Ausgabe: Der Sprachdienst 5-6/2019

Einblick in die Sprachberatung der GfdS

Von Annika Hauzel, Lutz Kuntzsch und Frauke Rüdebusch

© GfdS

Ein wichtiges Aufgabengebiet der Gesellschaft für deutsche Sprache ist die Sprachberatung für Mitglieder und Nichtmitglieder, für Menschen aus dem Inland und aus dem Ausland, für Muttersprachler genaus wie für jene, die Deutsch als Fremdsprache lernen. Dabei sind wir tagtäglich mit den unterschiedlichsten Fragestellungen und Aufgaben konfrontiert, an denen wir Sie in diesem Aufsatz einmal teilhaben lassen möchten.

Ein Tag in der Sprach- und Vornamenberatung

Vielleicht gehören Sie zu denjenigen, die schon einmal Kontakt zu unserer Sprach­beratung hatten. Möglicherweise haben wir schon des Öfteren miteinander kom­muniziert. Aber haben Sie sich schon einmal gefragt, was hinter den Kulissen bei uns passiert? Im Folgenden begleiten Sie uns an einem exemplarischen Tag bei unserer alltäglichen Arbeit in der Sprach- und Vornamenberatung:

7.30 Uhr, Beginn der Bürozeit

Die drei Mitarbeitenden der Sprach- und Vornamenberatung, Dr. Lutz Kuntzsch, Frauke Rüdebusch und Annika Hauzel, erreichen nachein­ander das Büro. Die erste Stunde des Arbeitstages ist in der Regel ruhig, da der Telefonservice erst um 8.30 Uhr beginnt – theoretisch, denn das kostenpflichtige Telefon hält sich nicht immer an die Kernzeit. Diese Zeit nutzen die Sprachberaterinnen und der Sprachberater, um eingegangene E-Mails zu prüfen, die anstehenden Aufgaben des Tages zu planen und bereits kleinere Din­ge, für die unter Umständen eine besondere Konzentration nötig ist, abzuarbeiten. Nummer 1 auf der Agenda: Kaffee kochen.

7.45 Uhr, das E-Mail-Postfach zeigt fünf neue Nachrichten

Frau Rüdebusch sieht, dass einige E-Mails im Postfach der Sprachbe­ratung eingegangen sind. Ein Mitglied der GfdS hat in einem Buch ein merkwürdiges Zeichen entdeckt, das nicht zu deuten ist, und schickt eine Zeichnung mit. Frau Rüdebusch sieht es sich an und erkennt da­rin ein &, ein Et-Zeichen oder Kaufmanns-Und. Je nach Alter des Tex­tes, nach Typografie oder künstlerischer Auslegung kann dieses ganz un­terschiedliche Formen annehmen. Mit diesem Zeichen kennt sie sich aus, denn sie hat dazu bereits einen ausführlichen Text für die Rubrik »Fragen und Antworten« im Sprachdienst und auf der Internetseite der GfdS verfasst.1 So verfahren wir häufig mit Fragen, die aus unserer täglichen Arbeit entstehen und die auch für andere Mitglieder und Sprachinteressierte aufschlussreich sein könnten: Sie werden in der Rubrik »Fragen und Ant­worten« für alle Leser/-innen veröffentlicht. Nachdem Frau Rüdebusch dem Mitglied geantwortet hat, nimmt sie die Anfrage in ihre Liste auf.

Jede Sprachanfrage, egal ob mündlich oder schriftlich, wird von den Mitarbeiten­den in der Sprachberatung erfasst. Bei den mündlichen Anfragen gibt es dafür eine handschriftliche Liste, in der jede Anfrage mit Datum und Fragedetails no­tiert wird, außerdem der Hintergrund des oder der Anfragenden (Privatperson, Behörde, Wirtschaft, Medien, …) und das Geschlecht. Indem jede Frage einer spe­zifischen sprachwissenschaftlichen Kategorie zugeordnet wird, kann diese Erfas­sung schließlich in größerem Umfang ausgewertet werden. Auf diese Weise ha­ben wir zu Beginn des Jahres eine statistische Auswertung unserer schriftlichen und mündlichen Sprachanfragen veröffentlicht und sie in einen diachronen Ver­gleich bringen können.2 Es stellte sich unter anderem heraus, dass die schriftliche Sprachberatung in den letzten 15 Jahren vorwiegend von Privatpersonen genutzt wurde, während bei der telefonischen Dienstleistung beruflich motivierte Anfra­gen überwogen.

8.30 Uhr, Beginn der Kernzeit

Nun beginnt offiziell auch die telefonische Beratungszeit. Im Sekre­tariat gehen die Anrufe der Mitglieder ein, die für eine Sprachbera­tung an einen verfügbaren Mitarbeitenden durchgestellt werden. Doch auch Nichtmitglieder können sich von uns beraten lassen, indem sie eine kostenpflichtige Telefonnummer wählen, unter der sie direkt mit einem unserer Fachleute verbunden werden. Ebenso können Eltern unter dieser Nummer Vornamengutachten für das Standesamt in Auftrag geben.

Die Erfahrung zeigt, dass Mitglieder – für die eine Beratung ja kostenfrei ist – Fragen stellen, die ausführlichere Antworten mit teilweise umfangreicherer Re­cherchezeit erfordern. Oftmals nutzen sie ihren Anruf auch, um, z. B. bei Textkor­rekturen, viele gesammelte Fragen zu stellen, und scheinen mehr diskutieren und selbst von ihrem Sprachgefühl und Eindruck zu bestimmten Themen erzählen zu wollen. Anrufe auf dem kostenpflichtigen Telefon hingegen werden in der Regel kurzgefasst: Es werden zumeist nur wenige Fragen gestellt, die schnell zu beant­worten sind, lange Gespräche kommen – wohl aus Kostengründen – eher selten vor. Doch auch hier sind Recherchen manchmal unerlässlich: In solchen Fällen werden die Anrufenden gebeten, sich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu melden. Bei Mitgliedern rufen die Sprachberaterinnen und der Sprachberater auch selbst zurück.

