Virus-Kampf, Notabitur und neue Helden: Kriegsmetaphern und Krisen-Begriffe im Diskurs um die Covid-19-Pandemie

Teil 15 unser sprachlichen Corona-Betrachtungen

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Die Covid-19-Pandemie ist zweifelsohne eine Krise: eine ›schwierige und gefährliche Lage‹ für Menschen und Gesellschaften weltweit und vielleicht auch ein ›entscheidender Wendepunkt‹ in unserem Denken und Handeln. Beim Sprechen über diese Corona-Krise tauchen immer wieder Ausdrücke auf, die mit vergangenen Krisen verknüpft sind und oft mit Kriegen und bewaffneten Konflikten im Zusammenhang stehen.

Für unsere Reihe mit sprachlichen Betrachtungen zum Corona-Virus haben wir uns diese wiederkehrenden Krisen-Ausdrücke und das Konflikt-Vokabular im Zusammenhang mit Covid-19 einmal genauer angesehen.

Mobilmachung gegen unsichtbare Feinde im Virus-Kampf

Die Präsidenten der USA und Frankreichs, Donald J. Trump und Emmanuel Macron, wählen bei ihren öffentlichen Auftritten eine Sprache, die vor militärischen Begriffen nur so strotzt. Bereits im März 2020 erläuterte Macron, man befinde sich im Krieg (fr. nous sommes en guerre) und sprach von dem Virus als einem unsichtbaren Feind, der eine Generalmobilmachung (fr. mobilisation générale) erfordere.1 Das Bild des unsichtbaren Feindes (engl. invisible enemy) griff auch Trump auf, bezeichnete sich selbst als Kriegspräsident (engl. wartime president) und die Bürgerinnen und Bürger seines Landes in einem Beitrag auf Twitter als Krieger (engl. warriors).2

In Deutschland fällt die Rhetorik etwas weniger martialisch aus; Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in einer Ansprache am 22. März, sie wisse um Verzicht und Opfer für die Wirtschaft und die Bevölkerung.3 Das erinnerte dennoch vage an die Rede des (tatsächlichen) Kriegspremierministers Winston Churchill, in der dieser der britischen Bevölkerung 1940 nichts als Blut, Tränen, Mühsal und Schweiß (engl. blood, toil, sweat and tears) in Aussicht stellte. Auch der aktuelle britische Premierminister Boris Johnson bezeichnete das SARS-CoV-2-Virus als einen Feind, der tödlich sein könne (engl. this enemy can be deadly), und erläuterte, seine Regierung müsse, wie jede Kriegsregierung (engl. wartime government), entschlossen handeln.4

US-Präsident Trump zog zwei der wohl einschneidendsten Konflikt-Ereignisse in der jüngeren Geschichte der Vereinigten Staaten zum Vergleich mit der Covid-19-Pandemie heran: Er bezeichnete die Krankheitswelle als den schlimmsten Angriff (engl. worst attack), den es je gegeben habe, schlimmer als Pearl Harbor und schlimmer als das World Trade Center. Gemeint waren der Angriff japanischer Truppen auf den US-Marine-Stützpunkt Pearl Harbor während des Zweiten Weltkriegs und der Terroranschlag von New York am 11. September 2001.5 Einen Vergleich zwischen der Covid-19-Pandemie und dem Weltkrieg zog auch Kanzlerin Merkel in ihrer ersten Fernsehansprache zur Pandemie am 18. März. Darin rief Merkel zum solidarischen Handeln auf, angesichts einer Herausforderung, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben habe.6

Während sich deutsche Politikerinnen und Politiker bei der Kriegsmetaphorik zurückhaltender zeigen, liest und hört man in den deutschsprachigen Medien durchaus vom Feindbild Virus (Süddeutsche Zeitung, 28.03.2020), dem Kampf gegen das Virus (welt.de, 07.04.2020) oder kurz dem Corona- und Virus-Kampf (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.03.2020 und 19.03.2020). Der Ausdruck Straßenkampf (heute journal, 08.04.2020) entstammt ebenfalls dem Kriegs- und Konfliktvokabular; in seiner Corona-bezogenen Verwendung war damit aber das penible Abstandhalten auf Gehwegen gemeint.

