Ausgabe: Der Sprachdienst 1/2013

Konjunktiv von verstehen

[F] Lautet die korrekte Konjunktivform des Verbs verstehen eigentlich verstände oder verstünde?

[A] Beim Verb verstehen gibt es in der Tat – genau wie bei dem einfachen Verb stehen – die Unsicherheit, ob der Vokal der Konjunktivform nun auf ä oder ü lauten muss. Der Grammatikduden gibt in seiner Übersicht über die starken Verben (in § 704) für stehen beide Formen an, die Form stünde allerdings in Klammern. Um zunächst die Frage zu beantworten: Es sind also beide Formen korrekt. Wie aber kommt es überhaupt zu diesen beiden Formen? Bei anderen starken Verben ist das ja nicht der Fall, es gibt beispielsweise nicht die Variation von vergäße und vergüße beim Verb vergessen. Die Formen des Konjunktiv II, um die es hier geht, werden vom Präteritum abgeleitet: also ich vergaß > ich vergäße und ganz analog dazu ich verstand > ich verstände. Erklärungsbedürftig ist demnach die Form verstünde. Diese ist der Reflex einer älteren Sprachstufe, in der manche Verben in der Vergangenheitsform einen Vokalwechsel zwischen Singular- und Pluralformen aufwiesen. Im heutigen Deutsch gibt es diesen Wechsel nicht mehr, die Präteritumsformen haben alle den gleichen Vokal, also ich stand – wir standen. Im Mittelhochdeutschen aber gab es eben bei manchen Verben zwei Formen, die sich zwar im Gegenwartsdeutschen nicht erhalten haben, aber ihren Niederschlag eben immer noch bei einigen wenigen Konjunktivformen finden. Erhalten sind solche Formen für das Präteritum auch vereinzelt in Volks- oder Weihnachtsliedern. Eines der bekanntesten Beispiele dürfte die Zeile »wie die Alten sungen« sein, die den Reim auf die titelgebende Eingangszeile »Es ist ein Ros’ entsprungen« bildet.