8.35 Uhr, Dr. Lutz Kuntzsch beantwortet den ersten Telefonanruf

Das Sekretariat stellt den Anruf eines Mitglieds durch. Am Apparat ist eine Lektorin, die einige gesammelte Fragen zu einem neuen Werk hat, das sie derzeit überarbeitet.

Zunächst möchte sie wissen, ob das Wort anderer in ihrem Beispiel­satz Kein anderer übertraf je seinen Geschwindigkeitsrekord groß- oder klein­geschrieben werden muss. Herr Kuntzsch antwortet ihr, dass andere im All­gemeinen kleingeschrieben wird, selbst in Verbindung mit einem Artikel. Bei einer Substantivierung und wenn hervorgehoben werden soll, dass an­dere nicht auf eine unbestimmtes Gruppe oder Person verweist, ist neben der Kleinschreibung aber auch die Großschreibung möglich (vgl. Duden – Die deutsche Rechtschreibung, 27. Aufl. Mannheim 2017 und Duden – Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle, 8. Aufl. Mannheim 2016). Aus diesem Grund ist im Beispielsatz beides korrekt, allerdings empfiehlt der Duden die Kleinschreibung.

Oft wünschen sich die Ratsuchenden bei sprachlichen Varianten, die der Duden parallel als korrekt einstuft, eine klare Empfehlung für eine der Möglichkeiten. Dass es einen Entscheidungsspielraum gibt, ist nicht für alle Anfragenden leicht hinzunehmen. Besonders Deutschlehrende verlangen in Fällen mit mehreren Möglichkeiten nach Eindeutigkeit.

Auch die Kommasetzung vor wie bereitet der Lektorin gelegentlich Schwie­rigkeiten. So fragt sie, ob beim Satz Es passierte so, wie er es prophezeit hatte ein Komma notwendig ist oder fakultativ gesetzt werden kann. Da das wie in ihrem Fall zwei Teilsätze miteinander verbindet, erklärt Herr Kuntzsch, ist laut Duden ein Komma notwendig. Fungiert wie als Verbindung von Satzteilen (Marie ist so schnell wie Benjamin), steht kein Komma. Ein Komma ist freigestellt bei mit wie angeschlossenen näheren Erläuterungen, die keine Sätze sind (In manchen Städten(,) wie beispielsweise Köln und Düsseldorf(,) war von dem Unwetter nichts zu spüren) (vgl. Duden – Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle, 8. Aufl. Mannheim 2016).

Bei ihrer letzten Frage geht es um die Endung -phon/-fon. Die Lektorin erkundigt sich, welche Bedeutung diese Silbe hat und wie sie herzuleiten ist. Herr Kuntzsch erklärt ihr, dass das Bestimmungswort –phon/-fon die Bedeutung ›Laut, Ton, einen Laut/Ton betreffend‹ trägt und in Zusammensetzungen wie Grammofon und Saxofon zu finden ist (Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Aufl. Mannheim 2012). Die Silbe stammt vom griechischen phōné ›Stimme, Klang, Laut‹.

Beim Eintragen der Sprachanfragen in die Liste der sprachwissenschaftlichen Kategorien fällt Lutz Kuntzsch bei der dritten Frage zu -phon/-fon eine eindeutige Zuordnung schwer. Daraufhin fragt er bei seinen beiden Kolleginnen nach und zusammen beschließen sie, dass die Anfrage sowohl zur Kategorie Etymologie (Herkunft und Geschichte der Wörter) als auch zur Kategorie Semantik (Bedeutung) passt und er beide notieren soll. Auch die Kategorie Fremdwörter käme in Frage, ist aber nach gemeinsamer Einschätzung als eher sekundär zu betrachten.

8.45 Uhr, eine dringende E-Mail

Es geht die eilige E-Mail einer Redakteurin ein, die Mitglied bei der GfdS ist. Sie hat folgende Sprachanfrage: »Wir haben mal wieder einen Problemfall, der in unserer Redaktion gerade heiß diskutiert wird und für den wir bis 10 Uhr eine Entscheidung bräuchten: Key-Player, Key Player oder Keyplayer – welche Schreibweise ist Ihrer Meinung nach richtig?«

Annika Hauzel übernimmt die Beantwortung dieser Frage und schreibt der Redakteurin: »Komposita mit zwei oder mehr substantivischen Bestandteilen werden im Deutschen mit Bindestrich oder zusammengeschrieben. Im Englischen hingegen kommt häufig auch die Getrenntschreibung vor. Dort finden sich beispielsweise nebeneinander house arrest, house-warming und housework.«

Die Getrenntschreibung solcher Anglizismen ist für das Deutsche nicht (mehr) üblich. Stattdessen wird die Zusammenschreibung oder Bindestrichschreibung vom Duden empfohlen (z. B. Beat-Generation, Beatgeneration; Cherry-Brandy, Cherrybrandy). Insbesondere bei Komposita mit komplexeren Bestandteilen rät der Duden zur Schreibung mit Bindestrich (z. B. lieber Assessment-Center als Assessmentcenter und lieber Desktop-Publishing als Desktoppublishing).

Frau Hauzel schreibt weiter: »In Ihrem Fall würden wir uns auch der Empfehlung des Dudens anschließen und entweder Key-Player oder Keyplayer vorschlagen. Aufgrund der Einfachheit der beiden Wortbestandteile kann eine Zusammenschreibung beim Lesenden problemlos verarbeitet und ver­standen werden. Da Ihr Ausdruck aber sicherlich der Allgemeinheit noch nicht allzu geläufig ist, wäre dies ein Argument für die Bindestrichschrei­bung. Sie können frei zwischen diesen beiden Möglichkeiten wählen.«

Eine solche Frage der Orthografie ist übrigens für die telefonische Sprachberatung typischer als für die schriftliche. Innerhalb der schriftlichen Anfragen liegen ge­genwärtig Fragen des Wortschatzes hoch im Kurs.

Frau Hauzel weist der Sprachanfrage samt Antwort nun eine sogenannte DA (Abkürzung für Deutschauskunft) zu, eine fortlaufende Aktennummer. Jede Sprachanfrage mit relevantem Inhalt erhält eine solche Aktennummer. Diese Sor­tierung ermöglicht es den Mitarbeitenden, Fragen und Antworten leicht im Archiv der Sprachberatung zu suchen bzw. wiederzufinden. Der abschließende Arbeits­schritt ist die Ablage des Schriftverkehrs in Papierform und digital.