Notzeiten mit neuen Helden und Blockwarten

Ein zwiespältiger Begriff, der regelmäßig im Krisen-Kontext und nun im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie verwendet wird, ist der des Helden. Das Wort Held oder Heldin bezeichnet eine Person, die in einem bestimmten Bereich oder in einer gefährlichen Situation (beispielsweise im Kampf) Hervorragendes leistet.7 Mit Ausdrücken wie Heldinnen und Helden der Krise (Süddeutsche Zeitung, 04.05.2020) sind Menschen gemeint, die in den sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten. Trotz erhöhter Gesundheitsrisiken und schlechter Bezahlung stellen sie die Pflege und Versorgung der Bevölkerung sicher. So kritisch man den Begriff des Helden auch betrachten mag, etwas Treffendes hat der Ausdruck doch: Wie zahlreiche Heldinnen und Helden zuvor sollen sich auch die derzeitigen Held*innen des Alltags (so, grammatikalisch nicht ganz korrekt, auf tagesthemen.de, 22.04.2020) mit einem Schulterklopfen und warmen Worten als Dank für ihre heroischen Taten begnügen. Die Pflegekräfte und das Personal in den Supermärkten beginnen sich allerdings zu wehren und verweisen unter dem Slogan Applaus ist nicht genug auf ihre oft schwierige Lage.

Zu den neuen Helden zählen sicher auch die Menschen, die in Kindergärten und Schulen die sogenannte Notbetreuung leisten. Wortbildungen mit dem Substantiv Not– als Erstglied sind ebenfalls zuverlässige Krisenbegleiter und treten auch derzeit vermehrt auf. Die Covid-19-Pandemie wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als internationaler Notstand deklariert (FAZ, 01.02.2020), in Deutschland wurde über die Bildung eines Notparlaments (Wiesbadener Kurier, 27.03.2020) nachgedacht und aufgrund der Schulschließungen wurde über ein Corona-Notabitur (handelsblatt.com, 12.04.2020) spekuliert. Auch bei diesem Wort handelt es sich um einen sprachlichen Wiedergänger: Der Ausdruck Notabitur ist in Deutschland aus dem Kontext der beiden Weltkriege bekannt. Um möglichst bald am Krieg teilnehmen zu können, durften oder mussten die (männlichen) Schüler eine vereinfachte Abschlussprüfung ablegen.

Mit den strengen Corona-Auflagen häuften sich auch die Anzeigen gegen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die vermeintlich gegen dieselben verstoßen hatten. Offenbar setzte ein regelrechter Blockwart-Boom (Frankfurter Rundschau, 06.04.2020) ein. Das Wort Blockwart (offiziell Blockleiter) entstammt der Sprache des Nationalsozialismus und ebenfalls dem Kriegs-Kontext. Blockwarte betrieben Propaganda für das NS-Regime, waren für die Durchsetzung von Vorschriften und Aktionen zuständig und überwachten das alltägliche Leben in Wohnbezirken. Dazu gehörte auch das Melden von Personen, die nicht ausreichend regimetreu waren. Als weniger drastischer Begriff bietet sich vielleicht der Ausdruck Corona-Petze (Wiesbadener Kurier, 25.05.2020) an.

Noch mehr Krisen-Wörter: Luftbrücke, Triage und Ausgangssperre

Auch andere Ausdrücke, die aus Krisen- und Konflikt-Kontexten bekannt sind, wurden und werden im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie verwendet: Urlauberinnen und Urlauber wurden per Luftbrücke in ihre Heimatländer zurückgeholt, einige neigten zu Hamsterkäufen, echte Ausgangssperren blieben in Deutschland jedoch aus und das Triagieren von Erkrankten wurde bisher glücklicherweise nicht notwendig. Hinter solchen Ausdrücken verbirgt sich wohl keine bewusste Kriegsmetaphorik, sie bezeichnen tatsächliche Ereignisse, die die gegenwärtige Krise begleiten.

Anders als der Blockwart ist die Blockabfertigung eher aus friedlichen Ferienzeiten bekannt: Durch Tunnels und über Pässe darf bei der Blockabfertigung nur eine bestimmte Zahl von Urlaubenden auf einmal gen Süden fahren, um eine Überlastung der Strecken zu verhindern. Derzeit greifen solche Maßnahmen noch immer im Supermarkt um die Ecke.

