Ausgabe: Der Sprachdienst 5/2012

Woher stammt der Name Hessen?

[F] Einige Namen der deutschen Bundesländer sind von den Namen der sie früher bewohnenden Volksstämme abgeleitet, so (Nieder-)Sachsen, Bayern und Thüringen. Wie aber steht es mit Hessen: Gab es auch einmal ein Volk dieses Namens?

© Ingo Steckhan

[A] In der deutschen Geschichte gab es zwar keinen Volksstamm, der ursprünglichen als die Hessen bezeichnet wurde. Dennoch geht man etwa seit dem 18. Jh. davon aus, dass die Bezeichnung Hessen tatsächlich vom Namen der dort ursprünglich siedelnden Bewohner abzuleiten ist, wenngleich diese Vermutung historisch wie linguistisch nicht ganz unumstritten und nicht zweifelsfrei nachweisbar ist (vgl. etwa »Duden. Geographische Namen in Deutschland«, Mannheim 1999; Johann Jakob Egli, »Nomina Geographica«, Hildesheim 1973, Nachdruck der Ausgabe 1893).

Auf dem Gebiet des heutigen Mittel- und Nordhessens lebte einst der westgermanische Stamm der Chatten (ausgesprochen nicht wie das Verb [tʃætn], sondern [xatən] mit ch wie in ach; teils – vgl. »Brockhaus Enzyklopädie«, 21. Aufl., Leipzig/Mannheim 2006 – auch als [katən]), dessen Name zwischen dem 1. und dem 3. Jh. n. Chr. in lateinischen Quellen als chatti nachzuweisen ist. Hernach verliert sich ihre Spur in den Quellen jedoch, und erst ab 738 ist die Bezeichnung hessi zu belegen (vgl. www.wikipedia.org, Artikel »Chatten«). Schon die Brüder Grimm (»Deutsches Wörterbuch«, Leipzig 1854) gingen davon aus, wie heutzutage viele Historiker, dass zwischen den Chatten und den Hessen eine Kontinuität besteht, dass sie also identisch sind, wenngleich eine direkte Nachkommenschaft wohl nicht belegbar ist. Somit ist, wie bereits angedeutet, anzunehmen, dass der Name Hessen direkt von der lateinischen Bezeichnung für das Volk der Chatten abzuleiten ist. Ein solcher Zusammenhang lässt sich anhand eines kurzen Blicks in die sprachgeschichtliche Entwicklung erklären.

Etwa zwischen dem 5. und dem 9. Jh. n. Chr. fand die sogenannte Zweite oder althochdeutsche Lautverschiebung statt, die eine Verschiebung von t (über zz) zu s bewirkte (vgl. altsächsisch ëtan, ahd. ëzzan, nhd. essen oder heute noch engl. water > dt. Wasser) und dadurch die Wandlung der Bezeichnung von chatti über hazzi zu hassi plausibel macht. Dass sich der Anlaut ch zu h änderte, lässt sich indes nicht durch eine Lautverschiebung erklären; stattdessen ist davon auszugehen, dass die Schreibung mit h die althochdeutsche Form wiedergibt, denn auf dieser sprachgeschichtlichen Entwicklungsstufe wurde der Buchstabe gemeinhin als [x], also als ch wie in ach, gesprochen (»Geschichte der deutschen Sprache«, Berlin 1970). Deutlich wird dies auch durch den Namen des Chattenstammes Chattuarii (lat.), dessen althochdeutsche Schreibung als hattuarii bzw. hazzoari belegt ist (vgl. Johann Kaspar Zeuss, »Die Deutschen und die Nachbarstämme«, München 1837; Günter Neumann, »Namenstudien zum Altgermanischen«, Berlin 2003). So wurde aus der ursprünglich lateinischen Bezeichnung chatti über hatti schließlich hazzi und hassi. Der Wechsel des Stammvokals von a zu e lässt sich wahrscheinlich dadurch erklären, dass in lateinischen Quellen gleichermaßen von hassi, hassii – ab dem 10. Jh. war der Landesname Hassia – und hessi, hessii gesprochen wird (vgl. Grimm, »Deutsches Wörterbuch«).

Zwar ist die Herkunft des Namens Chatten ungeklärt, doch gibt die Brockhaus-Enzyklopädie seine Bedeutung mit ›Leute der großen Weidewälder‹ an. Bahlow hingegen vermutet hinter dem Bestandteil Hass– die Bedeutung ›Sumpf-, Moor-, Riedlandschaft‹ und interpretiert auch den Namen Hessen (alias Hassia) entsprechend (Hans Bahlow, »Deutschlands geographische Namenwelt«, Frankfurt am Main 1965).

Wie erwähnt ist eine solche Deutung des Landesnamens Hessen jedoch umstritten und daher mit Vorbehalt zu begutachten. Es gibt darüber hinaus einige abweichende Vermutungen über den Zusammenhang zwischen Chatten und Hessen, die ebenso die Bedeutungsgleichheit der beiden Bezeichnungen hervorheben. So argumentieren etwa die Brüder Grimm, die Wurzel hat sei beiden Bezeichnungen gemein: Das gotische hatan und hatjan ›verfolgen, hassen‹ im Chattennamen und die verwandten Ausdrücke altnord. hetja ›Held‹ sowie angelsächsisch hetend, hettend ›Krieger‹ einerseits würden in einem Sinnzusammenhang stehen mit den gotischen Wörtern hatis ›Verfolgung‹ bzw. hasz, hatizôn ›zürnen‹ andererseits, auf die sich Hessen zurückführen lasse.

Einen Zusammenhang mit dem Wort Katze, für den einige Forscher eintraten (etwa F. Ritter in den »Bonner Jahrbüchern« 36/1863; nach Johann Jakob Egli, »Nomina Geographica«), wollen die Brüder Grimm hingegen nicht annehmen: Die Redensart ein blinder Hesse (heutzutage zwar in einigen Nachschlagewerken noch verzeichnet, aber doch relativ unbekannt), die dieser fragwürdigen Argumentation zugrunde liegt, lasse sich nicht dadurch erklären, dass Katzen blind zur Welt kommen und ihre Bezeichnung eine lautliche Ähnlichkeit zum Namen der Chatten aufweise.

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