebung oder kommunale Verordnungen, aber – durch den europäischen Einigungsprozess – vor allem für Durchlässigkeit im beruflichen, sozialen und kulturellen Leben der Grenzbewohner. Besonders aufschlussreich erscheinen in diesem Kontext Forschungen zum Entstehen und Erstarken grenzüberschreitender Regionen, zu ihrem spezifischen Charakter, der sich in grenzüberschreitenden Alltagspraktiken wie Einkaufen, Verwandtenbesuchen, Treffen mit Freunden, im Besuch von kulturellen Veranstaltungen u. v. m. zeigt, wie auch in Wohnmobilität, medialen Praktiken und Mehrsprachigkeit, im Grenzgänger-Phänomen oder in Fragen des Zugehörigkeitsempfindens.6
  3. Die Großregion als Mehrsprachenregion: In der Großregion, die eine Schwellenregion zwischen dem germanischen und romanischen Sprachraum ist, trifft man auf die Standardvarietäten Deutsch, Französisch und Luxemburgisch wie auch auf lokale bzw. regionale Varietäten, so auf das Deutsche und westmitteldeutsche Mundarten in Ostbelgien, auf das Saarländische und auf das Mosel- und Rheinfränkische. Hinzu kommen das Niederländische bzw. Flämische, Sprachen von Einwanderern, wie das Italienische, Portugiesische und Arabische, und nicht zuletzt das Englische. All diese Sprachen haben ihren eigenen Platz und Stellenwert im Bewusstsein ihrer Sprecher, formen und beeinflussen die verschiedenen Sprachenkonstellationen der Großregion. Deutsch und Französisch sind die jeweils dominanten Sprachen in den institutionell eher einsprachigen Ländern Deutschland und Frankreich. Mit Luxemburg und Belgien begegnet man in der Großregion mehrsprachigen Ländern. Besonders vielschichtig ist die Sprachensituation in Luxemburg (dazu der Beitrag von Heinz Sieburg in diesem Heft), wo Deutsch, Französisch und Luxemburgisch die Amtssprachen sind und das Luxemburgische auch als Nationalsprache gilt. Aufgrund historischer Entwicklungen hat sich eine Diglossie-Situation in Verwaltung, Institutionen und Medien herausgebildet. Französisch findet Verwendung in den Ministerien, höheren Schulen und Universitäten, Deutsch in den Druckmedien. Durch das mehrsprachige Bildungssystem wird die individuelle Mehrsprachigkeit gelenkt und gelehrt; so lernt man in der Schule die Pflichtfächer Deutsch und Französisch und später auch Englisch. Die Bürger des Großherzogtums sind also von Kindesbeinen an mit einer flexiblen Sprachverwendung vertraut. Ganz anders ist die Situation in Belgien: Mit Deutsch, Französisch und Niederländisch gibt es auch in Belgien mehrere Amts- bzw. offizielle Landessprachen, die 1921 von der belgischen Regierung im Sinne einer territorialen Einsprachigkeit seiner Bewohner in den 3 regionalen Sprachgebieten (niederländisches, französisches und deutsches Sprachgebiet) anerkannt wurden. Die heutige Gesetzgebung zum Sprachgebrauch ist historisch aus der Flämischen Bewegung heraus entstanden (sprachliche Gleichberechtigung von Flamen und Wallonen im Zuge der Unabhängigkeit von den Niederlanden) und sieht für seine Bürger, wie im Artikel 30 der Verfassung des Königreichs Belgiens7 festgelegt, den freien Gebrauch der Sprachen (Sprachfreiheit) vor. Bis heute sind Sprachenfragen und der Sprachgebrauch in Belgien ein sensibles Thema: So ist eine institutionelle Mehrsprachigkeit (wenigstens zweisprachig) in der oberen öffentlichen Verwaltung, in der Justiz oder beim Militär landesweit geregelt. Ansonsten greift eine starke föderale Gesetzgebung, d. h., die Regionen entscheiden selbst über den Sprachgebrauch und die (Fremd-)Sprachenpolitik an Schulen und Hochschulen. Detaillierte Einblicke dazu liefert der Artikel von Jeroen Darquennes in diesem Heft.
  4. Die Großregion als mehrsprachige Region – Arbeiten und Studieren in mehreren Sprachen: In der Großregion trifft man auf eine internationale mehrsprachige Arbeits- und Lebenswelt, die nicht nur durch vielfältige, sondern auch stark dynamische Sprachenkonstellationen bestimmt ist. Damit Arbeiten, Forschen und Lehren in den vorherrschenden Sprachen der Großregion – Deutsch, Französisch, Luxemburgisch wie auch Englisch – gelingen kann, müssen gemeinsame (fremd-)sprachenpolitische Schritte gegangen werden, um die Sprachenpolitiken der Regionen aufeinander abzustimmen und effektive grenzüberschreitende Konzepte zur Förderung von Mehrsprachigkeit zu entwickeln. Noch fehlen detaillierte Untersuchungen und Forschungen zu mehrsprachigen und transkulturellen Praktiken in unterschiedlichen kommunikativen Zusammenhängen in der Großregion und daraus ableitbare Kompetenzprofile von Mehrsprachigen. Erste Einblicke geben jedoch grenzüberschreitende Studiengänge, wie der Trinationale Germanistik-Master8 oder grenzüberschreitende Seminare bspw. zum Umgang mit Wissen – dazu der Beitrag von Christina Reissner in diesem Heft – wie auch Untersuchungen zur mehrsprachigen Arbeitswelt in Luxemburg9. Am Beispiel der Grenzgänger wurde hier ermittelt, welche Praktiken entwickelt werden, um mit mehrsprachigen Situationen im beruflichen Alltag umzugehen. Grenzgänger nutzen – je nach individuellem Vermögen – neben kontextspezifischen Routineformeln (wie z. B. beim Begrüßen und Verabschieden) die Übersetzung, eine passive Mehrsprachigkeit (jeder nutzt seine Erstsprache), eine dritte gemeinsame Sprache (meistens Englisch) oder einen Mix daraus, einen »kreativen Sprachen- und Strate-giemix aller Möglichkeiten« (vgl. ebd.). Einen wichtigen Platz nehmen im Diskurs über Mehrsprachigkeit ihre Reflexion (Einstellungen von Einsprachigen und Mehrsprachigen, Umgang mit Ängsten, Herausforderungen von mehrsprachigen Situationen und ein Sich-anpassen-Können) und eine daraus resultierende Sensibilisierung für mehrsprachige Situationen, mehrsprachige kommunikative Praktiken und eine flexible Sprachverwendung ein.