9.00 Uhr, die Einzahlungen auf dem Konto wurden geprüft

Von der Buchhaltung erfährt Frau Rüdebusch, dass das Geld für eine Vornamenurkunde in Schmuckform eingegangen ist: Ein stolzer Pa­tenonkel möchte seinem Patenkind Maya zur Taufe ein einzigartiges Geschenk machen. Frau Rüdebusch, die bereits vor der Zahlung zu die­sem Namen recherchiert hat, stellt nun die Informationen zu Herkunft, Be­deutung, Verbreitung und Beliebtheit des Namens zusammen, um daraus schließlich einen Text für die Urkunde zu verfassen.

Nicht jeder Name eignet sich für einen umfangreichen Text, doch in der Regel finden sich genügend Informationen, um eine Vornamenurkunde zu erstellen. So­bald Text und Layout der Urkunde fertig sind, liest auch Frau Hauzel sie noch einmal Korrektur. Wenn alles in Ordnung ist, wird die Urkunde auf edlem Papier gedruckt und für den Versand ins Postausgangsfach gelegt. Dieser Weg, eine in­dividuelle Urkunde zu bestellen, ist der reguläre; seit kurzem ist es jedoch auch möglich, für einen etwas geringeren Betrag eine Vornamenurkunde als PDF zu bestellen und sie zuhause selbst auszudrucken. Der »Namenpool«, der hierfür zur Verfügung steht, wird stetig erweitert.

9.20 Uhr, beide Telefone klingeln gleichzeitig

Annika Hauzel geht an das Mitgliedertelefon und beantwortet dem Mitarbeiter einer Behörde zwei Sprachanfragen. Bei der ersten Frage geht es um Kommasetzung bei einer Infinitivgruppe mit zu: »Wird bei dem Satz Ich versuche(,) morgen die Verhandlung zu besuchen ein Komma gesetzt oder ist es falsch?« Frau Hauzel antwortet, dass das Komma in die­sem Fall freigestellt ist und man selbst entscheiden kann, ob man es setzt.3

Bei der zweiten Frage geht es um eine semantische Unklarheit: »Was ist der Unterschied zwischen Kosten und Unkosten?« Annika Hauzel erwidert, dass das Präfix Un- bei Unkosten keine verneinende, sondern eine verstär­kende Bedeutung hat. Aus diesem Grund können beide Wörter synonym verwendet werden. Eine Ausnahme bildet die Fachsprache der Betriebs­wirtschaftslehre: Hier darf Unkosten nicht verwendet werden, da nur die Bezeichnungen Kosten und Gemeinkosten korrekt sind (vgl. Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Aufl. Mannheim 2012).

Frauke Rüdebusch bei der Vornamenrecherche © GfdS

Frauke Rüdebusch nimmt den Anruf auf dem kos­tenpflichtigen Telefon ent­gegen und hat eine Frau am Apparat, die ein Kind erwartet und für das Stan­desamt eine Bestätigung für ihren Wunschnamen Alanya benötigt. Frau Rüdebusch lässt sich den gewünschten Vornamen buchstabieren und notiert zudem, welches Ge­schlecht das Kind hat (das ist nicht immer am Namen er­kennbar), ob ein weiterer Name vergeben werden soll und woher der gewünschte Name stammen könnte. Schon während des Telefonats schlägt sie Alanya in der Vornamendatenbank der GfdS nach, findet dort aber noch nicht genügend Informationen. Daher bittet sie die Mutter um Rückruf zu einem späteren Zeitpunkt und beginnt mit der aus­führlichen Recherche in den zahlreichen Vornamenbüchern der GfdS.

Die GfdS hat sich zu einer bedeutenden Institution für Vornamenanliegen aller Art entwickelt. Erkundigungen von Eltern oder Standesämtern machten im Jahr 2018 fast drei Viertel der schriftlichen Auskünfte und etwa ein Viertel der telefo­nischen Anfragen aus.

9.40 Uhr, das Mitgliedertelefon klingelt

Frau Hauzel bekommt einen Anruf von dem Herrn aus der Behörde, der vor 20 Minuten bereits anrief. Er möchte sich noch einmal erkun­digen, ob sich die Sprachwissenschaftlerin bei ihrem letzten Telefonat mit der Aussage zur Kommasetzung wirklich sicher war. Daraufhin prüft sie die Regelung sicherheitshalber nochmals im Duden und bestätigt ihre anfängliche Einschätzung.

Schließlich wird ihr noch eine weitere Frage gestellt: »Im Norddeutschen sind Sätze wie Lass man gut sein und Na, denn man los üblich. Was bedeutet dieses man? Ist es gleichzusetzen mit mal?« Frau Hauzel findet anhand des Dudens heraus, dass das Adverb man in diesen Sätzen die Bedeutung ›nur‹ hat und als Bekräftigung wirkt. Das Gesagte soll mit diesem Wort also ver­stärkt werden.

Auch die Mitarbeitenden der Sprachberatung sind nicht allwissend: Zwar sind sie schon jahrelang in der Sprach- und Vornamenberatung tätig und können aus ei­nem reichen Erfahrungs- und Wissensschatz schöpfen, doch gibt es immer wieder Fälle, in denen sie sicherheitshalber noch einmal nachschlagen – manches lässt sich einfach nicht merken! Aber immerhin das geht zumeist schnell, weil sie genau wissen, wo sie die gesuchten Informationen finden können.

9.55 Uhr, eine Mail aus den Zweigen geht bei Herrn Kuntzsch ein

Ein weiterer Aufgabenbereich von Herrn Kuntzsch ist die Betreuung der ungefähr 100 GfdS-Zweige in Deutschland und weltweit: Neben Organisatorischem hat er dabei – denn das ist ja der Zweck des Gan­zen – auch mit Sprachlichem zu tun. Dies betrifft allein schon den Na­men der Zweige.

Wie lautet zum Beispiel die Orts- und Zweigbezeichnung korrekt? Bratisla­va, Bratislawa oder eher Pressburg, Preßburg? In erster Linie, das lernte Herr Kuntzsch in seiner langjährigen Beschäftigung, sollte man den Wünschen der Leute vor Ort nachkommen oder aufgrund der verschiedenen histori­schen Interpretationen Varianten und Dopplungen empfehlen.

