Ausgabe: Der Sprachdienst 1–2/2025 

Wie hängen die Wörter deutsch Gift und englisch gift zusammen?

[F] Im Deutschen ist Gift ein schädlicher, vielleicht tödlicher Stoff, im Englischen dagegen ein Geschenk. Woher kommt diese so völlig gegensätzliche Bedeutung des Wortes in diesen beiden verwandten Sprachen? Haben die Wörter überhaupt etwas miteinander zu tun?

[A] Das ist in der Tat eine interessante Frage zum Thema Sprachwandel, und wir haben für Sie einmal nachgeschlagen. Das englische Wort gift geht auf das Germanische zurück und wurde schon früh entlehnt; seine Entsprechung hatte es im mittelhochdeutschen und althochdeutschen gleichnamigen gift. Wie das entlehnte englische Wort trug auch das germanische Ursprungswort zu jener Zeit die Bedeutung ›das Geben, Übergabe; Gabe‹ zum Verb geben. Im Niederdeutschen wird heute noch die Nähe zu diesem Verb deutlich: geben, es gibt – geven, dat gif[f]t.

Hierzulande hat das Wort dann eine andere Entwicklung eingeschlagen als im Englischen: Schon im Althochdeutschen wurde gift nicht mehr nur im allgemeinen Sinne von ›Gabe, Geschenk‹, sondern speziell auch für die ›Arzneigabe‹ verwendet – zunächst vermutlich euphemistisch, dann unter dem Einfluss von griechisch/lateinisch dosis mit der Bedeutung ›Geschenk, Gabe, Arzneigabe‹, später auch verhüllend für die bis heute bekannte Bedeutung ›schädlicher Stoff‹. Differenziert wurde erst seit dem 16. Jahrhundert zwischen die Gift im Femininum im Sinne von ›Gabe‹ und das Gift im Neutrum im Sinne von ›schädlicher Stoff‹. Das Femininum ist mit der Zeit verloren gegangen und heute nur noch in Relikten erhalten, z. B. in die Mitgift.

Im Deutschen hat das Wort also einen Bedeutungswandel erfahren, während es im Englischen die Bedeutung bewahrt hat, die es zum Zeitpunkt der Entlehnung hatte – sie wurde also sozusagen im Lehnwort konserviert.

Quellen

Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. https://www.dwds.de/.

Partridge, Eric: Origins. A short etymological dictionary of modern English. New York 1983.

Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 25. Aufl. Berlin/Boston 2011.