Für die Erarbeitung effektiver mehrsprachendidaktischer Ansätze und Konzepte sind also weitere Forschungen notwendig: So werden Studien darüber benötigt, wie sich individuelle Wege zur Entwicklung und zum Ausbau von Mehrsprachigkeit darstellen und ob es allgemeingültige Merkmale von Mehrsprachigkeit gibt. Auch ist von Interesse, ob man Erfahrungen mit einem Typ der Mehrsprachigkeit in einem bestimmten geografischen, po-litischen und sozialen Kontext ohne Weiteres auf andere Situationen übertragen kann. Vor dem Hintergrund, dass sich Plurilingualismus als nachbarschaftliches wie auch globales Phänomen darstellt, ist ebenso zu klären, welche Sprachenfolge sich in welchen Formen und welchem Umfang (EU-Konzept »1+2«: Mutter- bzw. Erstsprache plus 2 weitere moderne Fremdsprachen) international wie regional als erfolgreich erweist. Welche Ansätze sind effektiv, damit Schüler und Studierende leichter auf andere Sprachen und Kulturen zugehen können, sie kulturelle und sprachliche Vielfalt als Chance ansehen und damit letztlich auf eine erfolgreiche Kommunikation in heterogenen Teams vorbereitet werden? Und wie könnten sich natürliche Sprachkontaktphänomene für eine Mehrsprachigkeitsdidaktik nutzen lassen?

