20. Oktober 2023

Jugendwort des Jahres 2023: goofy gewinnt vor side eye und NPC

Hintergründe zur Aktion, zum Terminus Jugendsprache und zur JugendSprache-App der GfdS

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Das Jugendwort des Jahres 2023 ist goofy. Das hat am 22. Oktober der Langenscheidt-Verlag bekannt gegeben. Der mehrstufige Wahlprozess lief seit Anfang Juni; zur letzten Auswahl standen zudem side eye und NPC.

Komisch, verachtend oder unwichtig

In jeden Fall würde das Gewinnerwort aus dem englischen Sprachraum kommen und Ausdruck der Bewertung einer Person sein: Nach den Ausführungen des Verlags wird goofy als Adjektiv im Sinne von ›komisch, tollpatschig oder weird [seltsam]‹ gebraucht; side eye, zu deutsch Seitenblick, drückt Verachtung oder Missbilligung gegenüber einer Person aus, etwa in der Verwendungsweise »jemanden ein side eye geben«; und NPC ist die Abkürzung für Non-Playable-Character, ein abwertendes Wort, das gewählt wird, um eine Person schlichtweg als unwichtig abzustempeln, also z. B.: »Guck dir mal den NPC an!«

Neue Wörter und alte Bekannte

In der Top-10-Vorauswahl standen ferner überwiegend neue, aber auch alte Kandidaten: Der Ausdruck auf Lock ist eine Abkürzung von auf locker und meint, die Dinge entspannt angehen zu lassen, also z. B.: »Ich gehe mit paar Freunden raus auf Lock«; bei Darf er so als Abkürzung von »Darf er das einfach so sagen?« handelt es sich um einen Ausdruck der Verwunderung bei provokanten Äußerungen oder Handlungen; Digga(h), der erste von zwei schon zur Wahl stehenden Ausdrücken, ist eine Anrede für einen Kumpel, und der Verlag führt die Beispiele »Ey Digga!« und »Digga, ich habe so Hunger!« an; auch das Wort Kerl/Kerlin fungiert als Anrede für einen Freund/eine Freundin; Rizz wird beschrieben als die Fähigkeit einer Person, zu flirten und verbal charmant zu sein, also z. B.: »Der hat richtig Rizz!« und »Ich hab ihr meinen Rizz gezeigt und sie gehörte mir!«; Zustimmung und Bewunderung äußert man mit dem Ausdruck Slay: »Dein Outfit sieht gut aus! Slay!«; schließlich steht mit yolo erneut das Jugendwort des Jahres 2012 in den Top 10 – für you only live once im Sinne von ›nutze deine Chancen, gehe Risiken ein‹, in Sätzen wie: »Boah, das wird teuer! Egal, yolo!«

Die Jugendwort-Aktion

Das »Jugendwort des Jahres« ist eine Aktion des inzwischen zur PONS GmbH gehörigen Langenscheidt-Verlags, wurde 2008 ins Leben gerufen und wird dieses Jahr zum 15. Mal gekürt (2019 ausgenommen). Es handelt sich um ein Wort, das vor allem im Wortschatz von 10- bis 20-Jährigen vorkommt, von diesen erfunden wurde und daher von Erwachsenen oftmals nicht verstanden wird. Die Aktion soll zum einen auf die sprachliche Innovationskompetenz junger Menschen aufmerksam machen. Zum anderen wird die Relevanz von Jugendsprache an sich mit Blick auf ihren Einfluss auf die Alltagssprache betont – man vergleiche Wörter wie cool, klasse und toll, die einst Jugendwörter waren, diesen Status aber mit Zeit verloren haben und mittlerweile umgangssprachlich verwendet werden. Jedes Jahr können Jugendliche und junge Erwachsene, aber auch alle anderen Interessierten, die mit diesen in Verbindung stehen, ihre Vorschläge online einreichen. Eine Jury aus Mitgliedern jeden Alters, die sich mit Sprache befassen, wertet die Vorschläge aus und veröffentlicht eine Top-10- und eine Top-3-Liste – die Grundlage für die eigentliche zweistufige Wahl. Ausgeschlossen werden solche Wörter und Ausdrücke, die als diskriminierend einzustufen und auf offensichtliche Kampagnen von Personen(gruppen) oder Organisationen zurückzuführen sind. In die Vorauswahl kommen indes solche Kandidaten, die Kreativität beweisen (z. B. Akronyme wie Smombie oder Tinderella), Originalität zeigen (z. B. bambus) oder weite Verbreitung finden (z. B. Discopumper), aber auch auf gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse referieren (z. B. merkeln, krimmen). Lag die Wahl des Jugendwortes bis 2019 ausschließlich in der Hand der Jury, zählen seit 2020 die Stimmen der primären Zielgruppe. Die Aktion ist mit einem Gewinnspiel verbunden und die besten Einreichungen gehen in das Lexikon »100 % Jugendsprache« des Langenscheidt-Verlags ein.

