Oktober 2022
Im Fokus: Sprachberatung in Zahlen
Auswertung der telefonischen Sprachanfragen von 2019 bis 2022
Bereits zu früheren Zeitpunkten haben wir unsere Sprachanfragen ausgewertet, um herauszufinden, wie viele Fragen uns gestellt werden, wo die größten Stolpersteine für die Anfragenden liegen und wer überhaupt Rat bei uns sucht. Nun haben wir erneut eine Auswertung vorgenommen und uns den telefonischen Anfragen der letzten drei Jahre gewidmet. Die Ergebnisse teilen wir hier sowohl in einer Zusammenschau dieser drei Jahre als auch im Vergleich der Jahre 2020 und 2021. Anschließend folgt ein Vergleich zum zuletzt im Einzelnen ausgewerteten Jahrgang 2007.
Daten
Zugrunde liegen die Daten der telefonischen Anfragen des Zeitraums Mai 2019 bis Mai 2022. In dieser Zeit haben wir detailliert Protokoll darüber geführt, welche Fragen uns gestellt wurden, welcher Kategorie sich die Anfragen zuordnen lassen, welches Geschlecht und welchen Hintergrund (z. B. Behörde, Medien etc.) die Anfragenden hatten.
Ausgewertet wurden auf diese Weise insgesamt 6489 mündliche Sprachanfragen. Hinzu kamen 2107 Anfragen zu Vornamen, die jedoch nicht in die folgende Betrachtung einfließen, um die Daten nicht zu verwässern. Sie werden zu einem anderen Zeitpunkt separat ausgewertet.
Kategorien der Anfragen
Zu Beginn des Auswertungszeitraums wurden die einzelnen Kategorien festgelegt, aus denen die Anfragen üblicherweise stammen. Eine Übersicht finden Sie hier, ebenso den möglichen Hintergrund der Anfragenden:
Zum Teil wurden die Zahlen von einzelnen Unterkategorien für die Auswertung zusammengefasst, wo es sinnvoll erschien (z. B. Familiennamen und Ortsnamen zu »Namen«, Zitate und Redewendungen zu »Redewendungen« etc.).
Auswertung
Sprachberatung allgemein
Mit den Anfragen aus den Bereichen Orthografie, Grammatik und Wortschatz beschäftigen wir uns in den untenstehenden Diagrammen genauer. Fragen aus den übrigen Bereichen waren beispielsweise die folgenden:
Gendern: »Ich lese immer wieder von den Teilnehmenden statt von Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Ist das denn korrekt? Warum bleibt man hier nicht bei der Paarform?« – »Ist das Wort Brüderlichkeit genderbewusst?«
Semantik: »Was ist unter einer Liebesfreundschaft zu verstehen?« – »Wie ist der Bestandteil bio- in so vielen neuen Zusammensetzungen zu verstehen: biodynamisch, Biobauer, Biosupermarkt? Inwiefern hat das mit der Biologie, wie ich sie aus der Schule kenne, zu tun?«
Stil: »Kann ich eine Abkürzung wie z. B. am Satzanfang verwenden?« – »Wie soll ich einen Prof. Dr. rer. nat. Dr. hc. mult. in einem Brief anreden?«
Text: »Wie gebe ich in einem Lebenslauf die Staatsangehörigkeit an: deutsch oder Deutschland?« – »Kann ich sowohl auch ohne als auch verwenden?«
Empfehlungen: »Wie gehe ich mit Abkürzungen wie Bachelor of Science (B. Sc.) in barrierefreien Texten um?« – »Gibt es Leitlinien zur richtigen Angabe des Datums und wo finde ich diese?« – »Wie kann ich ein neues Wort in Umlauf bringen?«
Anfragen zum Bereich Orthografie
Fragen zu den einzelnen Unterkategorien des Bereichs Orthografie waren z. B. diese:
Groß- und Kleinschreibung: »Schreibt man ich-Bekenntnis oder Ich-Bekenntnis?« – »Schreibe ich bei einer Aufzählung mit Spiegelstrichen das erste Wort jeweils groß, auch wenn es kein Substantiv ist?« – »Wird bei Frohes neues Jahr alles großgeschrieben?«
Getrennt- und Zusammenschreibung: »Schreibt man super reich oder superreich?« – »Was ist korrekt: um den Betrieb aufrecht zu erhalten oder aufrechtzuerhalten?«