Die thematischen Beiträge des Heftes widmen sich den skizzierten Dimensionen. So beleuchtet der Aufsatz von Ulrich Ammon (Wuppertal) die Sprachenfrage in der Grande Région im Kontext der globalen Sprachenkonstellation und bietet damit auch den Hintergrund zur Einordnung regionaler Befunde. Indem Ammon zunächst die Faktoren diskutiert, die das Deutsche und Französische als Nachbarschafts- wie auch dominierende Sprachen der Region zu ungefähr gleichrangigen internationalen Sprachen machen, arbeitet er gleichsam Vorteile für eine starke internationale Stellung einer Sprache heraus. Sowohl die französische als auch die deutsche Sprachgemeinschaft haben ein Interesse daran, ihren Status als internationale Sprache zu erhalten. Das wird nur gelingen, wenn man die Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit verteidigt. Eine in diesem Sinn breite sprachenpolitische Zusammenarbeit, die es auf etlichen Feldern – vgl. den Beitrag von Jocelyne Maccarini in diesem Heft – auch schon gibt, könnte ein lohnender Weg sein und vielleicht auch chancenreich, ganz im Sinne des deutsch-französischen Motors, über die Region hinauszuwirken.

Der Rolle und Stellung des Deutschen im mehrsprachigen Luxemburg spürt Heinz Sieburg (Luxemburg) in seinem Aufsatz nach. Aufschlussreich sind die Betrachtungen zu den unterschiedlichen Funktionen, die das Deutsche erfüllt, wie auch seine Bewertung als positives Konstitutionselement nationaler Identität. So ist die Stellung des Deutschen durchaus ambivalent: Einerseits ist sie integraler Bestandteil der Luxemburger Sprachgeschichte, ist Nationalsprache, Landessprache, Einschulungssprache, Medien- und Presse- wie auch Wissenschaftssprache; sie wird dagegen kaum genutzt im Mündlichen, fungiert also nicht als Nähesprache und wird auch nicht als Identitätsmerkmal betrachtet. Identitätsstiftendes Potenzial sieht Sieburg in der Bewusstmachung und Übertragung des Plurizentrizitätskonzepts auf das Luxemburger Deutsch, das eine Vielzahl an Spezifika aufweist und somit als eigenständige und gleichberechtigte Varietät neben dem Deutschen in Deutschland oder Österreich betrachtet werden müsste.

Die sich anschließenden Beiträge widmen sich der Stellung des Deutschen in unterschiedlichen Vermittlungskontexten (Schule und Universität) in einzelnen Institutionen, Teilen bzw. Teilregionen der Grande Région und liefern so differenzierende Bestandsaufnahmen. Wie die Datenerhebung des Goethe-Instituts 201510 ausweist, konnte erfreulicherweise die noch bis ins Jahr 2010 zu beobachtende rückläufige Tendenz der Zahl der Deutschlernenden auf der Welt gestoppt werden. Insgesamt wird von einer Konstanz der Zahlen gesprochen und vielerorts von einem positiven Trend. Besonders in den letzten 5 Jahren hat das Interesse am Erlernen der deutschen Sprache vor allem in Asien, aber auch in Europa wieder zugenommen. Gleichzeitig bestätigt sich die Entwicklung, dass Deutsch mehrheitlich als zweite Fremdsprache gelernt wird (vgl. die Datenerhebung im Jahr 2015 von FN 10, S. 6). Hervorgehoben wird, dass es nach wie vor in Europa die meisten Deutschlernenden – 9,4 Millionen – gibt. Deutlich zugenommen hat das Interesse besonders in Nicht-EU-Staaten wie in Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Serbien und der Türkei. Gestiegen ist die Nachfrage mehrheitlich auch in den EU-Staaten. Mit Blick auf die uns interessierende (Groß-)Region werden besonders Frankreich mit einer stabilen Entwicklung, Belgien und die Niederlande sogar mit einer gestiegenen Nachfrage genannt (vgl. ebd.: 9 ff.). Deutsch hat also nicht an Boden verloren. Aber dennoch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nachfrage in Frankreich zwar stabil ist, aber stabil auf einem recht niedrigen Niveau, und auch die erfreulichen Anstiege in Belgien und den Niederlanden zu relativieren sind.