10.05 Uhr, das Telefon läutet

Frau Hauzel nimmt den Anruf entgegen und am Apparat ist eine Journalistin, die für die morgige Ausgabe noch schnell eine Auskunft benötigt. Im Zusammenhang mit unseren Wortsammlungen bei der Aktion »Wörter des Jahres« kommt es mitunter zu Fragen nach der ta­gesaktuellen Wortpräsenz. Die Journalistin möchte wissen: »Gibt es eine Tendenz zur Verwendungshäufigkeit der Ausdrücke E-Roller, E-Scooter, E-Tretroller usw. in Texten und Situationen oder Erfahrung mit der Wort­gruppe durchs Land rollen/rollern

Festlegungen, so Annika Hauzel, gibt es in der »Elektrokleinstfahrzeu­ge-Verordnung« bezüglich der Terminologie nicht. Also heißt es abwarten, welcher Ausdruck sich durchsetzen wird, ähnlich wie bei Brexit.

Die Journalistin möchte außerdem noch wissen: »Verschwinden mit dem Kohleabbau nun auch die Wörter, die mit ihm aufgekommen sind? Knifte? Malochen? Kumpel?« Dies dürfte nicht der Fall sein, antwortet ihr Frau Hau­zel. Diese Wörter werden mehr oder weniger regional erhalten bleiben.

10.20 Uhr, das kostenpflichtige Telefon klingelt

Frau Rüdebusch nimmt den Anruf entgegen und hat wieder die Dame am Telefon, die ihr Kind Alanya nennen möchte. Inzwischen hat sie recherchiert und teilt der erleichterten Mutter mit, dass der Name be­stätigt werden kann. Für einen Betrag von 30 Euro wird die Dame ein Vornamengutachten erhalten und kann damit ihren Wunschnamen beim Standesamt eintragen lassen.

11.05 Uhr, das Sekretariat stellt einen Anruf durch

Ein Standesamt möchte von Herrn Kuntzsch wissen, wie seine Emp­fehlung zu dem russischen Vornamen Kostja ist. Zunächst prüft er ihn in der Datenbank und da der Name in den letzten Jahren bereits 30 Mal in Deutschland vergeben wurde, kann er im Prinzip bestätigt werden. Die Anfrage zielt aber noch in eine andere Richtung und hier hel­fen Kuntzschs Russischkenntnisse: Im Slawischen ist Kostja eine Verkleine­rungsform von Konstantin, die dort nicht offiziell eingetragen werden kann. Das hat die Eltern beunruhigt, doch die Zweifel können ihnen für den deut­schen Sprachraum genommen werden. Wir leben in einer multikulturellen Welt; Konstantin wird hierzulande oft mit Koni/Konni abgekürzt, und so ist Kostja als eigenständiger Name anzuerkennen. Dass Herr Kuntzsch sich im Russischen auskennt, führt den Standesbeamten zur nächsten Frage, wie man den Familienamen Guljaikina am besten eindeutschen kann. Dazu sind Recherchen in den folgenden Tagen nötig.

Alle Standesämter können die GfdS zu kurzen Vornameneinschätzungen im Rahmen der sogenannten »Amtshilfe« telefonisch kontaktieren. In vielen Fällten handelt es sich um Variantenschreibungen bekannter Namen und so reicht den Ämtern die Nennung der Vergabezahlen; ist der Fall schwieriger, verweisen sie die Eltern an die GfdS, um detailliertere Angaben zum Namen zu machen und ein Vornamengutachten einzuholen.

Nach diesen Auskünften eilt Dr. Kuntzsch zu einem Vortrag, sozusagen zur Sprachberatung vor Ort (von der später, in Kapitel 2.2, berichtet wird).

11.45 Uhr, es klingelt an der Tür

Annika Hauzel im Gespräch mit einem Besucher © GfdS

Frau Hauzel bekommt von der Verwaltung den Hinweis, dass ein Be­sucher vor der Tür steht und eine Sprachanfrage hat. Sie empfängt ihn und hört sich die Frage an: »Muss es heißen Sobald du geboren bist, be­ginnt die Reise oder Sobald du geboren wirst, beginnt die Reise?« Daraufhin antwortet Frau Hauzel, dass sowohl die Form ich bin geboren als auch die Form ich wurde geboren möglich sind. Wenn man (evtl. neben dem Ort) noch weitere Angaben machen möchte (Am 12. Februar 2005 wurde ich als zweites Kind der Eheleute … [in Köln] geboren), emp­fiehlt sich die wurde-Va­riante. Die bin-Variante wird verwendet, wenn man nur den Ort angeben will (Ich bin in Hamburg geboren) (siehe Duden – Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle, 8. Aufl. Mannheim 2016). Im Beispielsatz funktionieren also beide Möglichkeiten. Der Besucher erhält noch einen Flyer der GfdS und verlässt das Haus um eine sprachliche Erkenntnis reicher.

Die GfdS bietet interessierten Bürgerinnen und Bürgern nicht nur die Möglichkeit eines Anrufs, sondern lädt auch herzlich dazu ein, persönlich in der Zentrale in Wiesbaden vorbeizukommen und dort ihre Fragen zu stellen.        

12.20 Uhr, das Sekretariat stellt eine Presseanfrage durch

Kurz vor der Mittagspause meldet sich noch hr info bei der GfdS und wünscht sich schnell einen O-Ton zum Thema »Geschlechtergerechte Sprache« von einem Sprachwissenschaftler. Die Anfrage wird zu einer freien Mitarbeiterin, Frauke Rüdebusch, durchgestellt. Sie nimmt kurz Stellung zu der Frage, welche Empfehlungen die GfdS zum fraglichen Themenbereich gibt (Näheres dazu unter den Erläuterungen um 16.00 Uhr auf Seite 189), und erläutert, dass es aus Sicht der GfdS durchaus sinnvoll ist, geschlechtergerechte Formulierungen zu verwenden, allerdings gebe es durch die Grammatikregeln des Deutschen gewisse Einschränkungen, die heutzutage vielfach übergangen würden – dies könne die GfdS nicht unterstützen. Da derlei Fragen in der jüngeren Vergangenheit vielfach auf­tauchen, hat die GfdS ihren Standpunkt dazu auf der Internetseite veröf­fentlicht.4

Bei der Nachbereitung des Gesprächs fällt Frau Rüdebusch auf, dass kürzlich ein wichtiges Buch zum Thema erschienen ist, das der GfdS noch nicht vorliegt, und sie bestellt es für die GfdS-Bibliothek. Wenn es eintrifft, nimmt sie es zunächst in den Katalog auf, ordnet es einem Fachbereich zu und sortiert es anschließend an entsprechender Stelle ein. So ist das Werk nun für alle Mitarbeitenden auffindbar und kann verwendet werden.

