28. Juni 2024

Wenn aus Sport Show wird: Die Sprache der Liveberichterstattung – und wie sie uns ködert

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Viele Fans hofften schon im Vorfeld der EM auf ein Sommermärchen 2024: mit gemeinschaftlichem Fußballschauen in Biergärten, auf Plätzen und Fanmeilen, mit jubelnden Zuschauerinnen und Zuschauern, vielen Toren, hupenden Autokorsos und einer Nationalelf, die es bis ganz nach vorn schafft. Rund um die EM wird ein mächtiges Medienspektakel veranstaltet, das Spannung pur vermitteln soll. Dabei ist die Sprache der Liveberichterstattung ein sehr wichtiges Instrument.

Dass Fußballgroßereignisse wie eine EM oder WM starke Publikumsmagneten sind, liegt auf der Hand. Für die Massenmedien sind sie ein Garant für hohe Einschaltquoten, und so ist auch die Wirtschaft bereit, beträchtliche Summen für Werbeminuten zu investieren – weswegen TV-Sender und Streamingdienste um die Übertragungsrechte kämpfen. Diese Kommerzialisierung des Sports hat Auswirkungen darauf, wie die Fußballgroßereignisse medial aufgezogen werden: Liveübertragungen werden in ein »ausgedehntes Rahmenprogramm eingebettet … Durch ein Spannung erzeugendes Vorprogramm und […] Sendungen nach der Liveübertragung mit Rückblenden, Portraits, Experten- und Sportlerinterviews gewinnt das Ereignis an medialem Volumen […]«, schreibt die Romanistin Kerstin Tränkle-Jung. Der Fußball sei demzufolge heute eine »große, bunte und spektakuläre Show«, und durch das Public Viewing bekomme die Liveübertragung noch mehr Erlebnischarakter (Jung 2009: 144).

Auch die Livekommentatoren tragen dazu bei, das Medienspektakel auszuschmücken. Interessant ist dabei, dass sich die Art und Weise der Berichterstattung je nach Land und Sprache erheblich unterscheidet: Im Vergleich mit spanischen und argentinischen Livekommentaren wirken deutsche Beschreibungen eher nüchtern, hat Kerstin Tränkle-Jung in einer vergleichenden Studie herausgefunden. Es treten längere Pausen auf und es geht in erster Linie um die »Erklärung und Bewertung von Spielsituationen und Taktiken«. Mehr Emotionalität und Dynamik weist hingegen die hispanische Fußballberichterstattung auf: „[…] die Kommentatoren sprechen fast unaufhörlich […] auch schneller und weitaus lauter.« Ihre Fußballkommentare ähneln eher einem deutschen Radiokommentar, stellte sie fest: »TV-Kommentatoren mit einem hispanischen kulturellen Hintergrund gehen nicht wie deutsche Kommentatoren davon aus, dass der Zuschauer im Bild sieht, was auf dem Platz passiert […], sie lassen das Fernsehbild nicht unkommentiert für sich sprechen und berichten exakt, was auf dem Spielfeld passiert.« (Jung 2009: 147)

Spanische und argentinische Sportreporter nutzen kreative sprachliche Mittel

Schaut man sich die sprachlichen Mittel im Detail an, so erscheinen die hispanischen Livekommentare spielerischer und kreativer als deutsche. Das zeige sich etwa durch Lautmalereien (Onomatopoetika), die in der hispanischen Liveberichterstattung öfter vorkommen und eine auflockernde, witzige Wirkung erzielen:

»Das Onomatopoetikon tiki-taka wurde von Andrés Montes, dem Kommentator des spanischen TV-Senders La Sexta, während der WM-Liveübertragungen kreiert und publik gemacht. Es malt den Klang des Fußballspiels nach, wenn die Fußballspieler mit nur einem Kontakt den Ball hin und her passen, und wird nunmehr als Begriff verwendet, um diesen präzisen und schönen Spielstil, den Mannschaften wie z. B. Brasilien an den Tag legen, lobend zu bezeichnen […].« (Jung 2009: 154)

Üblich seien auch Reime und Wortspiele sowie Superlative, um die Berichterstattung aus dem Stadion spannend zu gestalten (Jung 2009: 154 f). »Der Superlativstil dramatisiert […]. Es entsteht ein dynamischer und dramatischer Livekommentar, der die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf sich zieht.« (Ebd.: 155)

Gegenteilige Tendenzen ergibt die Analyse von deutschen Fußballkommentaren; nur bei der schriftlichen Berichterstattung zeigen die Deutschen wieder mehr sprachliche Kreativität: »In den deutschen Fußball-Livekommentaren kommen Wortspiele oder Reime nur im Ausnahmefall vor. In Deutschland lassen sich ähnliche Wortspiele oder Reime in der Sportberichterstattung z. B. in der Bild-Zeitung finden: Vor dem WM-Spiel Deutschland – Ecuador am 20.06.2006, lautete die Titel-Schlagzeile der Bild ›Deutschland vor, volles Rohr/Poldi, mach dein Ecua-Tor!‹ […] Während der Fußball-EM 2008 schrieb die Zeitung nach dem Spiel gegen Polen ›2:0/Podolski putzt die Polski‹ […], und vor der Partie gegen Kroatien ›Heute gegen Kroatien/Poldi, lass es KROAchen!‹« (Jung 2009: 154–155; Zitate nach www.bild.de, 20.06.2006, außerdem Bild-Zeitung, jeweils Ausgabe Rhein-Neckar, 09.06.2008 sowie 12.06.2008)

Quellen

Jung, Kerstin: »Fußball als Medienereignis: die mediale und sprachliche Inszenierung von Fußballevents als Sportspektakel.« In: Armin Burkhardt/Peter Schlobinski (Hgg.): Flickflack, Foul und Tsukahara. Der Sport und seine Sprache. Mannheim 2009 (= Duden, Thema Deutsch, Band 10), S. 143–159.

Müller, Jochen: Von Kampfmaschinen und Ballkünstlern. Fremdwahrnehmung und Sportberichterstattung im deutsch-französischen Kontext. Eine Presse- und Fernsehanalyse. St. Ingbert 2004.


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