Genus und Numerus von Agenda
[F] Seit einiger Zeit ärgere ich mich über den Gebrauch des Wortes Agenda. Immer ist von einer Agenda als femininer Singularform die Rede. Dabei ist das doch falsch, da agenda ursprünglich ein lateinisches Gerundivum im Neutrum Plural ist. Liege ich mit dieser Einschätzung richtig?
[A] Jein. Richtig ist zweifellos, dass agenda im Lateinischen eine Gerundivumsform im Neutrum Plural zum Verb agere (›tun, handeln‹) ist. Das auch Verbaladjektiv genannte Gerundivum im Singular agendum bezeichnet ›etwas, das zu tun ist‹, im Plural dann etwa ›die Menge aller Dinge, die zu tun sind‹. Neben dieser sehr allgemeinen Bedeutung bekam die Form agenda im christlichen Kontext eine speziellere Bedeutung als eine Sammlung von Handlungsanweisungen für den Gottesdienst. Gewissermaßen als metaphorische Übertragung bezeichnete agenda jedoch nicht nur die Sammlung von Anweisungen, sondern auch ein Buch, das diese Anweisungen enthielt. Es ist also dort bereits zu beobachten, dass das Wort agenda sowohl pluralisch eine Menge von Dingen (die Anweisungen) als auch singularisch einen einzelnen Gegenstand (das Anweisungsbuch) bezeichnen kann.
Das schlägt sich bereits im Mittellateinischen auch sprachlich nieder. So verzeichnet das Mittellateinische Wörterbuch der Bayerischen und Deutschen Akademie der Wissenschaften (München 1967) zum einen agendum als ›gottesdienstliche Handlung‹ und gibt für den Plural die Bedeutung ›Messkanon‹ an. Zum anderen aber wird mit mehreren Belegen ab dem 11. Jh. agenda (Genitiv Singular: agendae) als feminines Nomen im Singular angegeben, u. a. in der Bedeutung ›Gottesdienstordnung, Messbuch‹. Insofern handelt es sich beim singularischen Gebrauch der Form agenda also durchaus nicht um eine Entwicklung jüngerer Zeit.
Allerdings kennen ältere deutsche Wörterbücher Agenda zumindest nicht als deutsches Wort. Im Wörterbuch der Brüder Grimm taucht es bspw. in der Erläuterung des Eintrags taufbuch auf, Adelungs Wörterbuch führt als eine eingedeutschte Form Agende, auf mittellat. Agenda zurückgehend. In Dudens Orthographischem Wörterbuch ist in der ersten Auflage von 1880 ebenfalls nur Agende aufgeführt, bereits in der dritten und »vermehrten« Auflage findet sich daneben Agenda, allerdings mit dem Hinweis, dass es sich um einen lateinischen Plural handelt. Erst ab 1934 wird Agenda als feminines Substantiv ohne diesen Hinweis aufgeführt.
Das Wort Agenda war also im Deutschen lange Zeit wenig geläufig und wurde lange als wirkliches Fremdwort empfunden, anders etwa als im Französischen oder Italienischen, wo es gegenüber dem Mittellateinischen eine Bedeutungserweiterung erfahren hat und jede Art von Notizbuch oder Tagebuch bezeichnet. Die Geläufigkeit des Wortes Agenda im Deutschen hat sich dabei in jüngster Zeit auffallend verändert. Ob »Agenda 2010«, »deutsche G8-Agenda« oder die »territoriale Agenda der Europäischen Union«, insbesondere in der Politik begegnet man der Agenda auf Schritt und Tritt. Dies ist sicherlich eine aktuelle sprachliche Modeerscheinung. Solchen Moden kann man durchaus kritisch gegenüberstehen, aber falsch ist der aktuelle Gebrauch von Agenda nicht, wie ein Blick auf die Geschichte des Wortes zeigt.