12.30 Uhr, Beginn der Mittagszeit

In der 90-minütigen Mittagszeit ist die Telefonzentrale ausgeschaltet, Mitglieder können in dieser Zeit nicht anrufen. Das kostenpflichtige Telefon jedoch ist weiterhin erreichbar, und so sprechen sich die drei Mitarbeitenden der Sprachberatung täglich bezüglich ihrer Mittags­pause ab, damit das Telefon nicht unbesetzt ist. Die relative Ruhe ist ein großer Vorteil der Pausenzeit – nun haben die Mitarbeitenden die Möglichkeit, andere Projekte voranzubringen, denn sie sind ja nicht nur für die Sprachberatung zuständig: Herr Kuntzsch hält seinen Vortrag (zum Glück mit kleinem Mittagsimbiss), Frau Hauzel kümmert sich um die redaktionelle Bearbeitung eines Arti­kels für die Zeitschrift »Der Sprachdienst« und Frau Rüdebusch bespielt die Inter­netseite und die sozialen Medien mit den Neuigkeiten der GfdS.  

13.30 Uhr, Herr Kuntzsch kehrt von seinem Vortrag zur aktuellen Sprachentwicklung in einem Wiesbadener Verein zurück

Von diesem Vortrag bringt er gleich einige Anfragen mit, denn Sprach­beratung findet neben dem Dienst in der Zentrale auch bei anderen Veranstaltungen für Sprachinteressierte statt: in Clubs, Fachverbänden, Vereinen sowie auf Kulturtagen, bei Sommerfesten und Bildungsurlau­ben. Überall bieten sich Gelegenheiten zu Sprachreflexion – sozusagen direkt am Puls des Publikums. Die Fragen resultieren, und das sind dann Sternstunden, ent­weder aus dem direkt Vorgetragenen oder sind schon länger angestaut und allge­meiner Art, vom spontanen Einwurf bis zur massiven Beschwerde. Herr Kuntzsch berichtet seinen Kolleginnen von seinen heutigen Erfahrungen:

»Die Apps und die ganzen Neuen Medien zerstören die Sprache, machen Sie etwas dagegen, ein Verb frug gibt es nicht mehr und sowieso ist alles auf Englisch« – so trat Herrn Kuntzsch als »Sprach­verantwortlichem«, der gera­de greifbar war, die ehr oder weniger begründete Kritik entgegen. Eben mal so richtig loswettern gegen die Verderbt­heit der Welt und der Sprache. Auch das sollte ein erfahrener Sprachberater gelassen neh­men und aushalten. Sicher ist das Bangen um die Verluste des »guten alten Deutsch« etwas Menschliches. Über die Unterscheidung von Verfall und Veränderung gelingt es meist, alles historisch einzuordnen und bildlich zu zeigen, was aus einem (sprach­lichen) Trampelpfad werden kann. Ganz gleich, ob es den Einzelnen nun gefällt oder nicht. Auf Wunsch wird ergänzendes Material an die Anfra­genden verschickt und auf unsere Standpunkte im Internet verwiesen.

Mitunter sind es sprachliche Beispiele aus der Kindheit, die längst vergessen schienen:

Eine Besucherin des eben gehaltenen Vortrags erinnerte sich, dass ihre Großmutter immer sagte: »Mach nicht immer solche Fisimatenten«, und interessiert sich dafür, woher die Redensart kommt. Mit den Auskunfts­quellen im Büro stehen Herrn Kuntzsch nun einige Erklärungsvarianten als Antwort zur Verfügung: Die Herkunft des seit dem 16. Jahrhundert in zahl­reichen Formen bezeugten Wortes für ›leere Flausen, Ausflüchte, Faxen‹ ist umstritten. Möglicherweise geht es auf mittellateinisch visae patentes [literae] ›ordnungsgemäß erworbenes, geprüftes [Dokument]‹ zurück; dazu mag der inhaltliche und formale Einfluss von mittelhochdeutsch isament[e]/visi­mente ›Modellierung, Zierrat‹ gekommen sein – so der Duden (Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle, 8. Aufl. Mannheim 2016). Eine andere Deu­tung führt die französische Aufforderung »Visitez ma tente!« ›Besuchen Sie mein Zelt!‹ als Grundlage an. Mit dieser sollen französische Offiziere wäh­rend der Revolutionskriege versucht haben, deutsche Mädchen in ihre Zelte zu locken. Auch eine Quelle könnte ein im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/1871 fälschlich als französisch gedeutetes »je visite ma tante« ›ich besuche meine Tante‹ als Ausrede des Soldaten gegenüber den Wachtpos­ten darstellen. Der Fantasie sind bei der Herleitung keine Grenzen gesetzt. Das freut einige, andere wollen für alles eindeutige Antworten, was bei Sprachen unmöglich erscheint.

Über diese Auskunft hinausgehend fällt Herrn Kuntzsch ein, dass seine Großmutter die sächsische Variante Fissematens’schen gebrauchte. Dies ist auch in einem Dialekt-Wörterbuch zu finden ebenso wie die pfälzischen Varianten Fissemadenden und Fisemadenzen. Oder fürs Österreichische ganz anders die Spompanadeln.

Sprachberatung ist oft eine Form der Beratung fürs Leben und ganz eng mit die­sem, mit dem Alltag verbunden. Neben den umfassenden Wörterbüchern in Buch­form stellen die elektronischen sowie besonders die schier unendlichen, mitunter fraglichen Eintragungen im Internet einen übergroßen Fundus für Wortforschun­gen dar. Sie sind bei aller Nützlichkeit mit der gebotenen Skepsis und kritischen Distanz zu betrachten. Die Kunst und das Können in der Sprachberatung besteht darin, Komplexes übersichtlich und verständlich für die Anfragenden aufzube­reiten.