Differenzierte Bestandsaufnahmen, wie sie in den folgenden Beiträgen vorgelegt werden, sind somit notwendig, um die Einflussfaktoren und daraus resultierende Entwicklungen präzise zu beschreiben, Schwierigkeiten und Probleme detailliert herauszuarbeiten wie auch Potenziale erkennbar zu machen.

Die Beiträge von Jocelyne Maccarini (Nancy-Metz) und Jereon Darquennes (Namur) rücken den schulischen Kontext in den Fokus. So untersucht Darquennes die Stellung des Deutschen als Fremdsprache im Primar- und Sekundarbereich im belgischen Teil der Großregion, d. h. in den Provinzen Lüttich und Luxemburg, mit dem Ziel, zu erkunden, inwieweit sich die noch 2001 als prekär beschriebene Situation des Deutschunterrichts verändert hat. Vor dem Hintergrund, dass Englisch – auch als Immersionssprache – immer weiter an Gewicht zunimmt, bewertet Darquennes vor allem die relativ starke Stellung des Deutschen als zweite Fremdsprache in der Provinz Luxemburg als vielversprechend und regt an, auf die in der Provinz dafür entwickelten Maßnahmen und Initiativen einen genaueren Blick zu werfen, um sie in maßgeschneiderter Weise auf andere Gebiete übertragen zu können. Chancen und Perspektiven für das Deutsche als zweite Fremdsprache sieht auch Maccarini, die der schwierigen Position des Deutschen im französischen Schulkontext nachgeht. So beleuchtet sie neben der besonderen Stellung des Deutschen im Elsass und in Lothringen (Zweisprachigkeit und vielfältige »Nachbarschaftsprogramme«) Beschlüsse der jüngsten Schulreform und daraus resultierende fremdsprachenpolitische Maßnahmen in ihren Auswirkungen auf das Deutsche. Um Deutsch als zweite Fremdsprache dauerhaft zu stärken, bedarf es einer gezielten Unterstützungspolitik. Entsprechende Förderstrategien wie auch gezielte Werbe- und Informationsaktionen zum Mehrwert des Deutschen stellt Maccarini vor.

Den Gründen für anhaltend rückläufige Zahlen Deutschstudierender an französischen Universitäten und sogar an Universitäten in Lothringen widmet sich Gunter Schmale (Metz/Lyon) in seinem Beitrag. Anhand der Befunde einer kleinen Umfrage unter Studierenden der Universitäten in Metz und Nancy erkundet Schmale, warum trotz der günstigen Ausgangskonstellation (Nähe zu Deutschland, grenzüberschreitende Alltagsaktivitä-ten, Dialektsprecher und viele offene Lehrerstellen) immer weniger junge Menschen ein Deutschstudium aufnehmen. Erklärungen, die über Frankreich hinaus relevant zu sein scheinen, findet Schmale in Einstellungen und im Status des Deutschen: So wird Deutsch zwar als wichtig angesehen (EU und Handelsbeziehungen), aber auch als wenig attraktiv und schwierig beschrieben, es ist kein europäisches Kommunikationsmittel (EU-Institutionen) und sein Nutzen außerhalb des Lehrerberufs gilt als recht begrenzt. Hinzu kommen inadäquate Vermittlungsansätze, zuvörderst die Diskrepanz zwischen kommunikations- und handlungsorientierten Ansätzen im Deutschunterricht an französischen Schulen und stark literatur- und grammatikorientierten Vermittlungsweisen in der Deutschlehrerausbildung an französischen Universitäten.

