Meldung vom 28. April 2020

Social Distancing, Hot-Spot und Triage: Fremdwörter im Zusammenhang mit Covid-19

Teil 9 der sprachlichen Betrachtungen rund um Corona

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Covid-19 hält noch immer die ganze Welt in Atem. Im Zusammenhang mit der Pandemie und im Zuge der internationalen Berichterstattung darüber begegnet uns auch im Deutschen eine Vielzahl von Fremdwörtern. Welche Ausdrücke sind besonders auffällig, warum werden sie verwendet und gibt es nicht auch vergleichbare Ausdrücke im Deutschen? Um diese Fragen geht es in der heutigen sprachlichen Betrachtung zum Corona-Virus.

Als ein Fremdwort wird typischerweise ein Wort bezeichnet, das aus einer Sprache in eine andere übernommen wurde, sich aber Schreibung und Aussprache der Herkunftssprache bewahrt hat. Auch darüber hinaus sind typische Fremdwörter oft nicht besonders gut in die Grammatik der neuen Sprache integriert. Kein Wunder also, dass Fremdwörter besonders auffällig sind; der eine oder die andere beäugt sie in der eigenen Sprache auch sehr misstrauisch.

Im Folgenden haben wir es vor allem mit Fremdwörtern aus dem Englischen zu tun. Es handelt sich also um Anglizismen. Schon seit vielen Jahren ist das Englische eine der Hauptquellen für neue Wörter im Deutschen, wohl vor allem, weil englischsprachige Länder wie die USA in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur besonders prägend sind; mit Innovationen und Ideen wandern auch Wörter in andere Gesellschaften und in deren Sprache. Hier also eine kleine Auswahl populärer Corona-Anglizismen im Deutschen.

Ist social distancing gleich ›soziale Distanz?

Ein wichtiger Faktor bei der Eindämmung der Pandemie ist das sogenannte social distancing. Gemeint ist mit diesem Ausdruck die Einschränkung sozialer Kontakte. Der Ausdruck wurde nicht nur in Deutschland viel diskutiert; es wurde z. B. darauf hingewiesen, dass das Adjektiv social, im Deutschen meist als ›sozial‹ übersetzt, ein falsches Signal sende. Es gehe bei dieser Maßnahme ja um räumliche Distanz, der soziale Zusammenhalt solle natürlich aufrechterhalten werden. Die manchmal schwierige Übertragung des englischen social ins Deutsche war bereits Thema in unserer Rubrik »Fragen und Antworten« in Zusammenhang mit den sozialen Medien. Die kanadische Regierung jedenfalls verwendet den Ausdruck social distancing nicht mehr, in offiziellen Stellungnahmen heißt es nun physical distancingalso ›körperliche Distanzierung‹.

LockdownShutdown und on hold

Einige Distanz stellte sich schon durch die zahlreichen Kontaktbeschränkungen ein, die in Deutschland oft von Bundesland zu Bundesland verschieden ausgeprägt verordnet wurden. Ausgangssperren wurden dabei oft mit dem englischen Ausdruck lockdown bezeichnet, was eine gelungene Übersetzung darstellt. Das ähnlich gebildete Substantiv shutdown wird derzeit ebenfalls im Deutschen gebraucht. Es bezeichnet aber allgemein das Aussetzen oder Einstellen von Aktivitäten und bezieht sich aktuell auf die angeordnete Schließung von Betrieben und Geschäften.

Durch shutdown und lockdown kommt das Leben zum Stillstand, alles ist on hold. Dieser Ausdruck wird im Englischen in Bezug auf Telefonanrufe verwendet – jemanden on hold zu setzen bedeutet, ein Gespräch zu unterbrechen und den Gesprächspartner in die Warteschleife zu schicken.

Auch andere Dinge – Maßnahmen oder Aktivitäten – können on hold, also für einen unbestimmten Zeitraum unterbrochen sein.

Home-Office und Home-Schooling

Noch sind zahlreiche Einschränkungen nicht gelockert und so arbeiten zahlreiche Menschen nicht in Firmen und Büros, sondern von zu Hause aus. Neben anderen Ausdrücken hat sich in Deutschland hierfür der Ausdruck Home-Office etabliert. Derzeit ist er so präsent, dass wir ihm einen eigenen Beitrag in der Reihe »Zeit-Wort« gewidmet haben, der im neuen Sprachdienst 3/2020 und anschließend hier auf unserer Internetseite erscheinen wird. Kinder, die zu Hause unterrichten werden, befinden sich analog dazu im Home-Schooling. Im aktuellen Kontext hat dieses Wort zumindest im Deutschen eine Bedeutungsverengung erfahren: Der Ausdruck homeschooling bezeichnet im Englischen vor allem ein Modell, bei dem Kinder nicht in staatlichen Schulen, sondern von ihren Eltern oder privaten Lehrerinnen und Lehrern zu Hause unterrichtet werden. Im derzeitigen Home-Schooling befinden sich die Kinder zwar zu Hause, den Unterricht gestalten inhaltlich aber weiterhin die Schulen.

Handy-Tracking

Die Arbeit und der Unterricht in den eigenen vier Wänden setzen voraus, dass viele Abläufe digitalisiert werden. Eine weitere digitale Strategie im Umgang mit der Covid-19-Pandemie ist das sogenannte Handy-Tracking oder Handy-Tracing. Der Ausdrücke Tracking und Tracing sind von den englischen Verben to track und to traceabgeleitet; beide Wörter lassen sich in etwa übersetzen als ›etwas (zurück-)verfolgen‹. Technisch geht es bei dem Verfahren darum, mithilfe von Mobiltelefonen zurückzuverfolgen, mit welchen Menschen ein Covid-19-Patient direkten Kontakt hatte, um so Infektionsketten schnell nachzuvollziehen und zu stoppen. 