13.45 Uhr, ein Brief kommt an

Während der Mittagspause war die Post da und hat einen Brief für die Sprachberatung abgegeben. Im Vergleich zu früher ist dies heute eher selten der Fall, schriftlicher Kontakt wird hauptsächlich über E-Mails aufgebaut.

In dem Brief legt ein Mitglied seine Frage dar: »Meine Frage zielt auf den jüngeren Bedeutungsspielraum des Wortes Ikone. Ich kenne diesen Aus­druck für den kirchlichen Bereich, längst aber fallen Vorkommen wie Pop-Ikone oder Ikone der Stadt zunehmend ins Auge. Wie kam es zu dieser Bedeutungserweiterung? Wo und wann könnte die außerkirchliche Bedeu­tung Einzug gehalten haben?« Da die Frage nicht ad hoc zu beantworten ist, recherchiert Frau Hauzel in der Bibliothek der GfdS und bittet anschließend Frau Rüdebusch und Herrn Kuntzsch zu einer kurzen Besprechung: Sie präsentiert ihre Rechercheergebnisse und gemeinsam sprechen sie über die Bedeutung des Wortes. Dann verfasst Frau Hauzel anhand des gemeinsam erarbeiteten Konsenses eine Antwort. Grob zusammengefasst ist zu sagen, dass die ursprüngliche Bedeutung von Ikone für ein Kultbild der orthodo­xen Kirche vermutlich seit Ende der 1980er-Jahre nach und nach um die jüngere Verwendung für eine Kultfigur bzw. eine Person erweitert wurde, die bestimmte Werte und Vorstellungen verkörpert.

Fällt eine Frage und die dazugehörige Antwort ausführlicher aus, sind auch Mit­glieder dazu angehalten, für die Leistung zu bezahlen, da eigentlich nur die tele­fonischen Auskünfte im Mitgliedsbeitrag enthalten sind.

14.00 Uhr, die Mittagszeit endet und direkt klingelt das Telefon

Eine bekannte Lektorin ruft an, die einmal an einem Workshop der GfdS teilgenommen hat und seither zum »Stammpublikum« zählt. Herr Kuntzsch berät sie:

Zuerst fragt sie nach Formalem, nur um wirklich ganz sicherzugehen. Der Sprachberater kennt diese Fragen schon und antwortet routiniert: Ja, das Komma muss bei einem Infinitiv stehen, wenn im übergeordneten Satz ein es vorkommt; ja, der einfache Vergleich mit wie ohne Komma, wenn es nicht ein Satz ist; selbständig selbstständig: ja, beides geht. Ja, auch engli­sche Wörter sollten durchgekoppelt werden, E-Mail, Private-Banking-Berater. Und die wohl am häufigsten gestellte Frage: Wie muss ich in Briefen du/Du schreiben? In dem konkreten Fall sind beide Schreibungen möglich.5

Besonders aufmerksamen Lektorinnen und Lektoren – zu denen die Anfragende zählt – fallen mitunter Dinge auf, die im Regelwerk falsch, ungenau oder zumin­dest fraglich dargestellt sind und deshalb einer Erläuterung oder Veränderung be­dürfen: Das kann Formales sein (fehlende oder verdrehte Buchstaben) oder – wie bei folgenden Beispielen – in Summe Fehlerhaftes: *top-angebot, top-lage, top-veran­staltung, top-ausbildung, top-material (Duden ‒ Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Aufl. Mannheim 2012) – als Substantive müssen diese Wörter natürlich großgeschrieben werden: Top-Angebot etc. Niemand weiß, wie sich diese Fehler eingeschlichen haben. Die Beobachtungen werden an den Dudenverlag weiterge­geben und bei Neuauflagen berücksichtigt und im Internet verbessert.

14.20 Uhr, ein Anruf eines Unternehmens geht ein

Eine stadtansässige Sparkasse meldet sich per E-Mail und bittet um die eilige Korrektur eines mehrseitigen Infoblattes, das in Kürze an die Kunden versandt werden und natürlich fehlerfrei sein soll. Frau Rüdebusch druckt es aus und liest es gemeinsam mit Frau Hauzel ge­wissenhaft Korrektur. Das Lesen auf Papier ist ihnen wichtig, denn er­fahrungsgemäß werden Fehler beim Lesen am Bildschirm schnell einmal übersehen. Anschließend überträgt Frau Rüdebusch die Korrekturen und Anmerkungen in das PDF-Dokument und sendet das Infoblatt zurück an die Sparkasse.

Auch die Textprüfung und -korrektur sind Teil der Leistungen, die die GfdS an­bietet: Sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen können ihre Texte – ob Flyer, Kundenanschreiben, Broschüren und Zeitschriften, Geschäftsberichte usw. – pro­fessionell und umfassend korrigieren lassen. Geprüft werden dabei nicht nur Or­thografie, Grammatik und Zeichensetzung, sondern auf Wunsch zusätzlich Aus­druck, Stil, Umbruch und typografische Details. Damit kein Fehler unentdeckt bleibt, gilt das Vier-Augen-Prinzip: Jeder Text wird zunächst von einem Mitarbei­tenden gründlich korrigiert und anschließend noch einem zweiten zur Überprü­fung vorgelegt.

14.50 Uhr, ein Teilnehmer des Vortrags ruft an, dem nach dem Treffen noch etwas einfiel

Lutz Kuntzsch bei der telefonischen Sprachberatung © GfdS

Der Teilnehmer fragt Herrn Kuntzsch: »Wenn jemand deliziös nach dem Essen sagt, möchte er damit etwas Besonderes ausdrücken oder ist die Person abgehoben?« Herr Kuntzsch gibt zu bedenken, dass das schwer zu sagen ist, denn deliziös steht für ›genüsslich, köstlich, wohlschmeckend‹ – bei der Wirkung kommt es allein auf den versammelten Kreis an.