Jugendsprache als Sonder- oder Gruppensprache

Das Phänomen Jugendsprache ist kein neues. Schon im 16. Jahrhundert beobachtete man eine Burschen- bzw. Studentensprache, die sich in wesentlichen Merkmalen von der Alltagssprache unterschied. In den Sprachwissenschaften geriet Jugendsprache allerdings erst im 20. Jahrhundert mit den Musikidolen, insbesondere aber in den 1980er Jahren durch verstärkte mediale Aufmerksamkeit in den Blick, und wird seither mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung beforscht. Sie wird heute überwiegend als Sonder- bzw. Gruppensprache eingeordnet, der sich Jugendliche in bestimmten gruppendynamischem, insbesondere informellen Interaktionssituationen bedienen. Dabei wird sie hauptsächlich mündlich konstituiert, doch wird der Einfluss der neuen, insbesondere der sozialen Medien und somit schriftbasierter Kommunikation immer größer. Damals wie heute erfüllt Jugendsprache dann hauptsächlich soziale Funktionen: Natürlich organisiert, strukturiert sie Gespräche, vor allem aber ist sie eine Sprache in einer Übergangsphase, und in dem Sinne identitätsbildend. Jugendliche können sich an Gleichaltrigen orientieren, von Erwachsenen dagegen distanzieren. Das wird erreicht mit einer »Geheimsprache«, die auf Wortneuschöpfungen, Ableitungen, Abkürzungen, Bedeutungserweiterungen, Sprachmischungen, spielerische Verfremdung, formelhafte Wendungen und intensivierende Ausdrücke zurückgreift, sich aber auch nicht davor scheut, Abweichungen von der Norm zu übernehmen (Stichwort Kiezdeutsch). Beständige, universelle Merkmale einer Jugendsprache gibt es indes nicht. Vielmehr finden wir in den Generationen unterschiedliche Gruppen und Szenen (etwa die Hip-Hop-, Anime/Cosplay- und Krocha-Szene) und somit Stile bzw. Sprechverwendungsweisen vor, und nur von Jugendsprachen (im Plural) kann die Rede sein.

Die Jugendwort-Aktion aus sprachwissenschaftlicher Sicht

So sind denn auch die Jugendwörter des Jahres wohl ein Abbild ihrer Zeit; sie können aber nicht darüber informieren, wie Jugendliche im Allgemeinen sprechen. Gleichwohl dürfen sie die oftmals gehörte Meinung eines Sprachkompetenzverlusts Jugendlicher und damit einhergehend eines allgemeinen Sprachverfalls – insbesondere mit Blick auf bewusste Normverstöße, aber auch den vermehrten Gebrauch von Anglizismen – in Frage stellen. Denn ihre Beschaffenheit zeugt in der Tat von einer Begabung Jugendlicher, nicht nur mit der eigenen Sprache zu spielen. Dabei darf auch nicht außer Acht gelassen, dass Jugendsprache mitunter ihren Status als Geheimsprache verliert, nämlich wenn die Ausdrücke in die Allgemeinsprache übergehen.

