19. September 2023

18. bis 24. September 2023: Internationale Woche der Gehörlosen

Internationaler Tag der Gebärdensprache und Tag der Gehörlosen

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Die Internationale Woche der Gehörlosen (dieses Jahr vom 18. bis zum 24. September) wurde ins Leben gerufen, um auf die Situation der weltweit mehr als 70 Millionen Gehörlosen aufmerksam zu machen und für die Gebärdensprache zu werben. Im Rahmen der Aktionswoche werden jedes Jahr am 23. September der Internationale Tag der Gebärdensprache und am letzten Sonntag im September der Tag der Gehörlosen gefeiert, um die Öffentlichkeit für die Bedeutung bzw. die Rolle der Gebärdensprachen bei der vollständigen Verwirklichung der Menschenrechte von Gehörlosen zu sensibilisieren. In diesem Rahmen informieren wir hier über die wichtigste Sprache der Gehörlosen, die Gebärdensprache.

Klären wir zunächst den Begriff Gebärdensprache. Unter einer Gebärdensprache versteht man eine visuell wahrnehmbare Form von Sprache, welche insbesondere von nichthörenden und schwerhörenden Menschen zur Kommunikation genutzt wird. Wörter werden mit den Händen gebildet (Gestik), aber auch die Mimik, das Mundbild, d. h. die Bewegung des Mundes, und das Wortbild, also die Geräusche, die man während des Gebärdens macht, sind für die Kommunikation wichtig.

Gebärdensprachen sind voll ausgebildete natürliche Sprachen von derselben Komplexität wie gesprochene Sprachen. Sprachtypologisch können sie mit stark flektierenden oder polysynthetischen Sprachen verglichen werden, d. h., eine Gebärde kann mehrere bedeutungstragende Bestandteile (Morpheme) zugleich enthalten. Gebärdensprachen gibt es nicht nur in Deutschland, sondern weltweit verteilen sich mindestens 137 Gebärdensprachen (Es ist nicht sicher, wie viele Gebärdensprachen es insgesamt gibt, da jedes (Bundes-)Land o. Ä. zusätzlich zur »Standard«-Gebärdensprache einen eigenen Gebärdendialekt hat bzw. haben kann. So lassen sich beispielsweise in der Schweiz 12 Gebärdendialekte unterscheiden.) Die Annahme, es gäbe lediglich eine universelle Gebärdensprache, die überall verstanden wird, ist also falsch. Da gerade diese internationale Verständigung gewiss aber kommunikative Vorteile für die Gehörlosen weltweit mit sich brächte, entwickelte sich seit den 1950ern Jahren aus der Bestrebung, eine für alle Gehörlosen verständliche Gebärdensprache zu entwickeln, eine internationale Gebärdensprache heraus, die International Sign. Diese unterscheidet sich insofern von einem lautsprachlichen Pendant wie etwa Esperanto dadurch, dass sie innerhalb der Gehörlosen-Community aus dem Vokabular verschiedener Gebärdensprachen natürlich entstanden ist und somit im Gegensatz zu Esperanto keine künstliche Plansprache ist.

Obwohl es sich bei Gebärdensprachen also um voll ausgebildete natürliche Sprachen handelt, lassen sich deutliche Unterschiede zur Lautsprache erkennen. Die gesprochene Sprache wird von den Stimmbändern, der Zunge, den Lippen usw. produziert und akustisch wahrgenommen. Die Gebärdensprache wird hingegen, wie oben bereits erläutert, von den Händen, den Armen, dem Oberkörper usw. im dreidimensionalen Raum, auch Gebärdenraum genannt, produziert und visuell aufgenommen. Bei der Lautsprache müssen die Wörter nacheinander zu Sätzen geformt werden. In der Gebärdensprache hat man die Möglichkeit, mehrere Informationen gleichzeitig in einem Gebärdenzeichen auszudrücken. Im Unterschied zur Lautsprache braucht man in der Gebärdensprache Blickkontakt, da sonst die Kommunikation abbricht.

Doch wie genau funktioniert nun die deutsche Gebärdensprache? Zur Kommunikation wird die dominante Hand verwendet, d. h. bei Rechtshändern die rechte, bei Linkshändern die linke Hand. Es gibt auch Gebärden, welche mit beiden Händen ausgeführt werden, jedoch gibt es stets eine »führende« Hand. Zu beachten ist vor allem, wo eine Gebärde ausgeführt wird, ob an Kopf und Gesicht, am Hals, an den Armen oder am Körper. Da Gehörlose eine sehr feine Wahrnehmung für Stimmungen und Launen haben, achten sie zudem vermehrt auf Blicke und Körpersprache. Wenn z. B. eine Frage mit Ja oder Nein beantwortet wird, erkennt man dabei auch einen Unterschied im Gesichtsausdruck. Daher ist es enorm wichtig, seinen Mund bei der Bildung von Gebärden nicht überdeutlich zu bewegen, da dies das Mundbild verfälscht und Gehörlose dadurch nicht mehr von den Lippen ablesen können.