Und gleich kommt noch eine Anschlussfrage auf: Woher kommt Pfirsich Melba? Dabei handelt es sich um ein Eis zu Ehren der australischen Sän­gerin Nellie Melba – der Künstlername ist eine Anspielung auf ihre Ge­burtsstadt Melbourne. Ihr Koloratursopran begeisterte die Welt; nach einer Premiere von Lohengrin im Jahre 1892 wurde von Escoffier, einem berühm­ten französischen Koch, die Eisspeise als besonderes Dessert aufgetafelt: Ein enthäuteter Pfirsich und zwei Kugeln Vanilleeis, überzogen mit einem Himbeerschleier, stellen die Pose des Schwans aus der Oper dar. Wohl be­komm’s!

14.55 Uhr, kaum hat Herr Kuntzsch aufgelegt, erreicht ihn eine WhatsApp-Nachricht auf dem Handy

Bei Zweigveranstaltungen im Ausland oder hierzulande mit Beteilig­ten verschiedener Muttersprachen kommt es oft zu aktuellen Proble­men der Übersetzung und des interkulturellen Sprachvergleichs.

Die Zweigvorsitzende aus Kiew hat Herrn Kuntzsch kontaktiert, nachdem vor einem Tag eine solche Problematik entstand. Bei der gestrigen Veran­staltung wurde eine Pflanze überreicht, die gut aussah und von ihr spon­tan als Glockenblume bezeichnet wurde. Da gab es Einspruch vom Publikum und passendere Namen wurden nachgereicht: Eustoma, PrärieEnzian oder Rosentulpe. Alltagsbezeichnungen spielen immer eine große Rolle und die Pflanzennamenfelder sind groß. So ruft Herr Kuntzsch die Dame an und erarbeitet mit ihr eine Materialgrundlage für eine Zweigveranstaltung zu diesem Thema. Sie umfasst Verben wie gärtnern, graben und (rum)gurken mit allen Bedeutungen, den Wortzusammenhang von Blume und blühen, den Ursprung von Schrebergarten(kultur) und vieles mehr. Warum heißt die Oper von Prokofjew eigentlich im Original »Die Liebe zu den drei Apfelsinen«? – Ein gutes Beispiel für alltagsnahe Sprachberatung.

15.20 Uhr, telefonische Rückfrage eines Vereins für eine Publikation

Nach einem Vortrag von Herrn Kuntzsch im Rahmenprogramm des Christopher Street Day (CSD) möchte ein Verein eine Zusammenstel­lung der sprachlichen Formen des Geschlechts und der Sexualität mit entsprechenden Erklärungen veröffentlichen. Die Auswahl, so erklärt Herr Kuntzsch, will gut überlegt sein, denn die Vielfalt ist groß bei den Wortbildungselementen für Arten der Sexualität und des Genders: a-, bi-, hetero-, homo-, inter-, trans-, aber auch allo-, andro-, auto-, demi-, endo-, femme-, gyno-, mono-, omni-, pan-, poli-, pomo-, quoi-, sapio-, skolio-, specta-sexuell/-gender.6

15.30 Uhr, Ende der Kernzeit. Annika Hauzel verabschiedet sich in den Feierabend, während die anderen beiden Sprachberatenden noch im Büro bleiben. Die Telefonzentrale wird auf den Anrufbeantworter umgestellt.

15.40 Uhr, Online-Präsenz der GfdS

Frau Rüdebusch nutzt die Ruhe, um im Internet die Sprachberatung zu bewerben: Auf der Startseite der GfdS-Homepage www.gfds.de veröffentlicht sie wochenweise abwechselnd eine »Frage der Woche« zu aktuellen Fällen aus der Sprachberatung und einen »Vornamen der Woche«, eine Rubrik, in der einzelne Vornamen genauer unter die Lupe genommen werden. Bei Facebook und bei Twitter postet sie die Information, dass ein neuer Artikel zum Lesen bereitsteht; dieser erreicht so eine größere Leserschaft unter der wachsenden Social-Media-Fangemeinde der GfdS.

Die Internetseite ist ein wichtiges Medium für die GfdS, um dort auch Pressemitteilungen und Neuigkeiten zu kommunizieren. Doch nicht nur darüber, was die GfdS macht und was ihre Aufgaben sind, wird auf der Internetseite berichtet, vor allem finden sich hier unzählige Informationen zu sprachlichen Fragen, zu Vornamen und Vornamenhitlisten, zum Medienpreis für Sprachkultur, zum Wort des Jahres und vielem mehr.

16 Uhr, Verabredungen und Vorbereitungen per Telefon und E-Mail für ein anstehendes Seminar

Nun könnte auch Dr. Kuntzsch Feierabend machen, aber manche Tage sind etwas länger, weil es beruhigend ist, die Dinge gründlich vorzubereiten. In der nächsten Woche steht ein Seminar zur Verwaltungssprache bei einer Bank an, einige Teilnehmende haben bereits ihre Texte eingereicht. Das ist erfreulich, denn es kostet einige Überwindung, wenn es ans »Eingemachte« geht, also an das Schicken, Vorbereiten und gemeinsame Bearbeiten der Texte. Herr Kuntzsch steht als Brückenbauer vor der Aufgabe einer feinfühligen Vorbereitung und Analyse nach sprachlichen Kriterien – dabei wissend, dass es sich um ziemlich starre juristische Fachtexte handelt, zu denen oft der fachliche Zugang fehlt. Dennoch wird um geeignete Formulierungen gerungen in der Hoffnung, dass sie von den entscheidenden Personen akzeptiert werden.

Häufige Fragen gibt es zum geschlechtergerechten Formulieren in Verwal­tungstexten. Bei allen gesellschaftlichen Forderungen und Gesetzen sind übertriebene Gender-Bemühungen mit dem Sternchen kritisch zu sehen, denn sie sind kaum lesbar oder vorlesbar und gestalten die Texte schwerer verständlich: Leser*innen geht mit Sprechpause noch, aber Kolleg*innen oder Ärzt*innen fügt sich nicht ins Sprachsystem. Die bewährten Doppelformen (Bürgerinnen und Bürger), die Partizipien (Anfragende) und andere Möglich­keiten (z. B. Leitung) werden weiterhin Bestand haben. Das Pronomen siers für alle Geschlechter wird sich dagegen wohl kaum durchsetzen.

