Muttersprache 3/2005

Wichter, Sigurd
Reihen. Folgen aus Gesprächen und Textkommunikaten. Zur Modellierung der gesellschaftlichen Kommunikation (Teil 1)

Nehmen wir an, dass wir eine komplexere sprachliche Interaktion vorhaben, etwa den Kauf eines Autos nach sorgfältigem Markenvergleich oder irgendeinen aufwendigen Kontakt mit einer Behörde. Dann gilt frei nach einer bekannten Trainerweisheit: Nach dem Gespräch ist vor dem Gespräch, nach dem Text ist vor dem Text. In sehr vielen Fällen ist also das, was man letztlich bezweckt, nicht durch ein einziges Gespräch oder durch die Übermittlung eines einzigen Textes erreichbar, sondern nur durch eine Folge von – dialogischen – Gesprächen und bzw. oder – monologischen – Textübermittlungen, kurz: durch eine Folge von Kommunikaten. Der Abschluss, der durch ein Gesprächs- bzw. Textende gegeben ist, ist also auf die ganze Interaktion gesehen relativ. Erst die Folge der Kommunikate, kurz: erst die Reihe ist das, was in der Eigenperspektive der sprachlich Handelnden als Ganzes zählt. Erst die Reihe ist handlungspraktisch die grundlegende Perspektive. Soweit ich sehe, ist auch der Diskurs im Sinn einer gesellschaftsweiten Behandlung eines Themas nichts anderes als eine Reihe, wenn auch eine höchst komplex vernetzte natürlich, so dass über der Ebene von Gespräch und Textkommunikat als höchste Ebene die der Reihen anzusetzen wäre. Da die folgenden Ausführungen etwas umfangreicher sind, erfolgt der Abdruck in zwei Teilen; die Veröffentlichung von Teil 2 ist für die Dezemberausgabe der Muttersprache (Heft 4/05) vorgesehen.

Let us assume that we are intending to carry out a relatively complex verbal interaction, such as buying a car after carefully comparing different makes or raising an issue with a local authority. In such cases, after the conversation is before the conversation, and after the text is before the text – to adapt a phrase popular with sports coaches. This means that in very many cases one’s aims cannot actually be achieved through a single conversation or a single written text but only through a series of conversations (dialogues) or a series of texts (monologues), in short, through a series of communicates. In the context of the entire interaction the closure that is achieved through ending a conversation or text is thus of a merely relative nature. It is only the sequence of communicates, the series, which counts as a complete whole for the persons conducting the verbal action and which forms the basic perspective for a pragmatic approach. As far as I can see, discourse in the sense of the society-wide discussion of a specific topic is in fact also such a series, albeit naturally one with highly complex interconnections, so that the series as a level would have to be placed above the level of conversation and text communicate. As the following discussion is relatively extensive, it will be printed in two parts; part two is to be published in the December issue of Muttersprache (issue 4/05).

Liebsch, Helmut
Das »Erlkönig«-Thema und seine Varianten in der Gegenwart. Soziokulturelles Wissen und Verstehensprozesse

Der erste Teil dieses Beitrags beschäftigt sich mit theoretischen Fragen der Kommunikation, speziell dem Kontext und dem soziokulturellen Wissen. Der praktische Teil untersucht aktuelle Varianten von Goethes Ballade »Erlkönig« als Travestien. Die Analyse sprachlicher Details zeigt, dass soziokulturelles Wissen die Voraussetzung für ein gültiges Verstehen von Texten ist. Den Abschluss bildet eine »Erlkönig«-Parodie als Kontrast.

The first part of this article focuses on theoretical problems of communication, particularly on context and socio-cultural knowledge. The practical part discusses modern variations of Goethe’s poem »Erlkönig« as travesties. The analysis of linguistic features demonstrates that socio-cultural knowledge is a precondition for an adequate interpretation of texts. Finally, by way of contrast a parody of »Erlkönig« is presented.

Braun, Peter
Die Assimilation im Deutschen und in anderen Sprachen

In allen Epochen der Geschichte lässt sich in fast allen Sprachen das Phänomen der »Sprachen in Kontakt« mit Tausenden von Lehnwörtern beobachten. In früheren Zeiten wurden viele Lehnwörter vollständig assimiliert: lat. planta: dt. Pflanze; lat. vinum: dt. Wein, engl. wine, ndl. wijn, frz. vin, ital./span. vino. Wie man an vielen Sprachen zeigen kann, werden moderne Lehnwörter, besonders solche aus der Gebersprache Englisch, weniger oder gar nicht eingedeutscht. Den jungen Leuten von heute ist die englische Sprache vertrauter, Englisch scheint ihre zweite Kommunikationssprache zu sein; daher hat der Fremdheitscharakter abgenommen. Die meisten Untersuchungen über Assimilation und Integration beziehen sich auf die Ebenen der Aussprache und der Schreibung; Grammatik und Wortbildung werden weniger beachtet. Wenn man moderne Lehnwörter wie chatten, mailen, surfen auf allen Ebenen untersucht, so stößt man auf differenziertere Ergebnisse.

In all periods of history the phenomenon of »languages in contact« with its thousands of loanwords can be noticed in nearly all languages. In former times many loanwords were completely assimilated: Lat. planta: Germ. Pflanze; Lat. vinum: Germ. Wein, Engl. wine, Dutch. wijn, Fr. vin, Ital./Span. vino. Today’s loanwords, especially those of the English donor language, are less or not assimilated. Nowadays, young people know much more about the English language, English seems to be their second communication medium; hence the sense of strangeness has decreased. Most studies on assimilation refer to the levels of pronunciation and spelling and do not regard grammar and word-formation. If you investigate modern loans as chatten, mailen, surfen on all levels, you will get more differentiated results.

Aktaş, Tahsin
Schwierigkeiten türkischer Deutschlerner/-innen beim Erwerb grammatischer Strukturen

Im Rahmen einer vergleichenden Gegenüberstellung von Strukturmustern des Deutschen und des Türkischen verdeutlicht der Beitrag die besonderen Schwierigkeiten, mit denen türkische Lerner/-innen beim Erwerb der deutschen Sprache konfrontiert sind. Im Anschluss daran werden mögliche unterrichtspraktische Konsequenzen skizziert.

By comparing essential grammatical structures of German and Turkish, this study explains the specific problems that Turkish learners of German are confronted with. In the last chapter, possible methodical consequences for teaching German are presented.

Zengin, Dursun
Motivationen bei der Vornamenauswahl im Deutschen und im Türkischen

Die vorliegende Studie versteht sich als ein Beitrag zur kontrastiven Namenforschung. Untersuchungsgegenstand sind die Motivationen, die die Auswahl von Vornamen im Deutschen und im Türkischen beeinflussen. Die Benennungsmotivationen werden dabei zunächst – jeweils für sich – anhand von Namenbeispielen untersucht. Den Abschluss des Beitrags bildet eine vergleichende Gegenüberstellung der ermittelten Motivationen.

This study offers a contribution to comparative onomastics. It deals with the motivations that influence German and Turkish parents when they go through the process of finding a first name for a newborn child. In the first part of the paper, these motivations – first those of German, then those of Turkish parents – are analyzed and illustrated with the help of examples. The last part of the study contains a summarizing comparison of the outlined motivations.

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