Schrift/Typografie: »Schreibt man die Abkürzung für eingetragener Verein mit oder Leerzeichen: e.V. oder e. V.?« – »Wenn ein in Klammern stehendes Wort kursiv gesetzt ist, muss die Klammer dann auch kursiv sein?«
Zur Zeichensetzung erreichten uns Fragen wie:
Komma: »Setzt man bei einem Satz mit der Formulierung von – über – bis jeweils ein Komma vor über und bis?« – »Steht vor und zwar ein Komma?«
Bindestrich: »Schreibt man 70er Jahre, 70er-Jahre oder 70-er Jahre?« – »Muss ich den Ausdruck Private-Banking-Manager durchkoppeln?«
Anführungszeichen: »Wie verwendet man doppelte und einfache Anführungszeichen richtig?« – »Setze ich ein englisches Zitat in englische Anführungszeichen oder kann ich auch andere verwenden?«
Anfragen zum Bereich Grammatik
Die Fragen im Bereich Grammatik konnten folgendermaßen ausfallen:
Kasus: »Fordert die Präposition einschließlich den Genitiv, Dativ oder Akkusativ?« – »Heißt es mit einem bestellten oder mit einem bestelltem Paket?«
Syntax: »Heißt es Ich fühle mich dort zuhause oder Ich fühle mich dort wie zuhause?« – »Was ist korrekt: Ich weiß nur, dass du mich hast bezahlen lassen oder dass du mich bezahlen lassen hast?«
Numerus: »Heißt es Ein Drittel der Bevölkerung hat oder haben mit Ja gestimmt?« – »Gibt es eine Pluralform von Schicksal?«
Wortbildung: »Heißt es Schadenersatz oder Schadensersatz? Gibt es Regelungen zum Setzen eines Fugen-s?« – »Was ist der Unterschied zwischen Legitimation und Legitimierung?«
Tempus: »Wie lautet das Partizip von downloaden: gedownloadet oder downgeloadet?« – »Ist es korrekt zu sagen: Bevor ich 1996 in die Firma eintrat, beendete ich meine Promotion?«
Flexion allgemein: »Wird ein Adjektiv nach solche stark oder schwach flektiert: solche starke Frauen oder solche starken Frauen?« – »Heißt es wir Deutsche oder wir Deutschen?«
Anfragen zum Bereich Wortschatz
Im Bereich Wortschatz wurden uns häufig Fragen dieser Art gestellt:
Wort/Lexik: »Neuerdings reden im Fernsehen alle immer von einer Schalte – muss das nicht Schaltung heißen?« – »Wann benutzt man gewähren, wann gewährleisten?«
Namen: »Was bedeutet mein Familienname Seegmüller?« – »Wie erklärt sich der Ortsname Montabaur?«
Fremdwörter: »Heißt es Piktorialismus oder Piktoralismus?« – »Gibt es ein Fremdwort für Buchstabenfolge?« – »Was versteht man unter einem Look?«
Wort des Jahres: »Welche Quellen ziehen Sie für die Wahl der Wörter des Jahres heran?« – »Warum wurde im letzten Jahr Wellenbrecher zum Wort des Jahres gewählt?«
Redewendungen/Zitate: »Was bedeutet der Ausdruck Bei jemandem in der Kreide stehen?« – »Wie zitiere ich Bibelstellen?«
Vergleich mit früheren Auswertungen
Vor vier Jahren haben wir im Rahmen des Projekts »Wo drückt die Deutschen sprachlich der Schuh?« die Anfragen der letzten 30 Jahre ausgewertet. Dabei kam heraus, dass gut ein Drittel der Anfragen auf den Bereich Orthografie entfiel, jede vierte Frage betraf den Bereich Grammatik, der Bereich Wortschatz wurde in etwa jeder zehnten Frage adressiert. Diese Verteilung trifft auch heute noch in etwa zu, doch während die Anzahl der Anfragen zum Wortschatz gleich geblieben ist, wurden Anfragen zur Orthografie häufiger (heute: 39 %), zur Grammatik hingegen seltener (heute: 17 %).
Ein Vergleich speziell mit dem Jahrgang 2007 zeigt zwar eine ähnliche Verteilung der Anfragen auf diese drei Kategorien, doch da die Anfragen damals in nur fünf Kategorien (nicht in 15, wie heute) verteilt wurden, liegen die Zahlen jeweils etwas höher.
