Ausgabe: Der Sprachdienst 3–4/2021

Woher kommt der Ausdruck Rabenmutter?

CC-Lizenz

[F] Woher kommt der Ausdruck Rabenmutter und seit wann wird er verwendet?

[A] Wenn man sich für ein Wort interessiert, schaut man zunächst einmal im schnell verfügbaren Duden nach. Ein Blick in alte Ausgaben des Rechtschreibwörterbuchs zeigt, dass der Ausdruck Rabenmutter erstmals in der 9. Auflage, also 1915, verzeichnet war. Doch in anderen älteren und größeren Wörterbüchern ist er bereits Anfang des Jahrhunderts zu finden (vgl. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Wien 1808; Campe, Wörterbuch der deutschen Sprache, Braunschweig 1809 und Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1893). In diesen Wörterbüchern lässt sich sogar ein ganzes Wortfeld bestehend aus Rabenmutter, -vater, -eltern, -sohn und –tochter ausmachen, das auf die Rabenart zurückzuführen ist. Unter der Rabenart ist zu verstehen, dass man Raben – unberechtigterweise – für schlechte Eltern hielt. Man ging davon aus, dass sie ihre Jungen verlassen bzw. aus dem Nest werfen, wenn sie ihrer überdrüssig geworden sind. Dies wurde auf die Menschen übertragen, sodass Rabeneltern (bzw. Rabenmutter und Rabenvater) verwendet wird, um Eltern, die hartherzig und lieblos sind und sich nicht um ihre Kinder kümmern, zu bezeichnen. Die wissenschaftlich unhaltbare Behauptung in Bezug auf das Verhalten der Raben lässt sich bereits auf die Bibel zurückführen, in der (in Hiob 38,41 und Psalm 146,9) die Rede davon ist, dass sich die Raben nicht um ihre Jungen kümmerten (vgl. Küpper, Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache, Stuttgart 1984). Auch in die Literatur hielten Ausdrücke aus dem Raben-Wortfeld Einzug; so verwendete beispielsweise Schiller das Wort Rabenmutter in seinen Dramen Die Räuber und Die Jungfrau von Orleans, worauf im Grimm’schen Wörterbuch von 1893 verwiesen wird.

Doch nicht nur mangelnde Fürsorge in Bezug auf ihre Jungen, sondern auch Kriminalität wird mit Raben in Verbindung gebracht. Dies zeigt sich in dem Ausdruck Rabenjunge, der umgangssprachlich für einen kriminellen Halbwüchsigen steht. Außerdem kann das Wort Rabe umgangssprachlich für einen jungen Verbrecher bzw. einen jugendlichen Häftling verwendet werden. Auch der Rabenvater steht nicht nur für einen lieblosen Vater, der schlecht für seine Familie sorgt, sondern wird soldatensprachlich auch für einen strengen, rücksichtslosen und barschen Vorgesetzten verwendet (vgl. Küpper, Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache, Stuttgart 1984).