Aufschlussreiche Einblicke zur Stellung des Deutschen an einer mehrsprachigen Universität bietet der Aufsatz von Birgit Huemer (Luxemburg), der Ergebnisse einer vom Sprachenzentrum der Universität Luxemburg durchgeführten Untersuchung zum Sprachbedarf der Universität vorstellt. Ziel des Sprachenzentrums ist es, die wissenschaftssprachlichen Kompetenzen der Studierenden und Mitarbeiter in den 3 Sprachen der Universität, Englisch, Französisch und Deutsch, gleichermaßen zu fördern, sodass zweisprachiges bzw. dreisprachiges Agieren in den verschiedensten akademischen Handlungsfeldern ermöglicht wird, mehrsprachige Kompetenzen einen Mehrwert dieser Studiengänge ausmachen. Ein Ergebnis der Erhebung ist, dass aufgrund von Diversität in Studierendenschaft und im Lehrkörper wie auch der unterschiedlichen Rolle des Deutschen in den Studienprogrammen die spezifischen Sprachbedürfnisse maßgeschneidert unterstützt werden müssen. Für das Deutsche diskutiert Huemer ein breites Unterstützungsangebot, das Maßnahmen zur Implementierung in Studienprogramme und fachspezifische Angebote ebenso vorsieht wie alternative Lernformen.

Die Veränderungen aufgrund der Einführung der konsekutiven Studiengänge (Bachelor und Master) in Deutschland und eine damit einhergehende Diversität der Studierendenschaft wie auch die schon erwähnten Verschiebungen im Hinblick auf Deutsch als mehrheitlich eher zweite oder dritte Fremdsprache spiegeln sich auch in neuen Anforderungen an das studienbegleitende Sprachprogramm »Deutsch als Fremdsprache« an der Universität Trier.11 So lässt sich im letzten Jahrzehnt eine spürbare Verlagerung bei den Niveaus der Sprachkenntnisse, mit denen MA-Studierende wie auch Programm- und Austauschstudierenden ihr Studium oder Auslandsjahr in Trier beginnen, erkennen. Deutlich mehr Kurse werden jetzt im fortgeschrittenen Anfänger- und Mittelstufenbereich benötigt, weniger dagegen im Fortgeschrittenen- und vor allem im oberen Fortgeschrittenenbereich.

Sichtbare Veränderungen gibt es in der Studierendenschaft. Neben den meist 1 oder 2 Semester an der Universität studierenden Erasmus- und Programmstudierenden sind mit den MA-Studierenden der verschiedenen Fächer und den MA-Studierenden in den englischsprachigen Studiengängen neue Zielgruppen mit ganz eigenen spezifischen sprachlichen Bedürfnissen entstanden. Eine solche neue Zielgruppe innerhalb der MA-Programme sind die internationalen Germanistikstudierenden,12 die ihren BA-Abschluss wie auch die für das Studium erforderlichen Sprachkenntnisse außerhalb Deutschlands erworben haben. Aufgrund damit einhergehender unterschiedlicher Studiersysteme und auch unterschiedlicher Ausrichtungen germanistischer Studienprogramme außerhalb Deutschlands verfügen sie über andere akademische Erfahrungen und Vorkenntnisse. In Bezug auf die deutsche Tradition an Hochschulen und Universitäten spricht Wiesmann vom »diskursiv entwickelten Lehren und Lernen«13, bei dem sich die Studierenden ihr Wissen größtenteils selbständig aneignen müssen. Dafür benötigen sie neben Eigenorganisation und Selbständigkeit auch Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens wie auch eine domänenspezifische Lesekompetenz, Erfahrungen im Umgang mit sprach- und literaturwissenschaftlichen Fachtext(sort)en und vor allem eine akademische Schreibkompetenz. Während Studienanfänger (Bachelor) die akademischen und fachspezifischen Konventionen allmählich kennenlernen und erwerben, müssen konsekutive MA-Studierende die an ihrer Heimathochschule erworbenen Kenntnisse und wissenschaftlichen Konventionen in die neuen Strukturen »umsetzen« bzw. die geforderten akademischen Kompetenzen parallel zum Fachinhalt »neu« erwerben. Wie die an der Universität Trier im Wintersemester 2015/2016 durchgeführte Untersuchung14 zu den spezifischen sprachlichen und studienrelevanten Bedürfnissen dieser Zielgruppe deutlich macht, sind aufgrund einer großen Heterogenität der sprachlichen, fachwissenschaftlichen wie auch akademischen Vorkenntnisse fachspezifische Unterstützungsangebote unerlässlich, um den Studierenden ein erfolgreiches Studium zu ermöglichen. Besondere Schwierigkeiten bereiten der Zielgruppe die Rezeption von Fachtexten, schriftliche Studienleistungen wie Klausuren und Seminar- bzw. Abschluss¬arbeiten und auch mündliche Präsentationen. In einem ersten Schritt wurden ein spezielles fachsprachliches Lesetraining und ein mehrstufiges Programm zum wissenschaftlichen Schreiben in das studienbegleitende Deutschkursangebot aufgenommen. Zu überlegen ist aber, ob solche Elemente nicht generell Eingang in das Studienprogramm finden müssten, ob durchgängige Sprachbildung und sprachsensibles Arbeiten nicht auch im Fachstudium ihren Platz haben sollten.

