Ausgabe: Der Sprachdienst 5/2009

Woher stammt der Ausdruck Schattenkabinett und was bedeutet er?

[F] Seit dem »Brexit« hören wir ihn – gefühlt – häufiger als vorher: Wie ist der Ausdruck Schattenkabinett zu erklären? Die uns zugänglichen Nachschlagewerke vermerken nur die Bedeutung, etwa in dem Sinne, dass die parlamentarische Opposition für den Fall des Regierungswechsels verschiedene Personen für das künftige Kabinett bestimmt hat.

© CC-Lizenz

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[A] In unserer Dokumentation zur Gegenwartssprache findet sich ein Beleg aus dem Jahr 1981, in dem darauf verwiesen wird, dass es im britischen Parlament seit Ende des 19. Jahrhunderts üblich sei, dass die jeweilige Opposition die Mitglieder ihrer Führungsmannschaft nach Ressortzugehörigkeit aufteilt und der Regierung als sogenanntes Schattenkabinett gegenüberstellt (aus der Zeitschrift Das Parlament, 22/1981), es werden also sozusagen Schattenministerien mit Schattenministern gebildet. Sobald ein Regierungswechsel stattfindet, können die offenen Positionen im Kabinett dann durch die Positionen des Schattenkabinetts besetzt werden. Tatsächlich gibt es im Englischen den Ausdruck shadow cabinet: »a cabinet formed by Opposition leaders« (The Shorter Oxford English Dictionary, 1959), der z. B. von Keith Spalding als Basis für Schattenkabinett angeführt wird (An Historical Dictionary of German Figurative Usage, 1991). So wäre Schattenkabinett als Anglizismus, als Lehnübersetzung zu betrachten.

Freilich gibt es einige angestammte Wörter mit ähnlicher Bedeutung, die sich ohne Beziehung zum Englischen darstellen: Lutz Röhrich nennt in seinem Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten (1991) den Schattenmann: »keine geachtete Persönlichkeit sein, einen Namen ohne Kraft, einen Titel ohne Macht führen, nicht für ›voll genommen‹ werden«, und im »Grimm«: Deutsches Wörterbuch (Band 8, 1893) finden sich u. a. Schattengröße: ›scheinbare, trügerische Größe‹, Schattenkönig: ›ein König nur dem Namen nach‹, Schattenkrieg: ›Scheinkrieg‹.

In der Politologie übrigens wird offenbar in der Regel von Regierungsmannschaft gesprochen. Im Archiv der Gegenwart. Deutschland 1949–1999 (St. Augustin 2000) z. B. wird Schattenkabinett nur ein paarmal mit Blick auf die Jahre 1975, 1988, 1994 gebraucht, während Regierungsmannschaft viel häufiger ist; in der Presse allerdings kommt Schattenkabinett als bildhafter Ausdruck nicht selten vor. Manchmal findet sich auch die Formulierung, man wolle kein Schattenkabinett vorstellen, sondern eine Mannschaft (Regierungsmannschaft) bilden – Schattenkabinett wird also anscheinend hierzulande als abwertend verstanden, während es in Großbritannien mit Selbstverständlichkeit verwendet und akzeptiert wird.