Der Sprachdienst 6/2020

Wenn die Gästin der Grünin vom Koryphäer erzählt

Natürlich muss sich ein geschlechtergerechter Sprachgebrauch erst einmal finden – abzulesen an Annalena Baerbocks (gesprochenem) Steuer*innenzahler. Fahrerin, Steuerzahlerin, prima. Doch muss man wirklich Gästin bilden? Gast hat doch kein -er am Ende. Zweifelsohne sind hier ebenso Zweifel berechtigt wie bei Herrin, Menschin, frau (zu man) und einigen mehr. Gästin etwa, so ist mancherorts zu lesen, sei schließlich schon im Grimm’schen Wörterbuch (*1854) aufgeführt – was nicht weiter verwunderlich ist, da die Brüder ehrgeizigst jedes Wort aufzunehmen beabsichtigten, das sie nur irgendwo belegt fanden (s. u.). Ebenso fraglich ist die Bauherrin, da inkonsistent insofern, als das enthaltende Herr eindeutig auf einen Mann referiert. Sinnvoll ist es auch hier, Alternativen zu prüfen; so könnte das im südlichen Sprachraum weit verbreitete Bauherrschaft als Lösung in Betracht gezogen werden. Ob auch Baufrau ein passendes Gegenstück sein könnte, möge man (und eher nicht frau, sondern jede(r)) selbst entscheiden. Tatsächlich ist man von Mann abgeleitet, doch ist die Sprachgeschichte nicht immer eine gute Beraterin, da wir dann auch Menschin bilden müssten und mit »Du bist toll!« eine Ohrfeige ernten würden (ahd. tol ›dumm, töricht‹).

Wer Gast und Mensch gendert, müsste eigentlich auch Feminina wie Memme oder Koryphäe gendern (der Memmerich, Koryphäer?; vgl. Hexer). Belegt sind auch Kälbinnnen, Deutschin und Grüninnen (wortschatz.uni-leipzig.de): Das Neutrum von Kalb bedarf keiner weiteren Erläuterung und substantivierte Adjektive müssen natürlich nicht gegendert werden: der/die Grüne, das sind die guten Alternativformen geschlechtergerechten Sprachgebrauchs. Aber die Linke-Ratsfraktion in Flensburg beantragte 2016 sogar die Einführung von Papierkörbinnen und Computerinnen im Rathaus, zog den Antrag aber wieder zurück – das war im wahrsten Sinne Politik.

Torsten Siever