Ausgabe: Der Sprachdienst 1/2012

Bedeutung von Freisitz

[F] Bei einem Spaziergang durch Leipzig gingen die Meinungen darüber auseinander, was ein Freisitz ist. Dieser befindet sich oft im Umfeld von Gaststätten, es kann sich deshalb wohl kaum um einen Hochsitz handeln?

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[A] In der Tat vermutet man in anderen Regionen des deutschen Sprachraumes oder ohne diesen städtischen Kontext oft, dass es sich bei diesem Wort um den Platz handelt, von dem aus der Förster oder Jäger den Wald und die Tiere beobachtet. Dieser wird übrigens auch Anstand, Ansitz, Hochsitz, Hochstand, auch Jagdkanzel oder Wildkanzel genannt. Kommen die Gäste aus Süddeutschland, liegt bei ihnen unter Umständen die Vermutung nahe, dass man auf dem Freisitz frei vom Verzehrzwang der Gaststätte etwas Mitgebrachtes essen kann – so zum Beispiel im Biergarten. Der Umsatz für den Wirt kommt hier nur durch die Getränke zustande.

Dem ist in Leipzig aber nicht so; die hier anstehende Bedeutung leitet sich aus dem allgemeinen Wortverständnis ab. Geläufige Wörterbücher (Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 2000) verzeichnen für Freisitz: »der: 1. (im Mittelalter) von Lehnspflichten u. Abgaben freies Bauerngut und 2. kleinere Terrasse an einem Wohnhaus«.

Der Freisitz ist mithin im gesamten deutschsprachigen Raum eine räumliche oder bauliche Vorrichtung für einen zeitweisen, meist aber längerfristigen (in der Regel sitzenden) Aufenthalt an der frischen Luft. Zu den Freisitzen zählen Balkone, Söller, Loggien oder Hausanbauten, Hausvorbaue, Terrassen, aber auch andere Plätze und Räumlichkeiten unter der freien Sonne können dazugerechnet werden.

Im sächsischen Sprachraum und gehäuft in Leipzig und Umgebung wird – so im offiziellen Touristenführer – darunter alles an Gaststättenfläche, was nicht überdacht, also unter freiem Himmel ist, verstanden: Biergärten, Straßencafés, Tische und Stühle auf Straßen und Plätzen, im Grünen oder anderswo. Die wichtigsten Beurteilungsgrößen für die Nutzbarkeit und die Qualität eines Freisitzes sind: ausreichende Besonnung (oder eben kühlender Schatten), Schutz vor Wind, Lärm, Luftverschmutzung, Sichtschutz gegenüber der Nachbarschaft, ausreichende Größe und Kommunikationsmöglichkeiten – also alles, was für die Anlage einer gastlichen Stätte von grundlegender Bedeutung sein kann.

Die entsprechenden Orte gibt es natürlich überall, nur werden sie oft differenzierter bezeichnet. Warum das so ist, kann nur vermutet werden: Die gewohnte Bezeichnung, die Gäste anzieht, wird übernommen – klingt gut und einladend. Auffällig ist, dass der Freisitz in vielen historischen und gegenwärtigen Wörterbüchern nicht verzeichnet ist, was für sein exklusives Vorkommen in begrenzten kleineren Sprachräumen spricht. Das Wort Freisitz ist aufgrund seiner Struktur kein Dialektwort, darf aber wegen seiner dortigen starken Verbreitung zu den typischen Wörtern der Leipziger Stadtsprache gezählt werden.