Eine weitere neue Zielgruppe sind auch in Trier die MA-Studierenden in englischsprachigen Studiengängen15, die sich – obwohl in den Studiengängen (noch) nicht vorgesehen – eine Einbindung der Sprache des Gastlandes in ihr Studium (Praxisbezug, Fachdiskurs, Förderung interkultureller Kompetenzen, Deutschlandkundige) und zum persönlichen Sprachlernerfolg wünschen. Die meisten Studierenden beginnen ihr Studium ohne Deutschkenntnisse, entsprechend nachgefragt sind die studienbegleitenden Sprachkurse insbesondere im Anfänger- und fortgeschrittenen Anfängerbereich.16 Insgesamt werden damit bereits vorliegende Befunde17 zur Sprachsituation in englischsprachigen Studiengängen in Deutschland bekräftigt. Und die Annahme, dass ein Studium in Deutschland ohne Deutsch dessen Attraktivität als Studienstandort steigert, gar als geeignete Internationalisierungsstrategie anzusehen ist, bestätigt sich damit offenbar nicht. Die Universität Trier hat auf die Nachfrage der Studierenden positiv reagiert und ermöglicht ihnen eine Teilnahme am studienbegleitenden Deutschkursangebot. Die notwendige Debatte über ein für diese Studiengänge sowohl sprachpolitisch wie fremdsprachendidaktisch angemessenes Konzept ist aber noch zu führen.

Wünschenswert wäre nicht nur vor dem Hintergrund der Anforderungen an mehrsprachige Kompetenzen in der Großregion, Sprachenfragen zu einem unverzichtbaren Bestandteil aller curricularen Überlegungen in Schule, Berufsausbildung, Hochschule und Universität werden zu lassen.

Dem Umgang mit Mehrsprachigkeit als zentralem Bestandteil von Ausbildungskonzepten widmen sich die Beiträge von Christina Reissner (Saarbrücken) und Katja Lochtman (Brüssel). So beschreibt Reissner Erfahrungen aus der trinationalen Universitätslehre im Rahmen des Universitätenverbunds der Großregion (UniGR) am Beispiel von interdisziplinären Seminaren zum »Umgang mit Wissen in multilingualen Kontexten«. In grenzüberschreitenden Lehrveranstaltungen kommen Studierende und Lehrende unterschiedlicher Fächer zusammen, um ein bestimmtes Thema aus ihrem individuellen wie auch fachlichen und vom nationalen Bildungskontext geprägten Blickwinkel zu diskutieren. Den Studierenden wird damit ein Weg eröffnet, nicht nur verschiedene Forschungs- und Unterrichtsmethoden kennen zu lernen, sondern auch in den Universitätsalltag der Nachbarn einzutauchen und vielfältige Formen der Mehrsprachigkeit zu erleben.