Web-App JugendSprache der GfdS

Auch die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) will den negativen Konnotationen von Jugendsprache entgegenwirken. Sie sieht ihre Bedeutung nicht weniger in der kreativen Lexik, im Besonderen aber in der emanzipatorischen Funktion und der Möglichkeit, jugendspezifische Szenen und Teilkulturen kennenzulernen. In diesem Zusammenhang stellt die GfdS die JugendSprache-App auf ihrer Website zur Verfügung, die 2014 im Rahmen der Ausstellung »Welt der Sprachen« ins Leben gerufen wurde. Die Web-App vereint Unterhaltung und Wissenschaft und will ein differenziertes Bild von Jugendsprache zeichnen. In dem Sinne soll dieser Sprachraum ernst genommen und als wissenswert aufgewertet werden. Die von der Comic-Zeichnerin Naomi Fearn (»Zuckerfrisch«, Stuttgarter Zeitung) illustrierte Applikation bündelt zum einen nach dem Edutainment-Konzept spielerisch Informationen zur Jugendsprache und umfasst zwei Quizfunktionen: »Verstehst du Jugendsprache?« (Multiple Choice) und »Sprichst du Jugendsprache?« (Richtig-falsch-Auswahl). Zum anderen können über eine Formularfunktion Lexikonbeiträge verfasst und an die Redaktion übermittelt werden; nach Prüfung werden sie in die App aufgenommen. Das Format wird durch ein Lexikon ergänzt, in dem Wörter nachgeschlagen und nähere Informationen über verschiedene Szenen und Subgruppen – ihre Sprache, Kleidung, Musik und ihre Verhaltungsweisen – eingeholt werden können. Insofern gibt die GfdS primär einer jungen Zielgruppe die Möglichkeit, den eigenen Sprachgebrauch mit dem von Gleichaltrigen zu vergleichen und sich außerdem wissenschaftlich (!) zu beteiligen. Natürlich können auch Erwachsene an der Lebenswelt von Jugendlichen teilnehmen. Nicht zuletzt ist Jugendsprache ein geeignetes Unterrichtsthema zur Förderung sprachanalytischer Kompetenzen (durch grammatische und stilistische Analyse von Jugendsprache), sprachproduktive Kompetenzen (etwa durch spielerisches Umformen von Texten) und sprachreflexive Kompetenten (durch Vergleich von Wertmaßstäben in unterschiedlichen Kommunikationssituationen). Gleichzeitig gibt sie Einblick in die Lebenswelten von Jugendlichen und ist Motor für (sozio-)kulturelles Lernen. Insofern sind Einsatzmöglichkeiten der App sowohl im Mutter- als auch Fremdsprachenunterricht denkbar.

Quellen

Augenstein, Susanne (1998): Funktionen von Jugendsprache. Studien zu verschiedenen Gesprächstypen des Dialogs Jugendlicher mit Erwachsenen. Tübingen: Niemeyer.

David, Barbara (1987): Jugendsprache zwischen Tradition und Fortschritt. Ein aktuelles Phänomen im historischen Vergleich. Darmstadt: Leuchtturm.

GfdS (Hrsg.) (2015): Jahresrückblick 2014. In: Der Sprachdienst, 59. Jahrgang, Heft 2, S. 76–100.

Neuland, Eva (2008): Jugendsprache. Eine Einführung. Tübingen/Basel: Francke.

Langenscheidt (Hrsg.) (2017): 100 % Jugendsprache. München/Wien.

Schlobinski, Peter (2015): Sprache und Gesellschaft – JugendSprache zum Anklicken. In: Der Sprachdienst, 59. Jahrgang, Heft 6, S. 203–207.

Vogt, Verena (2015): Interview zum Jugendwort des Jahres 2015: Smombie. In: Der Sprachdienst, 59. Jahrgang, Heft 6, S. 208–210.

langenscheidt.com (Website) (2023a): Jugendwort des Jahres. URL: https://www.langenscheidt.com/jugendwort-des-jahres (Zugriff: 25.09.2023).

langenscheidt.com (Website) (202b3): Jugendwort des Jahres. Das sind die Top 10. URL: https://www.langenscheidt.com/presse/jugendwort-2023-das-sind-die-top-10 (Zugriff: 25.09.2023).

JugendSprache-App

Die Web-App JugendSprache ist schon seit vielen Jahren über die Website der GfdS-zugänglich. Testen Sie hier Ihr Jugendsprache-Wissen:

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