Eine genauere Betrachtung des Bereichs Orthografie zeigt, dass Anfragen zur Zeichensetzung im Vergleich mit 2007 im gleichen Verhältnis zu- wie Anfragen zu Groß- und Klein- sowie Getrennt- und Zusammenschreibung abgenommen haben.
Auch beim Geschlecht der Anfragenden gibt es im Vergleich zu einer Auswertung 2018 leichte Veränderungen: War das Verhältnis der Anfragen von Frauen zu jenen von Männern damals noch etwa 3:1, also drei Viertel zu einem Viertel, so haben die Anfragen von Männern leicht zugenommen: Ihre Fragen machen inzwischen beinahe ein Drittel aus, das Verhältnis besträgt nun 2:1. Was den Hintergrund der Ratsuchenden betrifft, hat sich indes nichts geändert: Noch immer werden ein D:rittel der Fragen von Privatpersonen an uns herangetragen; die üblichen Anfragen kommen aus Behörden, Redaktionen, Agenturen und Institutionen.
Sprachberatung online
In unserer Rubrik »Fragen und Antworten« veröffentlichen wir regelmäßig Beiträge zu sprachlichen Fragen und bieten dadurch eine Art »passive« Sprachberatung an. Auch hierzu haben wir eine kleine Auswertung vorgenommen und uns angesehen, welche Beiträge am häufigsten geklickt werden.
Und dies sind die Top 10 der am häufigsten aufgerufenen Beiträge:
- du, dich, dein, dir – Groß- oder Kleinschreibung bei den Anredepronomen?
- Kommasetzung bei Infinitivgruppen mit zu
- Grußformel bei Briefen mit unangenehmem Inhalt
- Groß- oder Kleinschreibung von der eine – der andere
- Schreibt man nach einem Doppelpunkt klein oder groß?
- Wie verwendet man scheinbar und anscheinend richtig?
- Plural von Datum
- Wie wird die Endung -ig korrekt ausgesprochen?
- Wann spricht man den Buchstaben v als [w] aus, wann als [f]?
- Wo steht in einer alphabetischen Namensliste der Titel einer Person?
Fazit
Die deutsche Sprache verfalle zusehends, das ist eine oft gehörte Befürchtung. Es wird beklagt, dass alle nur noch sprechen und schreiben, wie sie selbst es für richtig halten, sich an keine gültige Regel mehr halten, dass diese zunehmend unwichtig werden. Dass es dennoch unzählige Menschen gibt, denen es nicht egal ist, wie sie (und andere) Sprache verwenden, das zeigt die Auswertung der telefonischen Anfragen in unserer Sprachberatung.
In den vergangenen drei Jahren haben wir sprachliche Fragen unterschiedlichster Thematik beantwortet und stellen dabei fest, dass die Stolpersteine im Detail liegen: Besonders die Bereiche Rechtschreibung und Grammatik mit ihren vielen Regeln bereiten immer wieder Kopfzerbrechen. Im Bereich der Grammatik ist es der Kasus, der immer wieder Fragen aufwirft; bei der Orthografie kristallisieren sich vor allem Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Zeichensetzung als größte Problembereiche heraus – jene Bereiche, die 1996/2006 durch die Rechtschreibreform hatten vereinfacht werden sollen.
Ratsuchende stammen aus allen Teilen der Bevölkerung, vor allem aber sind es Redaktionen, Lektorate und Agenturen, die uns um sprachlichen Beistand bitten – sie sind darauf angewiesen, Sprache korrekt zu verwenden, einerseits weil sie damit ihr Geld verdienen, andererseits weil sie sehr öffentlichkeitswirksam agieren und sich keine Fehler erlauben können. Erstaunlich ist jedoch, dass auch Privatpersonen einen großen Teil der Anfragenden ausmachen: Bei ihnen ist davon auszugehen, dass ihnen gute, korrekte Sprache persönlich am Herzen liegt.
Ein Vergleich mit früheren Jahrgängen zeigt, dass die Art und Anzahl der Anfragen sich dabei kaum geändert hat. Dem bleiben wir auf der Spur.
Weitere Fokusthemen
Februar: Die Sprachberatung der GfdS
März: Geht die deutsche Sprache den Bach runter?
April: Wie entwickelt sich unser Wortschatz?
Mai: Namen
Juni: Leichte Sprache und Einfache Sprache
Juli: Verständliche Rechts- und Verwaltungssprache
August: Angebote für Sprachinteressierte
September: Kooperationen der GfdS
November: Relevanzthema Nachhaltigkeit
Dezember: Wörter des Jahres