Bei der weiteren Textvorbereitung fallen die harten Satzanfänge (auch »Reinknaller« genannt) auf: Das Wort gemäß und die Anreihung von juris­tischen Grundlagen mit allen Feinheiten ist dem gewollten Lesebeginn kei­nesfalls förderlich: Gemäß § 3 Abs. 2, Punkt 4, Bundesbesoldungsgesetz (BBesG), Fassung XY, letzte Änderung vom … Das sollte man, weil es leseunfreundlich ist, umformulieren, dagegen gibt es von juristischer Seite aber viel Wider­stand.

Bei den Anfragen geht es immer wieder um den Genitiv und um Ge­nitivattribute. Allen Unkenrufen zum Trotz wird dieser Kasus gerade in behördlichen Texten nicht verschwinden – wie in der für viele nicht ver­ständlichen Wendung in einer Entgelt-Information: Die Zahlung erfolgt unter dem Vorbehalt der Rückforderung sowie unter Ausschluss der Berufung auf den Wegfall der Bereicherung. Ist diese Formulierung verständlich oder nicht? Die Bedeutung dahinter lautet, dass man sich bei einer Rückforderung nicht darauf berufen darf, das Geld schon ausgegeben zu haben.

Und heißt es wegen dem Nichtverstehen oder wegen des Nichtverstehens? Laut Duden hat sich der Dativ im gesprochenen Standarddeutsch neben dem Gebrauch mit dem Genitiv weitgehend als Usus durchgesetzt – beide For­men sind hier als korrekt einzustufen. Im geschriebenen Standarddeutsch ist als Norm dagegen nur der Gebrauch mit dem Genitiv korrekt. Aller­dings sollten Hyperkorrekturen wie wegen dem Festes vermieden werden.

Bei der Sprachberatung müssen von den Mitarbeitenden also all diese Entwick­lungstendenzen einbezogen werden. Sie bleiben dabei nicht bei der berechtigten Kritik stehen, sondern finden mit den »GfdS-Leitsätzen zur verständlichen Behör­denkommunikation« ansatzweise Wege zur Verbesserung der Texte. Im gegensei­tigen Aufeinander-Zugehen sollten die Beteiligten für analoge Beispiele sensibili­siert werden.

16.15 Uhr, Frauke Rüdebusch macht Feierabend

Sie hat die Beiträge für die Internetseite vorbereitet, auf die sie am nächsten Morgen auf Twitter und Facebook hinweisen will. Kurz be­vor sie den Computer herunterfährt, sieht sie, dass noch ein größerer Korrekturauftrag eingegangen ist, doch dieser muss bis morgen warten, wenn die Konzentration wieder vollständig vorhanden ist.

17 Uhr, das kostenpflichtige Telefon klingelt. Lutz Kuntzsch ist schon im Aufbruch, nimmt das Gespräch aber trotzdem noch entgegen

Es meldet sich ein Herr, der offenbar mit dem Schreiben größere Pro­bleme hat (sekundärer Analphabet). Er berichtet: »Meine Nachbarin heiratet und ich möchte ihr etwas Nettes schreiben. Das fällt mir aber sehr schwer. Könnten Sie mir vielleicht zwei Sätze, am besten per Fax, schi­cken, die ich in die Karte kleben kann?« Lutz Kuntzsch geht schnell auf den Wunsch des Anfragenden ein, denn »der Wurm muss dem Fisch chme­cken, nicht dem Angler«. Wer anruft, hat ein Problem erkannt oder wurde darauf aufmerksam gemacht. Also sucht Herr Kuntzsch schnell ein Muster heraus und faxt es dem Anrufer. Es folgt ein euphorischer Dankesanruf, dann ist auch für Lutz Kuntzsch Schluss für heute – schließlich geht es mor­gen früh schon wieder weiter.

So endet für alle ein abwechslungsreicher Beratungstag: zufrieden, um etwas Wis­sen reicher, leicht erschöpft und im Bewusstsein, etwas Interessantes und Nützli­ches getan zu haben.

3 Ausblick

Nicht nur von Wiesbaden aus agiert die GfdS deutschland- und weltweit und unterstützt die Behörden, Unternehmen und alle Interessierten bei ihren Fragen rund um die deutsche Sprache, auch im Deutschen Bundestag in Berlin ist sie vertreten. Welche Aufgaben die Mitarbeitenden der GfdS in Berlin haben und wie ihre tägli­che Arbeit aussieht, verrät der nächste Beitrag.


1 Vgl. »Entstehung des Kaufmanns-Und bzw. Et-Zeichens (&)«.

2 Vgl. die Pressemitteilung zur Auswertung der Sprachanfragen der letzten 30 Jahre.

3 Vgl. Kommasetzung bei Infinitivgruppen mit zu.

4Vgl. »Die GfdS zum Thema … geschlechtergerechte Sprache«.

5 Vgl. »du, dich, dein, dir – Groß- oder Kleinschreibung bei den Anredepronomen?«.

6 Bei dieser vorgestellten Vielfalt sind aus Platzgründen keine umfassenden Erläuterungen möglich. Diese können bei Interesse von der Sprachberatung gegeben werden.

Die Autoren

Annika Hauzel, Dr. Lutz Kuntzsch, Frauke Rüdebusch (v. l. n. r.) © GfdS

Annika Hauzel hat in Mainz Germanistik und Erziehungswissenschaften studiert. Sie war von Februar 2018 bis Herbst 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der GfdS; dort war sie in der Sprachberatung tätig und betreute den Sprachdienstes redaktionell.

Dr. Lutz Kuntzsch hat in Leipzig ein Lehrerstudium in den Fächern Deutsch und Geschichte abgeschlossen und auf dem Gebiet der germanistischen Sprachwissenschaft promoviert. Seit 2000 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der GfdS, wo er u. a. die Veranstaltungen in den weltweit vertretenen Zweigen betreut.

Frauke Rüdebusch hat in Mainz Allgemeine Sprachwissenschaft, Buchwissenschaft und Anglistik studiert und ist seit 2010 als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der GfdS. Dort ist sie u. a. in der Sprach- und Vornamenberatung tätig und betreut die Internetseite.