Woher kommt die Redewendung hieb- und stichfest?
[F] Immer wieder begegnet mir der Ausdruck hieb- und stichfest. Woher kommt eigentlich dieser Ausdruck und was bedeutet es, wenn gesagt wird, das Alibi, die Aussage oder die Beweise seien hieb- und stichfest?
[A] Tatsächlich wird die Wendung hieb- und stichfest heute fast nur noch im übertragenen Sinne verwendet. Wenn beispielsweise von einer Aussage oder einer Argumentation behauptet wird, sie sei hieb- und stichfest, so ist damit gemeint, dass sie unwiderlegbar, fundiert oder in ihrer Gültigkeit nicht zu erschüttern ist (vgl. Duden. »Deutsches Universalwörterbuch«, 6. Aufl., Mannheim 2006).
Ihren Ursprung hat die Wendung allerdings in der Zauberhandlung des Festmachens. Fest sein bedeutet dabei so viel wie ›unverwundbar sein‹. Wer sich festmacht, will sich vor etwas schützen, z. B. vor Hieben, Stichen oder auch vor Schüssen. Der Glaube an die Zauberhandlung des Festmachens ist schon sehr alt und begegnet uns bereits in den Sagen der griechischen Antike sowie des germanischen Altertums und des Mittelalters, man denke nur an die unverwundbaren Helden Achill und Siegfried. Die Hochzeit dieses Aberglaubens ist jedoch die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Zahlreiche Belege für die Handlung des Festmachens finden sich etwa in Grimmelshausens »Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch«. Später widmet sich insbesondere Gustav Freytag eingehend diesem Thema in seinen »Bildern aus der deutschen Vergangenheit«, die 1859 bis 1867 veröffentlicht wurden. Obwohl die Zauberhandlung des Festmachens bereits 1724 in den preußischen Kriegsartikeln verboten worden war, ließ sich der Glaube daran nicht ausrotten, und noch in der Zeit des Ersten Weltkriegs sind derartige Handlungen bezeugt, wie im »Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens« (Berlin 1927–1942) zu lesen ist.
Um sich festzumachen, wurden die kuriosesten Mittel eingesetzt: Von einem Stück Nabelschnur, einer Nachgeburt oder einem mit Menstruationsblut befleckten Hemd über die verschiedensten Kräuter und Pflanzenwurzeln bis hin zu Körperteilen von Tieren wie Wolfsauge, Maulwurfsherz oder Fledermauskopf, kaum etwas wurde nicht eingenommen oder bei sich getragen, um den eigenen Körper vor feindlichen Angriffen zu schützen und ihn unverwundbar zu machen (vgl. Bächtold-Stäubli: »Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens«, Bd. 2, Berlin 1930, Sp. 1356 ff.). Auch Zaubersprüche oder Teufelsanbetungen waren ein beliebtes Mittel, um sich hieb- und stichfest zu machen. Gustav Freytag berichtet in dem Kapitel über den Dreißigjährigen Krieg des oben genannten Werks z. B. über Menschen, die während des Abendmahls den Teufel anriefen und die Hostie dazu missbrauchten, sich festzumachen. Nach dem Empfang der Oblate nahmen sie diese wieder aus dem Mund und steckten sie in einen Schlitz unter die Haut, um sie dort mit dem eigenen Körper verwachsen zu lassen.
Die Zauberhandlung des Festmachens war oftmals nicht ungefährlich. So ging man mitunter davon aus, dass die Wirkung des Zaubers erst 24 Stunden nach dem Festmachen eintritt; wer vor diesem Zeitpunkt starb, gehörte dem Teufel. Außerdem nahm man an, dass der Zauber nicht den gesamten Körper schützt und dass bestimmte Körperteile nicht unverwundbar werden (vgl. Bächtold-Stäubli: »Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens«, Bd. 2, Berlin 1930, Sp. 1363). Ein Phänomen, das wir von dem Helden Achill, dessen Ferse ihm zum Verhängnis wurde, oder von Siegfried dem Drachentöter kennen, der durch sein Bad im Drachenblut unverwundbar wurde – mit Ausnahme einer Stelle an der Schulter, auf die sich während des Bades ein Blatt gelegt hatte.
Wenn wir heute die Wendung hieb- und stichfest gebrauchen, so denken wir sicher nicht daran, dass dahinter eine Zauberhandlung stehen könnte. Nur in übertragener Bedeutung ist die Wendung heute noch gebräuchlich. Dabei besteht die Gemeinsamkeit darin, dass etwas unangreifbar ist. Während es früher Personen waren, die durch das Festmachen gegen physische Angriffe geschützt waren, so sind es heute Aussagen, Beweise, Theorien o. Ä., von denen behauptet wird, dass sie unwiderlegbar und damit gegen argumentative Einwände geschützt seien.