Der Sprachdienst 6/2020

Von Afterweisheiten, Ansteckärmeln und Angstmännern – Unterhaltsame Geschichten rund um vergessene Wörter

Zum Buch

Peter Graf
Was nicht mehr im Duden steht. Eine Sprach- und Kulturgeschichte, 2018
Hardcover, 176 Seiten, ISBN: 978-3-411-70384-5

Ein spannendes zeit- und kulturhistorisches Panorama eröffnet sich unter diesem neuen Blickwinkel auf das berühmte Wörterbuch: Es wird einmal nicht beleuchtet, welche Wörter neu aufgenommen werden, sondern nach dem Gegenteil gefragt. Abecedieren, beleibzüchtigen, Flugmaschine, Nashornvogel, Nörgelfritz und Entvolkung – diese Wörter stehen beispielsweise nicht mehr im Duden. Wann und warum wurden sie entfernt? In diesem kleinen Büchlein finden Sie die Antworten auf diese und weitere Fragen rund um unseren Wortschatz.

Hinweis: Für eine Rezension in diesem Heft zu spät erschien parallel zum Rechtschreib-Duden eine aktualisierte Auflage dieses Buches.

In Was nicht mehr im Duden steht: Eine Sprach- und Kulturgeschichte, erschienen 2018 im Dudenverlag Berlin, widmet sich der Lektor und Verleger Peter Graf in 20 Essays dem soziohistorischen Hintergrund gestrichener Wörter des Rechtschreibdudens.

Eingeleitet wird der kleine Band von der Dudenredaktion selbst, die neben einem kurzen Abriss der Geschichte des Rechtschreib-Dudens wertvolle Einblicke in ihre computerlexikografische Arbeitsweise bietet: Aufgenommen in den Band 1 der Duden-Reihe werden Wörter, die von Sprecher(inne)n aktiv gebraucht werden. Ob das der Fall ist, wird heute mithilfe großer Sprachdatensammlungen überprüft. Gestrichen werden Wörter, die außer Gebrauch geraten, weil sie von anderen verdrängt werden – z. B. Afterweisheit von Pseudoweisheit oder Angstmann von Henker – oder ihr Denotat (bezeichneter Gegenstand oder Sachverhalt) nicht mehr existiert, wie im Falle der außer Mode geratenen Ansteckärmel.

Listen solcher Streichungen sind Grundlage der thematischen Essays von Peter Graf. Diese beinhalten kurzweilige Anekdoten, z. B. über vergessene Modesünden wie den Autocoat (kurzer Mantel für Autofahrer) und den Etonhaarschnitt (besondere Form des Bubikopfs), kulinarische Schätze à la Punschbowle und Exportbier sowie längst überholte technische Innovationen wie den Selbstwählferndienst (Fernsprechverbindung ohne Vermittlung) oder die Adrema® (Adressiermaschine). Amüsant ist der kurze Blick in die Liste gestrichener Schimpfwörter wie Tellerlecker, Zärtling und Buschklepper, die in der Vergangenheit den ein oder anderen handfesten Streit ausgelöst haben könnten. Ergänzt werden solche Geschichten durch thematisch verwandte zeitgenössische Illustrationen, beispielsweise von Amateurboxern, Tanzgirls und Landlords, aus der 2. Auflage des Duden-Bildwörterbuchs (1958). Abschluss jedes Kurzkapitels bildet eine Auswahl gestrichener Wörter inklusive Streichungsjahr und -auflage. Neben seichteren Themen nähert sich Graf auch »Schwergewichten« deutscher Geschichte wie dem Kolonialismus, dem Nationalsozialismus und der Frauenrechtsbewegung, was an mancher Stelle nicht nur aufgrund des anekdotisch-ironischen Stils misslingt. Eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung mit kulturhistorischen Hintergründen bleibt teilweise aus.

Abgesehen von kleineren Schwächen bietet die Essaysammlung sprachhistorisch Interessierten einen unterhaltsamen Rundgang durch den Wortschatzwandel des 20. und 21. Jahrhunderts. Im Deutschunterricht könnte der Band Schüler(inne)n den Einstieg in die Sprachgeschichte des Deutschen erleichtern. Darüber hinaus wirkt die Dudenredaktion mit der Herausgabe von Was nicht mehr im Duden steht Sprachverfallsängsten entgegen, indem sie das gesellschaftliche Bewusstsein und Verständnis dafür fördert, dass Sprache – hier in Form von Lexik (Wortschatz) – lebendig und in ständigem Wandel ist.

Anne Rosar

Übrigens

Das Wort Adrema weist wortbildungsseitig eine interessante Struktur auf: Es ist aus Buchstabenteilen der Vollform Adressiermaschine zusammengesetzt, die im Kurzwort silbisch sind. Aus diesem Grund wird es als Silbenkurzwort bezeichnet

Anne Rosar