Vor dem Hintergrund des aktuellen Internationalisierungsdiskurses beleuchtet Katja Lochtman die Rolle des Deutschen in der Internationalisierungspolitik an den beiden Brüsseler Universitäten. Wie an vielen anderen Universitäten bestimmen auch in Brüssel zuvörderst ökonomische Argumente die Debatte; sprachlich bedeutet das vor allem eine Ausrichtung auf das Englische, Deutsch spielt dabei keine Rolle. Entsprechend schwierig ist die Situation der Germanistik. Aber Internationalisierung verlangt auch nach der Integration einer interkulturellen Dimension, um entsprechende Kompetenzen zu entwickeln. Besondere Chancen dafür sieht Lochtman im Erlernen einer weiteren Sprache, und so stellt sie in ihrem Aufsatz das Konzept der Brüsseler Germanistik als Teil eines multilingualen MA-Programms vor. Mithilfe von CLIL (Content and language integrated learning)18 in Verbindung mit anspruchsvollen mehrsprachigen Unterrichtsstrategien, wie beispielsweise Translanguaging oder Codeswitching, wird ein Weg versucht, der die Germanistik erhalten kann, indem er der Mehrsprachigkeit und Diversität der Studierenden gerecht wird, fachliche Inhalte transportiert und auf eine authentische Interaktion in der Zielsprache ausgerichtet ist.

Den Abschluss bildet der Aufsatz von Sabine Jentges und Paul Sars, der sich der Stellung des Deutschen in den Niederlanden und deutsch-niederländischen Grenzregionen widmet und damit eine interessante regionale Erweiterung einbringt. So beschreiben die Autoren eine recht widersprüchliche Situation, die sich aus der »fremden Nähe« erklären lässt, aus dem Verhältnis zwischen Nähe und Distanz, das die Niederländer gegenüber Deutschland, den Deutschen und der deutschen Sprache haben. Deutschland ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner für die Niederlande und Deutschkenntnisse spielen dabei eine wichtige Rolle, was sich bspw. an den gestiegenen Deutschlernerzahlen in den spezifizierten Kursen des Goethe-Instituts (Kurse für Juristen, Mediziner, Piloten) zeigt. Blickt man aber auf die bevorzugte Fremdsprachenwahl an den Schulen oder auf die Studierendenzahlen in den germanistischen Abteilungen der Universitäten, zeigt sich eine für das Deutsche pre-käre Lage. Chancen sehen die Autoren vor allem in der Beantwortung der Frage, wie die fremde Nähe des Deutschen erfassbar und erfahrbar gemacht werden kann, damit Deutsch wieder ein attraktives Schulfach besonders auch in den Grenzregionen wird. Das von den Autoren initiierte und im Aufsatz skizzierte Euregio-Interreg-Projekt könnte hierfür zum Vorreiter werden.

Bleibt mir zum Abschluss noch, mich bei den Beitragenden des Themenheftes für ihre Mitarbeit herzlich zu bedanken.