Vorüber ist die Corona-Krise also noch lange nicht. Nur unsere Reihe mit sprachlichen Betrachtungen zu Covid-19 neigt sich dem Ende. In der nächsten und vorerst letzten Folge blicken wir noch einmal auf einige der schon beleuchteten Phänomene der Corona-Sprache zurück und wagen einen Ausblick auf das, was uns vielleicht noch erwartet.

Zum Weiterlesen

Teil 1: Das haben Covid-19 und die Sonnenfinsternis gemeinsam
Teil 2: Bindestriche, coronamäßige Wortbildungen und jede Menge Absagen
Teil 3: Sprachliche Zweifelsfälle rund um Covid-19: Der Virus gehört in »Kwarantäne«!
Teil 4: Pandemie, Schwarzer Tod und andere Plagen: Eine kleine Begriffsgeschichte
Teil 5: Der Hamster in Zeiten der Krise
Teil 6: Korona … heute einmal (fast) ohne Virus
Teil 7: »Wir möchten unser Kind Corona nennen« … Corona im Namengut
Teil 8: Corona in der Welt: Ausgewählte Wörter in einzelnen Sprachen und Übersetzungsvarianten
Teil 9: Social Distancing, Hot-Spot und Triage: Fremdwörter im Zusammenhang mit Covid-19
Teil 10: Ebola-Virus, Spanische Grippe und Covid-19: Wonach werden Krankheiten, Erreger und Pandemien benannt?
Teil 11: coronafrei, vulnerabel und kontaktbeschränkt: die aktuellen Covid-19-Adjektive
Teil 12: In Zeiten von Corona: Maske auf! Ausdrücke und Wendungen im Zusammenhang mit Covid-19
Teil 13: 1,5 bis haushaltsübliche Menge: Die etwas anderen Corona-Zahlen
Teil 14: Corona-Texte: Anleitungen, Anträge, Bescheinigungen, Verordnungen und andere
Teil 15: Virus-Kampf, Notabitur und neue Helden: Kriegsmetaphern und Krisen-Begriffe im Diskurs um die Covid-19-Pandemie
Teil 16: Lachen ist gesund – bleiben Sie schön negativ!


1 Der vollständigen Originaltext der Rede findet sich unter anderem auf der Internetseite der französischen Zeitung Le Monde: https://www.lemonde.fr/politique/article/2020/03/16/nous-sommes-en-guerre-retrouvez-le-discours-de-macron-pour-lutter-contre-le-coronavirus_6033314_823448.html

2 Sprachbelege und Analysen der Trump’schen Kriegsrhetorik liefern die Magazine Politico und Time online unter www.politico.com/news/magazine/2020/04/09/trump-coronavirus-invisible-enemy-177894 und www.time.com/5806657/donald-trump-coronavirus-war-china/.

3 Die vollständige Ansprache der Bundeskanzlerin ist in der ARD-Mediathek verfügbar: 4Die Zeitung The Guardian analysiert Boris Johnsons Rhetorik in diesem Online-Beitrag: https://www.theguardian.com/world/2020/mar/17/enemy-deadly-boris-johnson-invokes-wartime-language-coronavirus.

4 Die Zeitung The Guardian analysiert Boris Johnsons Rhetorik in diesem Online-Beitrag: https://www.theguardian.com/world/2020/mar/17/enemy-deadly-boris-johnson-invokes-wartime-language-coronavirus.

5 Der Originalton des US-Präsidenten findet sich auf der Website der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: https://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/trump-zur-corona-krise-schlimmer-als-11-september-und-pearl-harbor-16758246.html.

6 Die Ansprache kann ebenfalls in der ARD-Mediathek unter dem folgenden Link abgerufen werden: https://www.ardmediathek.de/daserste/player/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2FyZC1zb25kZXJzZW5kdW5nL2FkMGI4YjA3LThkMGQtNGZjZi04MDA2LWJhOWY5ODUyODkyMA/merkels-tv-rede-zur-corona-krise-es-ist-ernst-nehmen-sie-es-auch-ernst.

7 Held, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/Held, abgerufen am 27.05.2020.