Worst-Case-Szenario, Hot-Spot und Triage

Maßnahmen wie Kontaktsperren und Handy-Tracking dienen dazu, die Folgen der Covid-19-Pandemie gering zu halten und ein Worst-Case-Szenario zu verhindern, also eine Situation, in der der schlimmste (engl. worst) anzunehmende Fall (engl. case) eintritt. Im Deutschen ist mit ähnlicher Bedeutung das Akronym GAU bekannt; es steht für ›größter anzunehmender Unfall‹, wird aber eher im Zusammenhang mit technischen Störfällen verwendet.

Orte und Regionen, in denen besonders viele Menschen von Covid-19 betroffen sind, werden als Corona-Hot-Spots (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.03.2020) bezeichnet. Der Ausdruck Hot-Spot – wörtlich übersetzt etwa ›heißer Punkt‹ – ist im Deutschen (auch als Hotspot) bereits gut etabliert. Häufig wird er in der Verbindung WLAN-Hotspot verwendet; gemeint ist ein Ort, an dem kabelloses Internet verfügbar ist. Im Englischen wie auch im Deutschen bezeichnet der Ausdruck aber auch Orte von besonderem Interesse oder – wie im Zusammenhang mit Covid-19 – besonders gefährliche Bereiche.

Schließlich gibt es neben einer Vielzahl von Anglizismen auch einen Gallizismus – also ein Fremdwort oder Lehnwort aus dem Französischen –, der derzeit häufig verwendet wird: Triage. Es ist vom französischen Verb trier (dt. ›sortieren‹) abgeleitet. In der Fachsprache der Medizin bezeichnet der Ausdruck einen Vorgang, bei dem eingeschätzt wird, wie dringlich die Behandlung einer erkrankten Person ist und wie gut ihre Heilungschancen sind, sodass notfalls die Behandlung der einen Person der einer anderen vorgezogen werden kann.

Nicht nur einzelne Wörter, auch ganze Phrasen werden aus anderen Sprachen übernommen. Den Abschluss bildet eine solche Wendung, die in der letzten Zeit besonders häufig Verwendung findet:

flatten the curve

Sehr früh, als die ersten Strategien gegen die Covid-19-Pandemie diskutiert wurden, tauchte ein englischsprachiger Ausdruck in den deutschen Medien auf und verbreitete sich vor allem in den sozialen Netzwerken: flatten the curve. Übersetzen lässt sich diese Wortfolge in etwa als ›die Kurve abflachen‹ oder ›die Kurve flach halten‹. Der Ausdruck bezieht sich auf Diagramme, in denen dargestellt wird, wie sich die Zahl der Covid-19-Infizierten entwickelt. Steigt die Zahl der Erkrankten sehr schnell und fällt sie danach wieder stark ab, stellt sich dieser Verlauf im Schaubild als hohe, spitze Kurve dar. Gelingt es, die Neuansteckungen mit Covid-19 gering zu halten und über einen längeren Zeitraum zu verteilen, sieht die Kurve flacher und länger aus. 

Sind solche Fremdwörter nun Wohl oder Übel in einer Sprache? Sicher ist, dass Entlehnungen im Kontakt mit anderen Sprachen unvermeidbar sind und schon immer Bestandteil des natürlichen Sprachwandels waren. Sie lassen sich – genau wie der Austausch von Ideen – nicht verhindern und machen lebendige Sprache aus. Darüber hinaus kann jede Sprecherin und jeder Sprecher natürlich selbst entscheiden, ob sie oder er ein vielleicht auch gerade besonders modernes Fremdwort oder lieber einen (hoffentlich passenden) deutschsprachigen Ausdruck verwenden möchte.

Zum Weiterlesen

Teil 1: Das haben Covid-19 und die Sonnenfinsternis gemeinsam
Teil 2: Bindestriche, coronamäßige Wortbildungen und jede Menge Absagen
Teil 3: Sprachliche Zweifelsfälle rund um Covid-19: Der Virus gehört in »Kwarantäne«!
Teil 4: Pandemie, Schwarzer Tod und andere Plagen: Eine kleine Begriffsgeschichte
Teil 5: Der Hamster in Zeiten der Krise
Teil 6: Korona … heute einmal (fast) ohne Virus
Teil 7: »Wir möchten unser Kind Corona nennen« … Corona im Namengut
Teil 8: Corona in der Welt: Ausgewählte Wörter in einzelnen Sprachen und Übersetzungsvarianten
Teil 10: Ebola-Virus, Spanische Grippe und Covid-19: Wonach werden Krankheiten, Erreger und Pandemien benannt?
Teil 11: coronafrei, vulnerabel und kontaktbeschränkt: die aktuellen Covid-19-Adjektive
Teil 12: In Zeiten von Corona: Maske auf! Ausdrücke und Wendungen im Zusammenhang mit Covid-19
Teil 13: 1,5 bis haushaltsübliche Menge: Die etwas anderen Corona-Zahlen
Teil 14: Corona-Texte: Anleitungen, Anträge, Bescheinigungen, Verordnungen und andere
Teil 15: Virus-Kampf, Notabitur und neue Helden: Kriegsmetaphern und Krisen-Begriffe im Diskurs um die Covid-19-Pandemie
Teil 13: 1,5 bis haushaltsübliche Menge: Die etwas anderen Corona-Zahlen
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Teil 16: Lachen ist gesund – bleiben Sie schön negativ!