Wiesbaden und Trier, im März 2017

Renate Freudenberg-Findeisen


1 So kann die GfdS auf viele erfolgreiche Tagungen verweisen, wie z. B. »Deutsch in der Grenzregion Polen, Tschechien und Deutschland« 2001, »Deutsch in den USA« 2001, »Deutsch in Russland« 2003, »Deutsch in Frankreich« 2007 und 2013, »Deutsch in Israel« 2013 und »Deutsch in Tschechien« 2015.
2 Vgl. dazu die Pressemappe zur Auftaktkonferenz der XV. Präsidentschaft der Großregion – Mons, 03.02.2015 (http://www.grossregion.net/).
3 Vgl. ebd.
4 Vgl. die Webseite der Interregionalen Arbeitsmarktbeobachtungsstelle: http://www.iba-oie.eu/Grenzgaenger.71.0.html.
5 Vgl. http://www.uni-gr.eu/de/forschen-und-lehren/border-studies/.
6 Verwiesen sei hier auf die aktuellen Sammelbände von Vincent Goulet und Christoph Vatter (Hgg.) (2013): Champs médiatiques et frontières dans la «Grande Région» SaarLorLux et en Europe/Mediale Felder und Grenzen in der Großregion SaarLorLux und in Europa. Saarbrücken und von Christian Wille (Hg.) (2015): Lebenswirklichkeiten und politische Konstruktionen in Grenzregionen. Das Beispiel der Großregion SaarLorLux: Wirtschaft – Politik – Alltag – Kultur. Bielefeld.
7 Vgl. dazu die Verfassung des Königreichs Belgien: http://www.senate.be/deutsch/const_de.html und den Artikel Sprachgesetzgebung in Belgien unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachgesetzgebung_in_Belgien.
8 Vgl. dazu http://www.uni-gr.eu/de/studieren/grenzueberschreitende-studiengaenge/trinationaler-germanistik-master/.
9 Vgl. Wille, Christian/de Bres, Julia/Franziskus, Anne (2015): »Intercultural work environments in Luxembourg. Multilingualism and cultural diversity among cross-border workers at the workplace.« In: MIS Working Paper, Nr. 1. Luxembourg. http://mis.uni.lu/en/wp-content/uploads/sites/9/2014/03/2015_MIS-WP-01_Beitrag_CW-JdB_Anne_cross-border-worker.pdf.
10 Vgl. dazu Auswärtiges Amt (o. J.): Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2015. https://www.goethe.de/resources/files/pdf37/Bro_Deutschlernerhebung_final2.pdf.
11 Vgl. https://www.uni-trier.de/index.php?id=58943.
12 Als Studierende mit dem Ziel, einen Abschluss zu erlangen (degree seeking students), sind derzeit insgesamt 736 ausländische Studierende immatrikuliert, die sich insbesondere in den Wirtschafts-wissenschaften, den Umweltwissenschaften sowie in den Sprach- und Literaturwissenschaften konzentrieren. In den germanistischen Studiengängen sind 223 ausländische Studierende immatrikuliert, ca. 37 Prozent davon studieren in einem MA-Programm.
13 Vgl. Wiesmann, Bettina (2001): »Und was können wir jetzt draus machen? – Studieren in einer diskursiv entwickelnden Lehr-Lern-Kultur.« In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache, H. 27, S. 253.
14 Die Untersuchung wurde im Kontext des vom DAAD geförderten Projekts »Studienerfolg international« von einer Arbeitsgruppe unter Leitung des Faches Germanistik/Deutsch als Fremdsprache durchgeführt. Vgl. auch die MA-Arbeit von Anna Goncharova (2016): Der Weg zur wissenschaftlichen Schreibkompetenz. Konzeption und Evaluation einer universitären Schreibbegleitung für ausländische Studierende. Trier.
15 An der Universität Trier gibt es derzeit 3 englischsprachige Masterstudiengänge; die Zahl der eingeschriebenen Studierenden hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen.
16 So waren im Wintersemester 2016/2017 – und das mit steigender Tendenz – mehr als 2 Drittel der Studierenden im studienbegleitenden Intensivkurs Deutsch (A-Niveau) und die Hälfte der Studierenden im Brückenkurs (fortgeschrittene Anfänger) MA-Studierenden in englischsprachigen Studiengängen. Im Mittelstufenbereich studiert etwa ein Drittel der Sprachkursteilnehmer in englischsprachigen Studiengängen.
17 Vgl. dazu die Studie von Christian Fandrych und Betina Sedlaczek (2012): »I need German in my life«. Eine empirische Studie zur Sprachensituation in englischsprachigen Studiengängen in Deutschland. Unter Mitarbeit von Erwin Tschirner und Beate Reinhold. Tübingen wie auch die Untersuchung von Frauke Priegnitz (2015): Zwischen englischsprachigem Studium und landessprachigem Umfeld. Internationale Absolventen deutscher und dänischer Hochschulen. Frankfurt a. M.
18 CLIL ist ein methodischer Ansatz, bei dem die Zielsprache nicht nur Inhalt des Unterrichts ist, sondern auch und v. a. als Medium oder Instrument im Unterricht genutzt wird.