Die wichtigste Sprache Gehörloser ist zwar die Gebärdensprache, allerdings wird diese durch ein Fingeralphabet ergänzt, welches gebraucht wird, wenn z. B. eine bestimmte Gebärde nicht bekannt ist oder jemand etwas buchstabieren möchte. Ein typischer Fall für das Fingeralphabet sind Namen. Man buchstabiert diesen bei der ersten Erwähnung einer Person und führt erst danach die Gebärde für den Namen aus. Wichtig zu wissen: Nicht alle Länder bzw. Sprachen verwenden das gleiche Fingeralphabet. Das liegt daran, dass einige Sprachen (etwa die griechische oder die hebräische) ein anderes Alphabet verwenden und daher auch andere Schriftzeichen nutzen. Das heißt, Gehörlose müssen nicht nur fremde Gebärdensprachen lernen, wenn sie sich mit Menschen rund um den Globus verständigen wollen, sondern müssen zudem auch fremde Fingeralphabete lernen, um diese zu verstehen. Der Ausdruck Gebärdenalphabet oder Gebärdensprachen-Alphabet ist übrigens nicht korrekt, da man Gebärden nicht buchstabieren kann. Zudem ist das Fingeralphabet ganz unabhängig von der Gebärdensprache entstanden. Besser ist es also, den Ausdruck Fingeralphabet zu verwenden.

Zugleich gehörlose und blinde Menschen können von einer Variante der Gebärdensprache Gebrauch machen, bei der Gebärden (Handbewegungen und Handformen) durch Berührung mitgeteilt und mit dem Tastsinn wahrgenommen werden. Daneben gibt es bestimmte Kulturen, in denen auch nichtgehörlose Menschen sich einer Gebärdensprache bedienen oder in der Vergangenheit eine solche benutzt haben, z. B. einige Mitglieder des australischen Warlpiri-Volksstammes und die indigenen Völker in Nordamerika.

Für die Verschriftlichung von Gebärden gibt es ein bestimmtes System, das Hamburger Notationssystem für Gebärdensprachen, kurz HamNoSys. Dabei handelt es sich um ein phonetisches Transkriptionssystem für Gebärden, welches 1985 an der Universität Hamburg entwickelt wurde. Bis heute sind circa 650 Gebärden erfasst. Allerdings hat sich die Gebärdensprache bisher nicht für den Alltagsgebrauch praktikabel verschriftlichen lassen, obwohl es mehrere Ansätze dazu gibt. Für wissenschaftliche Zwecke existieren Notationssysteme wie z. B. das HamNoSys.

Große Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit erlangte die Gebärdensprache durch das Handzeichen Signal for help (im Deutschen Handzeichen »Häusliche Gewalt«), welches von der Canadian Women’s Foundation initiiert und am 14. April 2020 bekannt gemacht wurde. Es handelt sich um eine Ein-Hand-Geste, mit der eine Person anderen per Sichtkontakt zeigt, dass sie sich bedroht fühlt und Hilfe benötigt. Nachdem auch das Women’s Funding Network es übernahm, verbreitete sich das Handzeichen schnell weltweit über regionale, nationale und internationale Nachrichtenagenturen und Medien. So konnte erst kürzlich eine 14-Jährige aus der Gewalt eines mutmaßlichen Verbrechers gerettet werden, weil sie Passanten mithilfe dieses Handzeichens auf sich aufmerksam gemacht hatte.

Inmitten der Hörenden sind Gehörlose eine kleine sprachliche Minderheit. Auch sie sind Teil unserer Gesellschaft, daher sollte ihnen weiterhin Aufmerksamkeit geschenkt werden und für Gebärdensprachen geworben werden. Teilen Sie diesen Artikel daher sehr gern.

Quellen

https://canadianwomen.org/signal-for-help/
https://www.geo.de/geolino/mensch/1854-rtkl-gebaerden-wie-gebaerdensprache-funktioniert
https://bdue.de/gebaerdensprache
https://en.wikipedia.org/wiki/International_Sign
https://de.wikipedia.org/wiki/Geb%C3%A4rdensprache#Geschichte_und_Verbreitung_von_Geb%C3%A4rdensprachen