Ausgabe: Der Sprachdienst 5-6/2019

Ist verzichtbar eine Fehlbildung?

Verzichtbar. CC-Lizenz

[F] Der Ausdruck verzichtbar ist m. E. eine Fehlbildung der deutschen Sprache. Das Verb verzichten kennzeichnet eine Handlung, der Gegenstand, auf den verzichtet wird, wird durch die Präposition auf angeschlossen. Der Lohn wäre also nur dann verzichtbar, wenn ich ihn verzichten könnte – aber hier fehlt das auf. Wie ist Ihre Einschätzung?

[A] Ihre Beobachtung ist richtig: Adjektive auf -bar werden heute fast ausschließlich zu transitiven Verben gebildet. Transitiv sind Verben dann, wenn sie ein Akkusativobjekt regieren und mit ihnen ein Passivsatz gebildet werden kann (z. B. binden: Ich binde die Blumen, die Blumen werden von mir gebunden). Dabei gibt das Suffix -bar an, was mit der im Bezugsausdruck genannten Person oder Sache getan werden kann (lieferbare Waren sind Waren, die geliefert werden können, befahrbare Wege sind Wege, die befahren werden können).

Es gibt allerdings auch eine Reihe von –bar-Adjektiven, die zu intransitiven Verben gebildet sind. Als intransitiv bezeichnet man Verben, bei denen kein Akkusativobjekt stehen kann (z. B. kommen, helfen; manche Verben haben sowohl eine intransitive als auch eine transitive Variante, z. B. Das Gemüse kocht (intransitiv) gegenüber Er kocht das Gemüse (transitiv)). Verfügbare Mittel sind also Mittel, über die verfügt werden kann, unverzichtbare Forderungen sind Forderungen, auf die nicht verzichtet werden kann. Zu dieser Gruppe gehört auch das von Ihnen thematisierte Beispiel verzichtbar.

Aus dem intransitiven verzichten entstand also das Adjektiv verzichtbar. Ein Vorteil dessen – aber auch aller anderen Bildungen auf –bar – ist die Sprachökonomie: Mit weniger Aufwand und Zeit lässt sich »Die Firma stellt abwaschbare Tapeten her« sagen/schreiben als »Die Firma stellt Tapeten her, die abgewaschen werden können«. Aus diesem Grund sind die –bar-Adjektive sehr beliebt und werden häufig gebraucht. Allerdings sind sie zu intransitiven Verben weitgehend blockiert: Die Ausnahmen, die existieren (und dazu gehört verzichtbar) sind meist ältere oder fachsprachliche Adjektive.

Aus unserer Sicht handelt es sich bei den Wörtern verzichtbar und unverzichtbar um spezielle Fälle in der Gruppe der –bar-Adjektive, die allerdings nicht vermieden werden müssen. In der deutschen Sprache existieren viele Ausnahmen von festgelegten Normen und nicht immer ist nachzuvollziehen, wie und weshalb sie sich entwickelt haben. Doch gerade das macht unsere Sprache auch so interessant. Sie entwickelt sich fortwährend weiter und was sich durchsetzt, was angenommen und abgelehnt wird, entscheidet allein die Sprachgemeinschaft durch Verwendung oder Vermeidung bestimmter Wörter und Konstruktionen.